Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr in Afghanistan:Rückzug ins Nirgendwo

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Schulen, Straßen und Telefonnetze - das hat der Kundus-Einsatz der Bundeswehr den Afghanen gebracht. Doch der Terrorismus ist nicht besiegt. Merkel und Westerwelle haben es sich zu leicht gemacht mit dem Abzug. Im Kabinett sitzt hoffentlich bald ein roter oder grüner Außenminister, der die Kanzlerin zum Diskurs über Deutschlands Rolle zwingt.

Ein Kommentar von Nico Fried

Es passt gut ins Bild, dass Guido Westerwelle und Thomas de Maizière gemeinsam nach Afghanistan geflogen sind, um das Lager Kundus an die einheimischen Sicherheitskräfte zu übergeben. Der Abzug aus Afghanistan war das wichtigste außenpolitische Projekt der schwarz-gelben Regierung - obgleich innenpolitisch motiviert, weil vor allem die FDP und ihr Außenminister damit im Wahlkampf angeben wollten. Ob Deutschland mit dem Abzug seine Verantwortung angemessen wahrgenommen hat, lässt sich erst daran ablesen, ob die Taliban gehindert werden, in die Lücke zu stoßen, welche die Bundeswehr nun hinterlässt.

Dass Angela Merkel nicht mitgereist ist, passt ebenfalls ins Bild. Diese Kanzlerin hat sich für den von der rot-grünen Vorgängerregierung geerbten Krieg nie mehr interessiert als unbedingt nötig. Die einzige Ausnahme war der von einem deutschen Oberst zu verantwortende Luftangriff auf Aufständische und Zivilisten nahe Kundus 2009. Die Verheerung, die damals angerichtet wurde, hätte Merkels Wiederwahl wenige Wochen später bedrohen können. Dieser Umstand befähigte die Kanzlerin, eine wirklich engagierte Rede zu Afghanistan zu halten. Die einzige in acht Jahren.

War der Einsatz Erfolg oder Fehlschlag? Für das todkranke Kind, das Eltern nachts vor dem Lager Kundus ablegten und das im Lazarett gerettet wurde, war er ein Glücksfall. Für viele Mädchen und Jungen, die zur Schule gehen können, auch. Straßen, Brücken, Energieversorgung, Telefonnetze und vor allem viele unternehmungsfreudige und mutige Afghanen haben das Land manchenorts aus dem Mittelalter geholt.

Merkel und Westerwelle haben es sich leicht gemacht

Doch weder der Terrorismus noch die Taliban sind besiegt, bestenfalls zurückgedrängt. Die Bundeswehr hat sich - unter eigenen Opfern - vor allem darum bemüht, Menschen zu schützen und die Afghanen in die Lage zu versetzen, Sicherheit selbst zu gewährleisten. Der Erfolg ist zweifelhaft, was weniger an der Bundeswehr liegt als an einer politischen Struktur, die zur Überwindung von Korruption und Clan-Herrschaft so wenig geeignet zu sein scheint wie ihre Akteure zur Versöhnung.

Und was ist die Lehre für die Deutschen? Merkel und Westerwelle haben es sich leicht gemacht und aus dem schwierigen Fall Afghanistan die Konsequenz gezogen, sich einfach überall herauszuhalten. Das Engagement am Hindukusch war ihnen nützlich, weil die Regierung damit fehlende Hilfe anderswo rechtfertigen konnte. Die Bundeswehr wird zwar zu einer Einsatzarmee umgebaut, einstweilen aber sind Kriterien, Ziele und Zwecke solcher Einsätze ein außenpolitisches Nirgendwo.

Schwarz-Gelb hat diese Debatte schlicht verweigert. Nun geht ein Außenminister, der die Kultur der militärischen Zurückhaltung pries, die Erfolglosigkeit vieler diplomatischer Mühen aber ignorierte. Am Kabinettstisch sitzt hoffentlich bald ein roter oder grüner Nachfolger, der die Kanzlerin zu einem Diskurs über Deutschlands Rolle zwingt - nachdem selbst der sonst so zurückhaltende Bundespräsident dieses Defizit jüngst angesprochen hat.

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Quelle:
SZ vom 07.10.2013
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