Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr in Afghanistan:Was heißt hier Krieg?

Verteidigungsminister Guttenberg ist manches vorzuwerfen, aber sein Drang zur Ehrlichkeit an dieser Stelle ist richtig: In Afghanistan herrscht Krieg. Doch was sind die Konsequenzen, wenn sein Wort vom "Krieg" nicht nur ein Lippenbekenntnis bleiben soll?

Nico Fried

Auf dem Weg zur Wahrheit stand der Tod Spalier. Es ist noch nicht lange her, da beharrte ein Verteidigungsminister Franz Josef Jung darauf, es handele sich in Afghanistan nur um einen "Stabilisierungseinsatz" der Bundeswehr. Dann starben im September 2009 Dutzende Menschen bei einem Bombardement am Kundus-Fluss, das ein deutscher Oberst befohlen hatte. Der neue Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg erfand alsbald das Wort von den "kriegsähnlichen Zuständen". Drei tote deutsche und sechs von der Bundeswehr getötete afghanische Soldaten später sagt Guttenberg jetzt, man könne "umgangssprachlich von Krieg" reden.

Diesem Verteidigungsminister ist manches vorzuwerfen, aber sein Drang zur Ehrlichkeit an dieser Stelle ist richtig. Guttenberg beschreibt die Realität, wie sie die Soldaten in Afghanistan erleben. Weiter wird der Minister nicht gehen, weil es unabsehbare verfassungsrechtliche Folgen haben könnte, wenn der Afghanistan-Einsatz zu einem Krieg im Sinne des Völkerrechts erklärt würde. Trotzdem hebt sich Guttenberg bei der Bewertung bewusst von seinem Vorgänger und vielen anderen Schönrednern ab.

Zu sagen, was ist, bleibt freilich nur der erste Schritt. Denn was sind die Konsequenzen? Wenn der Einsatz in Afghanistan nicht mehr das ist, als was er fast ein Jahrzehnt lang von der Politik beschrieben wurde, entfällt für den Einsatz einer Parlamentsarmee gewissermaßen die Geschäftsgrundlage. Wenn ein Immobilienmakler ein Haus mit dem Etikett renovierungsbedürftig verkauft, das sich später umgangssprachlich als einsturzgefährdet erweist, trifft er sich mit dem Käufer vor Gericht. Wo und wie aber kommen Bundesregierung, Bundestag, Bundeswehr und Öffentlichkeit zu einem neuen, mehrheitlichen Konsens darüber, was es wirklich bedeutet, in Afghanistan Krieg zu führen?

Die neue Strategie

Seit einigen Wochen gibt es eine neue Afghanistan-Strategie. Die schwarz-gelbe Bundesregierung ist sehr stolz darauf, nicht nur weil es bislang fast ihr einziges politisches Projekt ist, das sie wenigstens zu einem vorläufigen Ergebnis geführt hat. Die Kanzlerin und ihre Leute sind auch zufrieden, weil sie glauben, es mit dieser neuen Strategie - außer den grundsätzlichen Kritikern des Einsatzes - allen recht gemacht zu haben. Ein paar Soldaten mehr wegen Guttenberg, aber nicht zu viele wegen Westerwelle; mehr Polizeiausbilder und mehr Geld für Entwicklungshilfe, um die zivile Komponente zu betonen; und natürlich die sogenannte Abzugsperspektive, um die SPD, aber auch Skeptiker in den eigenen Reihen dabei zu halten. 2011 soll begonnen werden, die Zahl der Soldaten zu reduzieren. Diese Verheißung allerdings passt zur Realität wie ein Kronkorken auf eine Kaffeetasse. Und Guttenbergs Wort vom Krieg hat dieses Missverhältnis nur noch deutlicher gemacht.

Denn wenn jetzt Krieg ist, was vorher keiner war, dann ist nicht zu verstehen, wie man jetzt plötzlich von Abzug reden kann, was bisher nicht möglich erschien. Es widerspricht auch dem gesunden Menschenverstand, wenn ein Bundesinnenminister einerseits nach fast zehn Jahren zu dem Ergebnis kommt, die Polizeiausbildung in Afghanistan sei "keine Erfolgsgeschichte", die Bundesregierung aber andererseits den Eindruck erweckt, diese Defizite könnten in Kürze beseitigt werden. Und es ist fast genauso schwer zu glauben, dass die Bundeswehr, die in einer einst als nahezu stabil geltenden Region nun in immer heftigere Gefechte verwickelt wird, im nächsten Jahr mit dem Abzug beginnen kann. Die neue deutsche Afghanistan-Strategie beschreibt deshalb ein Paradoxon: je schlechter die Lage, desto besser die Aussichten. Da kann etwas nicht stimmen.

Nur ein Lippenbekenntnis?

Die Kanzlerin musste vor einigen Wochen eine Abzugsperspektive anbieten, um überhaupt noch einmal eine breite Mehrheit für die neue Strategie zu gewinnen. Der Termin 2011 stammt von US-Präsident Barack Obama. Der mögliche Abzug ist aber nur der zweite Teil von Obamas Afghanistan-Strategie - der Teil, der in Deutschland dankbar aufgenommen wurde. Den ersten Teil, die Verstärkung der Truppen um 30000 Soldaten, hat man hierzulande bestenfalls ignoriert. Und das, obwohl jede deutsche Strategie nichts wert ist, wenn die USA keinen Erfolg haben.

Wenn die Bundeswehr im Krieg ist, muss sich die Debatte hier aber nicht um den Abzug drehen, sondern darum, wie sich die Bundeswehr bis dahin verhalten darf. Kann sie sich nur verteidigen oder darf sie zum Angriff übergehen? Wie viele Opfer sind wir bereit zu akzeptieren - unter den deutschen Soldaten, den afghanischen und notfalls unter den Zivilisten? Oder gibt es im Bundestag und in der Öffentlichkeit für den Krieg unter diesen Umständen keine Mehrheit mehr?

Dass die Kanzlerin diese Debatte anstößt, womöglich sogar eine Richtung mit ihrem politischen Schicksal verbindet, ist unwahrscheinlich. Dem Außenminister ist es nicht zuzutrauen, allein schon weil es sich um eine ernsthafte Diskussion handeln müsste. Ob Guttenberg es alleine wagt und dazu in der Lage ist, darf bezweifelt werden. Versuchen müsste er es. Sonst bliebe sein Wort vom Krieg nur, was man umgangssprachlich als Lippenbekenntnis bezeichnet.

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SZ vom 06.04.2010/lala
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