Bundeswehr in Afghanistan:"Man kann nicht blind irgendwo reinschießen"

Nach dem tödlichen Gefecht klagen Soldaten über schlechte Ausbildung. Sie meinen, die Truppe könne sich nicht verteidigen - wegen des Falls Oberst Klein.

Oliver Das Gupta

Unverhohlen machte der Verteidigungsstaatssekretär seinem Unmut Luft: "Wir führen eine kriegerische Auseinandersetzung", erklärte Christian Schmidt, in Afghanistan gehe es "nicht nur um Brunnen bohren". Politik und Öffentlichkeit hätten sich in den ersten Jahren des Einsatzes etwas vorgemacht, sagte der Christsoziale der Passauer Neuen Presse.

Den Zeitraum hätte Schmidt ruhig ausdehnen könne, vom Beginn des deutschen Engangements 2002 bis in den Spätherbst 2009. So lange scheuten nämlich die politisch Verantwortlichen den Konflikt am Hindukusch beim Namen zu nennen: "Kriegsähnliche Zustände", erkannte der damals neu ins Amt gekommene Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg in Afghanistan, vor wenigen Tagen redete der CSU-Politiker erstmals kurz und bündig von "Krieg".

Guttenbergs Statement kam, nachdem die Taliban am Karfreitag die Bundeswehr in einen Hinterhalt gelockt hatten - drei Deutsche starben.

Bei der Truppe wurde es begrüßt, dass der Minister Klartext redete. Auch der Bundeswehrverband ist froh, dass sich die Politik "nicht hinter Beschönigungen versteckt", wie Pressesprecher Wilfried Stolze im Gespräch mit sueddeutsche.de sagt.

Mit Nennung des K-Worts konnte Guttenberg nicht die Diskussion um die Mission in Zentralasien beenden - er befeuerte sie ebenso wie Reinhold Robbe. Der scheidende Wehrbeauftragte kritisierte mit Blick auf die Lage in Afghanistan, dass das Training für Gefechtssituationen unzureichend sei.

Der Sozialdemokrat hatte die Seedorfer Fallschirmjäger, die von den Taliban am Karfreitag eingekesselt wurden, bei ihrer Verabschiedung in den Afghanistan-Einsatz besucht. "Die Soldaten haben mich darauf hingewiesen, dass es Defizite bei der Ausbildung gibt", erinnert sich Robbe.

Soldaten klagen über Defizite in der Ausbildung

Der Bundeswehrverband bestätigt die Causa: Infanteristen und Fallschirmjäger hätten von solchen Ausbildungsdefiziten berichtet. "Das Auf- und Absitzen" am Dingo - Fahrzeuge dieses Typs waren in das Gefecht am Karfreitag verwickelt - konnte beispielsweise nicht geübt werden.

Wie sueddeutsche.de erfuhr, meinen einige Soldaten, der für den Balkan konzipierte Dingo sei in Afghanistan als "Kampffahrzeug ungeeignet". Beim Militär ist man trotzdem froh, den Dingo zu haben: Das Fahrzeug hätte das Leben etlicher Soldaten gerettet, meint der Bundeswehrverband.

Nicht das richtige Gerät, nicht die passenden Fertigkeiten: Seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes gibt es ähnliche Klagen. So monierte 2006 der Abschlussbericht des 10. Bundeswehrkontingents, viele Soldaten seien mit den Waffensystemen nicht vertraut: "Aufgrund fehlender Ausbildung kam es anfangs wiederholt zu ungewollten Schussabgaben, die teilweise lebensbedrohlich waren."

Im Jahr 2007 berichtete der Tagesspiegel von Versorgungsengpässen: Wichtige Ersatzteile und sogar Munition von Pistolen seien erst Wochen nach der Bestellung bei der Truppe in Afghanistan angekommen. Es fehle "an allen Ecken und Enden". Soldaten beklagten damals sogar, nicht ausreichend für einen möglichen Angriff der Taliban auf die Lager Kundus, Faizabad und Mazar-i-Scharif gerüstet zu sein.

Oberst Klein und die Faust in der Tasche

Auch im Sanitätsbereich gab es seinerzeit eklatante personelle Engpässe bei Auslandseinsätzen, zum Teil hatten sie skurrile Folgen: Ein Militärarzt musste sich im Kosovo bei Operationen von einer Bäcker-Gesellin assistieren lassen. In Afghanistan fand sich eine Augenärztin im Notarzteinsatz wieder - einer Aufgabe, für die sie nicht qualifiziert war.

Im August 2009 - noch vor dem umstrittenen Luftschlag auf zwei Tanklaster auf Befehl von Oberst Georg Klein - wies der Brigadegeneral Jörg Vollmer auf gravierende Mängel hin: In einem internen Bericht, dessen Inhalt durchsickerte, beklagte der hohe Militär Defizite bei der Ausrüstung, Ausbildung und Stärke der Truppe. Vollmers Liste umfasste 155 Punkte. Zwingend sei eine verstärkte Waffenwirkung: Die Maschinengewehre reichten nicht aus, um die landestypischen Häuser und Wälle zu durchschlagen.

Solche Sätze rufen im Verteidigungsministerium ein Seufzen aus. Ein Sprecher sagt zu sueddeutsche.de, entsprechende Waffen mit entsprechender Munition gebe es schon. Nur, diese auch einzusetzen, sei problematisch: "Man kann nicht blind irgendwo reinschießen", sagt der Sprecher.

Beim Gefecht am Karfreitag sei auf die Deutschen aus kurzer Entfernung aus Wohnhäusern gefeuert worden, die Soldaten hätten zurückgeschossen. Doch durchschlagende Munition könnte man in solch einem Fall nicht verwenden, zu groß sei die Gefahr, dass Zivilisten getroffen würden. "Eine Krux, ein Spagat", sagt der Sprecher und fragt: "Woher wollen Sie als Soldat wissen, ob da nicht 20 Kinder hinter der Wand stehen?"

Ähnlich argumentiert der Bundeswehrverband. Sprecher Stolze weist darauf hin, wie sich die Diskussion um den von Oberst Klein befohlenen Angriff auf die Truppe auswirkt. "Die Soldaten verfolgen in Afghanistan die Bundestagsdebatten im Fernsehen und lesen die Berichte im Internet", sagt Stolze, "und können nicht verstehen, dass Oberst Klein am Pranger steht, nur, weil er seine Leute schützen wollte." Es gebe großes Unverständnis, der Fall wirke sich auf die Moral der Truppe aus. "Da ballt manch einer die Faust in der Tasche."

"Im Kampfgebiet ohne Auslandserfahrung"

Immerhin scheint zumindest die medizinische Versorgung der Bundeswehr vor Ort derzeit nicht mangelhaft zu sein. Zwar monierte der Wehrbeauftragte Robbe unlängst in seinem letzten Jahresbericht die medizinische Versorgung insgesamt und griff - ein Novum - den Inspekteur des Sanitätswesens direkt an.

Doch die ärztliche Betreuung der Truppen in Afghanistan wird von Kennern inzwischen als ausreichend gewertet: Dort habe die Bundeswehr nachgesteuert, heißt es, von Augenärzten im Notarzteinsatz ist heute keine Rede mehr.

Der eklatante Ärztemangel bei den deutschen Streitkräften wirkt sich trotzdem auch am Hindukusch aus: Da der Truppe 600 Mediziner fehlen und immer mehr Ärzte in die freie Wirtschaft wechseln, schickt die Bundeswehr nun diejenigen, die sie kriegen kann, nach Kundus, Kabul und die anderen Einsatzorte.

"Junge Ärztinnen werden nun nach Afghanistan geschickt", sagt Oberfeldarzt Wolfgang Petersen zu sueddeutsche.de. Diese seien noch nicht so erfahren und würden gleich im Ausland in einem Kampfgebiet eingesetzt.

Petersen ist Vorsitzender des Forums Sanitäts-Offiziere, ein Mann, der weiß, wovon er spricht: Elf Mal war er bei Auslandseinsätzen, allein viermal in Afghanistan.

Der Mediziner hat inzwischen die Hoffnung aufgegeben, dass sich die Situation bei der Truppe bessert, auch nicht mit dem neuen Verteidigungsminister, der das K-Wort in den Mund nimmt.

Petersen hat gekündigt - nach 25 Jahren im Dienst.

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