Bundeswehr:Häuserkampf im Simulator

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Trainieren für den Ernstfall: Auf dem Truppenübungsplatz Altmark werden Bundeswehrsoldaten auf ihren Auslandseinsatz vorbereitet.

Peter Blechschmidt

Ein greller Blitz zuckt über den in Nato-Oliv gestrichenen Lastwagen, roter Qualm steigt auf. "Totalschaden", signalisieren Blitz und Rauch. Real passiert ist glücklicherweise nichts, alles ist nur Simulation. Im Ernstfall wären der Lkw Schrott und seine Insassen vermutlich tot.

Soldaten der deutsch-französischen Brigade beim Training auf dem Truppenübungsplatz Altmark bei Letzlingen nördlich von Magdeburg. (Foto: Foto: ddp)

"Synthetische Ausbildung" nennt Thorsten Heinzen vom Rüstungskonzern Rheinmetall das, was sich da gerade auf dem Truppenübungsplatz Altmark in der Colbitz-Letzlinger Heide nördlich von Magdeburg abspielt. Hier im "Gefechtsübungszentrum des Heeres", kurz GÜZ genannt, läuft eine Mischung aus realem Manöver und virtuellem Computerspiel ab.

Soldaten üben die Abwehr anrollender Panzer, den Häuserkampf in einer geschlossenen Ortschaft oder das Verhalten an einer Straßensperre in Afghanistan. Und der große Bruder ist immer dabei. Der heißt in diesem Fall Agdus, was für "Ausbildungsgerät Duellsimulator" steht. Agdus registriert alles, was der Soldat tut und erleidet, und übermittelt es live an eine Computerzentrale. Die kann im Bedarfsfall Fehler sofort an die übende Einheit zurückmelden. "Wir lassen nicht zu, dass sich falsche Bilder in den Köpfen der Soldaten festsetzen", sagt Oberstleutnant Norbert Hoiczyk aus dem Führungsstab des GÜZ, ein studierter Luft- und Raumfahrtphysiker.

U-Boot dicht am Meeresgrund

Bevor sie in einen Auslandseinsatz gehen, müssen alle Verbände des Heeres zu einem in der Regel 14-tägigen Training im GÜZ antreten. Knapp 7000 deutsche Soldaten versehen derzeit in Afghanistan, im Kosovo oder am Horn von Afrika ihren Dienst. Gerade angesichts der Todesopfer im vergangenen Jahr in Afghanistan hat Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) immer wieder betont, dass die Soldaten für die Auslandseinsätze die erforderliche Ausrüstung und die bestmögliche Ausbildung bekommen sollen.

Echte Kämpfe kann man nicht inszenieren, aber mit moderner Technik kann man Gefechtsszenen höchst wirklichkeitsnah simulieren. Und das geschieht hier auf dem zweitgrößten Truppenübungsplatz Deutschlands.

Agdus besteht aus vielen Einzelteilen, die unter Anleitung von Rheinmetall zu einem Gesamtsystem zusammengefügt wurden. In seinem Bremer Elektronik-Ableger entwickelt der Rüstungskonzern Simulatoren für alle erdenklichen Einsatzmöglichkeiten. So lassen sich Panzerschlachten ebenso virtuell abbilden wie U-Boot-Fahrten dicht am Meeresgrund. Simulatoren schonen das Material, stehen bei jedem Wetter und rund um die Uhr zur Verfügung und sparen damit Zeit und Geld. Hubschrauberpiloten etwa absolvieren mittlerweile 90 Prozent ihrer Ausbildung im Simulator.

Auch das Heer nutzt die Simulationstechnik. Jeder Lehrgang in der Altmark wird über sechs Monate im Voraus geplant und vorbereitet. Zu Beginn eines Übungszyklus wird jeder Soldat und jedes Fahrzeug mit einer sogenannten Teilnehmer-Einheit ausgerüstet. Sie besteht aus Sendern und Reflektoren für Laser, welche die Wirkung der eingesetzten Waffen simulieren. Die Reflektoren sitzen bei den Soldaten am Helm, am Oberkörper und an den Armen. Fahrzeuge vom Geländewagen Wolf bis zum Kampfpanzer Leopard werden rundum mit Sensoren bestückt.

Gleichzeitig werden an den Waffen der Soldaten wie der Fahrzeuge Laser-Sender angebracht, deren Strahl den Schuss darstellt. Wo es keine direkte Sichtverbindung zwischen Abschuss- und Einschlagstelle gibt, also etwa bei Artillerie- oder Mörserbeschuss über größere Entfernungen hinweg, werden die Daten per Funk übertragen.

So können Treffer nicht nur festgestellt werden, es kann auch gleich ihre Wirkung bewertet werden. So erfährt der Einheitsführer zum Beispiel, in welcher Zeitspanne der getroffene Soldat ärztlich versorgt werden müsste, ob also eine Sofortbehandlung nötig ist oder ob zunächst andere, schwerer verwundete Soldaten betreut werden können.

Vor allem aber können Treffer und ihre Wirkung objektiv beurteilt werden. "Früher sprang da ein dicker Oberstleutnant aus dem Gebüsch und sagte dem Soldaten: Du bist jetzt tot", beschreibt Norbert Hoiczyk, wie in alten Zeiten "freilaufende Übungen" im Gelände aussahen. "Das gab dann immer Diskussionen, wieso und warum. Jetzt sagt das System, dass man getroffen ist, genau wo und mit welcher Wirkung."

Hoiczyk bezeichnet das als einen Quantensprung in der Ausbildung. Einen zweiten entscheidenden Vorteil sieht er darin, dass Erkenntnisse den Ausbildern unmittelbar in die Übung hinein vermittelt werden können. Darüber hinaus hält das GÜZ Großmonitore bereit, auf denen den übenden Soldaten noch im Gelände vorgeführt werden kann, welche Fehler sie gemacht haben. Denn das Geschehen wird auch auf Audio- und Videogeräten festgehalten. Diese Aufzeichnungen fließen in eine Datenbank, die zur ständigen Aktualisierung der Ausbildungsprogramme genutzt wird.

Professioneller Trainer

Doch nicht nur Technik sorgt für Realitätsnähe. Zur Stammbesatzung des GÜZ gehört ein fester Ausbildungsverband, dessen Angehörige in den Übungen den Feind darstellen. Als "Profifeind, so wie ein professioneller Trainer im Sport," beschreibt Hoiczyk diese Truppe, die ihre Methoden von Übung zu Übung selbstredend auch verfeinert. Die Detailtreue reicht bis zu landestypischer Kleidung von Aufständischen oder Demonstranten, denen die Soldaten im Auslandseinsatz begegnen könnten.

Ausbilder, die regelmäßig auch in die Einsatzgebiete reisen, bringen gern Burkas, Pluderhosen und Turbane mit für die "Soldaten in darstellender Funktion", wie die Profifeinde offiziell heißen. Im Abkürzungsfimmel des Militärs gibt es übrigens auch für sie ein Kürzel: Sidaf.

An 247 Tagen wurde im abgelaufenen Jahr in der Letzlinger Heide geübt. Das verlangt eine reibungslose Organisation. Und dafür ist ebenfalls Rheinmetall zuständig. Das GÜZ ist auch ein Vorzeigemodell für Projekte, die in Partnerschaft zwischen dem Staat und privaten Unternehmen betrieben werden. Public Private Partnership lautet der Fachbegriff. Der industrielle Partner übernimmt alle Dienstleistungen, die nicht zu den militärischen Kernaufgaben gehören. Er wartet die Panzer und die Sensoren des "Agdus", er sorgt für das Funktionieren der Simulationstechnik und für den Nachschub an Material und Verpflegung.

"Wir arbeiten viel an Wochenenden", berichtet Jens Heusmann, Chef des "Rheinmetall-Dienstleistungszentrums Altmark" (RDA). "Die Soldaten stellen uns am Freitag die Fahrzeuge vor die Halle, und am Montag ist das Gerät wieder einsatzbereit." Ein riesiges computer-gesteuertes Hochlager hält 2000 Rüstsätze für Menschen und Fahrzeuge bereit. RDA beschäftigt 210 zivile Mitarbeiter, die teilweise schon seit den Anfängen des Projekts vor 14 Jahren dabei sind. "Das ist ein weiterer großer Vorteil, dass wir hier eingearbeitetes, qualifiziertes Personal haben", betont Heusmann.

Das ist vor allem wichtig für das Funktionieren der Hightech-Geräte, die das Herz des GÜZ ausmachen. Bei einem simulierten Volltreffer wird das getroffene Fahrzeug nicht automatisch gestoppt. Vielmehr sagt eine angenehme Frauenstimme wie beim Navigationsgerät im Privatauto der Besatzung an, dass sie jetzt leider aus der Übung ausgeschieden ist. Theoretisch könnte das getroffene Fahrzeug auch automatisch gestoppt werden. Aber dabei könnte sich ja jemand verletzen. Das aber darf natürlich nicht passieren. Schließlich ist alles nur Simulation.

© SZ vom 02.01.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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