Bundeswehr:In aller Tiefe

Ursula von der Leyen gelobt schonungslose Aufklärung im Fall Franco A. Die Opposition spricht von einer "Nebelkerze".

Von Christoph Hickmann und Markus Mayr, Berlin

Als Ursula von der Leyen am Montag gegen 13.30 Uhr in einem Bundestagsgebäude vor die Presse tritt, weiß sie genau, welche Botschaften sie setzen will. Die Ermittlungen im Fall des terrorverdächtigen Offiziers Franco A. müssten "schonungslos und mit aller Klarheit, Offenheit und Geschwindigkeit geführt werden", sagt die CDU-Verteidigungsministerin, nachdem sie hinter verschlossenen Türen die dreistündige Sondersitzung des Verteidigungsausschusses hinter sich gebracht hat. Sie werde den Generalbundesanwalt unterstützen, wo sie könne. Und sie wolle aufklären, von der untersten Ebene der Truppe bis in die Spitze des Ministeriums, wie es dazu kommen konnte, dass die Innere Führung im Fall A. versagte.

Klingt alles gut. Doch ganz so leicht kommt sie an diesem Tag nicht davon.

Zwei Wochen ist es an diesem Mittwoch her, dass Franco A. festgenommen wurde - und am Tag vor dieser Sondersitzung hat sich der Fall noch einmal ausgeweitet, mit der Festnahme des Offiziers Maximilian T. Die Bundesanwaltschaft verdächtigt ihn, mit A. und einem ebenfalls vor zwei Wochen festgenommenen Studenten Anschläge auf Politiker und weitere Personen geplant zu haben, um sie dann Flüchtlingen in die Schuhe zu schieben. Spätestens seither steht die Frage im Raum, wie groß die Gruppe möglicher Gesinnungsgenossen in der Truppe ist - zumal es Hinweise etwa aus dem Standort Augustdorf gibt, dass die Umtriebe der in Illkirch stationierten Soldaten A. und T. dort bekannt waren.

Die Ministerin durfte sich von der Festnahme am Dienstag in gewisser Weise bestätigt fühlen - schließlich hatte sie bereits in der vergangenen Woche geraunt, Franco A. sei kein einsamer Wolf gewesen. Doch der Koalitionspartner zeigt sich am Mittwoch nach der Sitzung des Ausschusses alles andere als zufrieden. Die Ministerin sei in der Sitzung aufgetreten, "als ob sie jetzt die Problemlöserin wäre", sagt der SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. Sie vergesse dabei aber, dass sie seit dreieinhalb Jahren die Verantwortung trage.

Lieber als über Versäumnisse will die Ministerin über ihre neuesten Vorschläge reden

Auch die Opposition kritisiert von der Leyen scharf. "Es ist ungeheuerlich, was hier im Vorfeld alles schiefgelaufen ist", sagt die Grünen-Sicherheitspolitikerin Agnieszka Brugger. "Es ist erschreckend, dass die Verdächtigen trotz der vielen Alarmzeichen so lange ihr Unwesen treiben und unbehelligt Anschläge vorbereiten konnten." Die "Liste des kompletten Totalversagens" werde "immer länger".

Von der Leyen im Verteidigungsausschuss

Aufklärung, schnell, aber gründlich: Ihre Botschaft dürfte Ursula von der Leyen schon im Kopf gehabt haben, als sie am Montag zur dreistündigen Sondersitzung des Verteidigungsausschusses des Bundestages erschien.

(Foto: Michael Kappeler/dpa)

Brugger wirft zudem die Frage auf, wie weit Franco A. und seine mutmaßlichen Komplizen wohl noch gekommen wären, wenn nicht die österreichische Polizei äußerst aufmerksam gehandelt und jene Behindertentoilette am Flughafen Wien-Schwechat überwacht hätte, in der Franco A. Anfang des Jahres eine Pistole versteckt hatte - jene Waffe, die sich die Verdächtigen laut Bundesanwaltschaft "zur Vorbereitung des Angriffs" beschafften. Als der Oberleutnant sie Anfang Februar aus dem Versteck holen wollte, wurde er erstmals festgenommen. Erst dadurch kamen ihm die deutschen Ermittler auf die Spur.

Dabei gab es innerhalb der Bundeswehr durchaus Chancen, den Verdächtigen auf die Schliche zu kommen. Da war zunächst jene Masterarbeit, die Franco A. 2013 als Student an der französischen Militärakademie Saint-Cyr verfasste und bei der es sich nach Ansicht eines wissenschaftlichen Gutachters "um einen radikalnationalistischen, rassistischen Appell" handelte, der "alle Merkmale einer Verschwörungstheorie" aufweise. Doch Franco A. überzeugte die Zuständigen im Streitkräfteamt davon, dass er sich unter Zeitdruck vergaloppiert habe und es sich keineswegs um seine eigene Gesinnung handele. Er durfte eine neue Arbeit schreiben, und der Militärische Abschirmdienst (MAD) erfuhr nichts.

Involviert war der MAD dafür, als die nächste Gelegenheit verpasst wurde, zumindest einem aus dem Trio der Verdächtigen auf die Spur zu kommen: Im Jahr 2015 ermittelte der Dienst schon einmal gegen den zuletzt festgenommenen Maximilian T. Damals soll er beim Besuch eines Studentenklubs einen Gesprächspartner zu Aktivitäten gegen Flüchtlinge ermuntert haben. Wurde hier schon rekrutiert? Der Vorfall wurde jedenfalls gemeldet, doch der MAD fand offenbar keine weiteren Anhaltspunkte, sodass am Ende Aussage gegen Aussage stand. Zudem soll reichlich Alkohol im Spiel gewesen sein. Die Akte wurde geschlossen. Auch dies kritisiert die Opposition als Versagen, während man im Ministerium darauf verweist, dass die Möglichkeiten der Ermittler ausgeschöpft gewesen seien. In der Sitzung des Ausschusses verweist Verteidigungs-Staatssekretär Gerd Hoofe zudem auf die ohnehin geplante personelle Aufstockung des MAD.

Traditionserlass

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will den sogenannten Traditionserlass überarbeiten lassen. Genau genommen lautet der Titel des Dokuments aus dem Jahr 1982: Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege in der Bundeswehr. Der Erlass enthalte in seiner aktuellen Fassung "viel Gutes", lasse aber "Hintertüren offen", kritisierte von der Leyen. Bereits in den vergangenen Tagen war aus dem Verteidigungsministerium zu hören gewesen, der Erlass sei zu schwammig. Zu Wehrmachtsdevotionalien, wie sie zuletzt in Kasernen gefunden wurden, heißt es in dem Dokument: "Das Sammeln von Waffen, Modellen, Urkunden, Fahnen, Bildern, Orden und Ausrüstungsgegenständen ist erlaubt." Es diene "der Kenntnis und dem Interesse an der Geschichte" und belege, "was gewesen ist". Aber: "Die Art und Weise, in der wehrkundliche Exponate gezeigt werden, muss die Einordnung in einen geschichtlichen Zusammenhang erkennen lassen. Die äußere Aufmachung muss diesen Richtlinien entsprechen." Generalinspekteur Volker Wieker kündigte an, die Überarbeitung des Erlasses solle "bis zum Ende der Legislatur" abgeschlossen sein - also bis zur Bundestagswahl im September. SZ

Und dann gelang es den Verdächtigen auch noch, erhebliche Mengen an Munition abzuzweigen, ohne dass dies intern zunächst aufgefallen wäre. So wurden bei dem festgenommenen Studenten Mathias F. gut 1000 Schuss gefunden, die zum größten Teil aus Bundeswehrbeständen stammen. Hinzu kommen die Vorgänge im Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf), wo Franco A. als syrischer Flüchtling durchging, obwohl seine Geschichte zahlreiche Ungereimtheiten enthielt.

Lieber als über Versäumnisse will Ursula von der Leyen am Mittwoch aber über ihre neuesten Vorschläge reden. So sollen die "Werte" in der Truppe gestärkt werden, kündigt sie an. Zudem will sie die Wehrdisziplinarordnung überprüfen lassen, ein Programm "Innere Führung heute" entwickeln und den sogenannten Traditionserlass überarbeiten lassen (siehe Kasten). Außerdem sollen die politische Bildung, Ausbildung und Erziehung überprüft werden. Das sei "ein langer Weg", sagt von der Leyen. Aber es sei "der richtige Weg".

Die Opposition sieht das anders. Bei den angekündigten Schritten handele es sich um eine "Nebelkerze", sagt die Linken-Abgeordnete Christine Buchholz. Und Rainer Arnold vom Koalitionspartner SPD wirft der Ministerin "schwere Versäumnisse" vor: Sie habe zu spät auf Berichte über rechte Umtriebe reagiert, zu wenig das Gespräch mit dem MAD gesucht und dann auch noch ein Pauschalurteil über die Truppe gefällt. Einen Rücktritt will er trotzdem nicht fordern: "Jeder Koalitionspartner verantwortet sein eigenes Personal."

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