Bundeswehr in Afghanistan:Töten und getötet werden

In Afghanistan sterben deutsche Soldaten - damit ist der Krieg wieder nach Deutschland gekommen. Es ist naiv zu glauben, ein schneller Rückzug der Bundeswehr würde das Problem lösen.

Matthias Drobinski

Am Ende bleiben das Gebet, eine Rede des Verteidigungsministers, ein militärisches Zeremoniell. Ein 29 Jahre junger Mann ist tot, weil er auf eine Sprengfalle gefahren ist, im Norden Afghanistans, wo er als Bundeswehrsoldat seinen Dienst tat. Den Angehörigen des Toten bleibt die Trauer, wie die Trauer auch jenen Soldaten bleiben wird, die an einer Straßensperre unweit von Kundus in der Nacht zum Freitag auf ein Auto schossen, in dem sie Terroristen vermuteten - und dann lagen da zwei Kinder und eine Frau tot in ihrem Blut. Soldaten wollten ihr Leben retten und haben nun vermutlich getötet, in einem Einsatz, beschlossen vom Deutschen Bundestag.

Bundeswehr in Afghanistan: Trauerfeier für gefallene Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan

Trauerfeier für gefallene Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan

(Foto: Foto: dpa)

Töten und getötet werden - der Krieg ist wieder nach Deutschland gekommen. Er ist in ein Land gekommen, dem das Militärische nach 1945 so fremd geworden war, dass Franzosen, Briten und Amerikaner mal mitleidig und mal genervt lächelten. Seine Ankunft geschah merkwürdig unaufgeregt: Es hat keine Großdemonstrationen gegeben oder Kasernen-Blockaden. Nur die Politiker der Linkspartei und einige der Grünen fordern nun den schnellen Abzug der 3500 Soldaten aus Afghanistan, bei der SPD spricht man von der Überprüfung des Einsatzes, in der Union gibt es vereinzelte Skepsis, insgesamt aber werden die Toten von Kundus behandelt wie die Opfer eines tragischen Autounfalls.

Es fehlt die paranoide Angst, dass nun die Welt aus den Fugen gerät, es fehlt die säbelrasselnde Rachsucht, die nun dem Afghanen beibringen will, was Dankbarkeit heißt; beides ist keine schlechte Nachricht.

Trotzdem aber ändert sich dieses im Kern so zivile Land. Es ändert sich leise und von den Rändern her. Zuerst kommen die Soldaten verändert zurück. Viele sind ausgezogen, um zu helfen, manche, um der Arbeitslosigkeit zu entgehen, andere, um das Abenteuer zu suchen - es sind die Motive der westlichen Wohlstandsgesellschaft. Doch dann landen sie in einer Welt der archaischen Gewalt und der bitteren Armut. Sie erleben einen Krieg der Partisanen und Selbstmordattentäter. Sie lernen die Todesangst kennen, das Misstrauen und im Zweifel schneller zu schießen, anstatt selber zu sterben. Manchmal spielen sie mit Menschenknochen, die sie in der Wüste finden, weil die Regeln des zivilen Lebens verblassen. Manchmal schießen sie.

Die Strategie der Bundeswehr unterscheidet sich zum Wohle der Soldaten und der Bevölkerung vom Kriegseinsatz der Alliierten im Süden Afghanistans. Trotzdem ist die deutsche Armee Kriegsteilnehmerin, und für den Krieg gilt, was schon 1832 Carl von Clausewitz schrieb: Er ist "die äußerste Anwendung der Gewalt" und "rücksichtslos ohne Schonung des Blutes". Eine dem Grundgesetz verpflichtete Armee wie die Bundeswehr mag sich Regeln setzen, dem Krieg aber ist die Regelverletzung immanent, und wer an einem Krieg teilnimmt, wird Regeln brechen. Auch deshalb haben sich die christlichen Kirchen von der Lehre vom "gerechten Krieg" verabschiedet: Krieg ist von sich heraus ungerecht, man kann ihn höchstens in Kauf nehmen, um noch größeres Unrecht zu verhindern.

Töten und getötet werden

Der Preis dafür ist immer hoch, und das erfährt nun auch die deutsche Gesellschaft. Die "Sauerland-Bomber", fanatisierte Anhänger der militanten Islamisten-Szene, bastelten an ihrem Sprengsatz, um ein Fanal gegen den Isaf-Einsatz der Bundeswehr zu setzen, sie sind nicht die Einzigen, die Peter Strucks Satz, Deutschland werde am Hindukusch verteidigt, in makabrer Weise umdrehen. Der Preis ist auch hoch, weil das Gefühl, bedroht zu sein, zunehmend den nur begrenzt tragfähigen Boden des Zivilen belastet. Der Feind könnte überall sein, und für ihn gelten die Regeln des Zusammenlebens nur eingeschränkt: die Achtung der Religion, die Wahrung der Bürgerrechte, die Unverletzlichkeit der Privatsphäre. Wer sich so bedroht fühlt, akzeptiert irgendwann ein Feindrecht, das er sonst empört abgelehnt hätte.

Noch existiert der Krieg in Deutschland am Rand, aber er dürfte weiter zur Mitte wandern. Die Angriffe auf die Bundeswehr in Afghanistan werden weitergehen. Die USA und ihre Verbündeten werden zunehmend darauf drängen, dass die Deutschen sich nicht mehr nur als Aufbauhelfer mit Radpanzer betätigen, sondern sich am schmutzigen Krieg im Süden beteiligen, und je mehr die Deutschen dem nachgeben, desto mehr wird das Töten und Getötetwerden im staatlichen Auftrag zum Alltag werden. Vielleicht gewöhnen sich die Leute daran, wie sie sich an so vieles gewöhnen. Vielleicht aber sinkt auch der Wert des Lebens Schritt um Schritt, unter dem Eindruck, dass es in diesen harten Zeiten halt ums Äußerste geht.

Es ist wohl naiv zu glauben, ein schneller Rückzug der Bundeswehr würde das Problem lösen. Über realistische Rückzugs- und Friedensszenarien nachzudenken wäre aber im Sinne des Strategen Clausewitz: Irgendwann "tritt der politische Zweck wieder hervor", schrieb er. Wer den aus dem Auge verliert, versinkt im Strudel der Brutalisierung. Vor 2500 Jahren sagte der griechische Dichter Pindar: "Süß ist der Krieg nur dem Unerfahrenen, der Erfahrene aber fürchtet im Herzen sein Nahen." Spätestens seit den Toten von Kundus sollten die Deutschen zu den Erfahrenen gehören.

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