Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr in Afghanistan:Verantwortung wagen

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An diesem Freitag entscheidet der Bundestag über die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan. Ein Rückzug jetzt wäre ein Armutszeugnis, gerade für die Deutschen, die in der afghanischen Bevölkerung besondere Wertschätzung genießen.

Peter Blechschmidt

Glaubt man den Ministern Frank-Walter Steinmeier und Franz Josef Jung, dann ist die Bundeswehr in Afghanistan auf einem guten Weg.

Folgt man den zivilen Hilfsorganisationen, dann steht die internationale Staatengemeinschaft am Hindukusch vor dem Scheitern. Es klingt, als redeten der Außen- und der Verteidigungsminister von einem anderen Land als die Vertreter zum Beispiel der Welthungerhilfe oder der Caritas.

Müssten an diesem Freitag die Wähler und nicht die Abgeordneten des Deutschen Bundestages über die Verlängerung des Bundeswehr-Einsatzes in Afghanistan entscheiden, so fiele das Votum eindeutig aus: Eine klare Mehrheit würde nein sagen.

Wie auch die meisten Abgeordneten sind die durchschnittlichen Nachrichtenkonsumenten auf Informationen aus dritter Hand angewiesen; sie müssen glauben, was sie hören, und so wird die Glaubwürdigkeit des Informanten zum entscheidenden Kriterium. Da sind die Hilfsorganisationen zunächst einmal im Vorteil.

Ihnen wird die Uneigennützigkeit ihrer Argumente abgenommen; gute Menschen sagen die Wahrheit. Politikern und Soldaten hingegen schlägt erst einmal Misstrauen entgegen. Und Bundesregierung wie Bundeswehrführung haben es bis heute nicht geschafft, die Mehrheit der Misstrauischen von der Notwendigkeit des Afghanistan-Engagements zu überzeugen.

Zahlreiche Fehler

Die westlichen Armeen und Regierungen haben in Afghanistan viele Fehler gemacht. Sie haben Hoffnungen geweckt auf eine schnelle Gesundung des geschundenen Landes; ein funktionierendes Staatswesen sollte Demokratie und Menschenrechte garantieren. Stattdessen blühen Korruption und Drogenhandel, es regieren in vielen Gegenden Rechtlosigkeit und Kriminalität.

Milliarden an Hilfsgeldern wurden zugesagt, doch sie versickern zu einem großen Teil in dunklen Kanälen. Die Steinzeit-Fundamentalisten der Taliban, vorschnell für besiegt erklärt, haben nur ihre Taktik geändert; sie greifen die Nato-Soldaten seltener offen an und schicken dafür Selbstmordattentäter.

Die Konsequenz für Deutschland und den Westen aber kann trotzdem nicht der Abzug aus Afghanistan sein. Die internationale Gemeinschaft hat den Menschen dort versprochen, mit ihrem Eingreifen nach dem 11. September 2001 nicht nur den Terror zu bekämpfen, sondern auch dem darniederliegenden Land wieder auf die Beine zu helfen. Ein Rückzug jetzt wäre ein Armutszeugnis, gerade für die Deutschen, die in der afghanischen Bevölkerung besondere Wertschätzung genießen. Die Konsequenz kann nur sein, aus den Fehlern zu lernen.

Dieser Lernprozess hat begonnen. Niemand - auch die wegen ihres oft rigorosen Vorgehens zu Recht kritisierte US-Armee - glaubt noch, dass der Frieden in Afghanistan mit militärischen Mitteln zu gewinnen ist. Selbst die Soldaten der Anti-Terror-Operation Enduring Freedom (OEF) sind angewiesen, Einsätze eher abzubrechen, als unverantwortlich viele zivile Opfer in Kauf zu nehmen. Der Wiederaufbau, an dem sich auch die Bundeswehr beteiligt, rückt immer mehr in den Mittelpunkt. Ohne den Schutz des Militärs freilich ist er nicht zu haben.

Allmählich macht sich auch die Einsicht breit, dass der Westen anfangs zu sehr auf die Selbstheilungskräfte des Landes gesetzt hat. Es war ja ein honoriger Ansatz, sich nicht als Besatzer aufzuspielen, sondern die Afghanen selbst in die Pflicht zu nehmen. Aber es war zum Beispiel schlicht ein Fehler, die Zuständigkeit für die Bekämpfung des Mohnanbaus der Regierung in Kabul zu übertragen.

Mehr Engagement beim Aufbau von Polizei und Justiz

Die Lehre daraus ist, dass der Westen selbst rigoros gegen das Drogengeschäft vorgehen muss - und sei es mit unkonventionellen Mitteln wie dem, dass man den Mohnbauern, die kein anderes Einkommen haben, ihre Produktion abkauft, um sie zu vernichten.

Für den Aufbau von Polizei und Justiz muss erheblich mehr getan werden. Dass die EU bis zum nächsten Jahr nur 195 Polizeiausbilder entsenden will, müsste man als schlechten Witz bezeichnen, wenn es nicht so traurig wäre. Und wahrscheinlich muss die Nato einige tausend Soldaten zusätzlich mobilisieren, um zu verhindern, dass die Taliban in Gebiete, aus denen sie vertrieben wurden, wieder zurückkehren.

Menschen, die befürchten müssen, dass die Fundamentalisten nach dem Abzug der Nato erneut auftauchen und sich rächen, haben kein Vertrauen in die westliche Schutzmacht. Das heißt nicht, dass man die afghanische Regierung aus ihrer Verantwortung entlässt. Im Gegenteil. Der Druck auf Präsident Hamid Karsai muss erhöht werden, wirksamer gegen Korruption und Inkompetenz in der Verwaltung vorzugehen.

Zur Konsequenz gehört schließlich die Bereitschaft, auch künftig Opfer unter deutschen Soldaten und zivilen Helfern zu ertragen. Dazu müssen die Menschen hierzulande davon überzeugt sein, dass der Weg der richtige ist.

Afghanistan darf nicht nur dann ein Thema sein, wenn mit taktischen Argumenten kurzfristig Mehrheiten für Parlamentsbeschlüsse organisiert werden müssen. Deutschland ist keine Insel der Glückseligkeit. Es trägt Verantwortung in einer ziemlich unglücklichen Welt. Das ist die Antwort auf die Frage, was deutsche Soldaten am Hindukusch zu suchen haben.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2007
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