Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr:Für die Wehrpflicht fehlt der entscheidende Grund

Die Union will Gemeinsinn verordnen. Die Wehrpflicht ist aber nicht dazu gedacht, die Personalnot im Seniorenheim oder bei den Panzergrenadieren zu lindern.

Kommentar von Joachim Käppner

"Neue Vahr Süd", der wunderbare Roman von Sven Regener, handelt von einem jungen Mann aus dem linken Milieu, der in den Achtzigern als Wehrpflichtiger eingezogen wird. In der Kaserne, wenn die Ausbilder wüten und schreien, sinniert er: Eigentlich müssten die ihm doch dankbar sein und ihn aufs Zuvorkommendste behandeln - immerhin haben seine Kumpels, denen er abends in der Kneipe von seinen Abenteuern in Uniform berichtet, alle verweigert.

Lange her. Seit 2011 schon müssen junge Männer keinen Pflichtdienst an der Waffe mehr leisten (Frauen waren davon ausgenommen). Soll die Wehrpflicht, die damals ausgesetzt - nicht abgeschafft - wurde, jetzt zurückkehren? Das wünschen sich diverse Unionspolitiker, das würde eine Mehrheit der Deutschen befürworten - auch aus Sorge, es wachse eine Ego-Generation heran, für die Gemeinwohl ein Fremdwort sei. Die Bundeswehr hätte außerdem wieder einen großen Rekrutierungspool statt Nachwuchssorgen und rückte näher an die Gesellschaft. Union und Teile der SPD hatten sich exakt wegen dieser Überlegungen nur ungern von der Wehrpflicht verabschiedet.

So plausibel das alles klingen mag: Wer die Rückkehr der Wehrpflicht fordert, übersieht die wesentlichen Gründe, die zu ihrem Abschied führten. Die Wehrpflicht ist nämlich kein Instrument dafür, junge Menschen volkspädagogisch zu beschäftigen, Balsam für die verletzte Seele der CDU zu spenden und Verweigerer als billige Helfer ans Sozialsystem zu überstellen, wie dies beim Zivildienst geschah. Wer die Bürger zum Dienst an der Waffe verpflichten will, muss dies verfassungsrechtlich wesentlich besser begründen als mit Personalnot im Seniorenheim oder bei den Panzergrenadieren. Für die Wehrpflicht fehlt der Hauptgrund: eine äußere Bedrohung, die so groß ist, dass sie einen solchen Eingriff in die Freiheitsrechte des Einzelnen rechtfertigt. In der alten Bundesrepublik war die Wehrpflicht notwendig als Teil der konventionellen Abschreckung gegen den Warschauer Pakt. Eine solche Bedrohung besteht glücklicherweise nicht mehr, trotz der neuen Spannungen zwischen dem Westen und Russland. Die Rückkehr Deutschlands zum Pflichtdienst an der Waffe wäre unverhältnismäßig und würde diesen Konflikt nur unnötig schüren.

Die Wehrpflicht ist kein Instrument für die Sinnstifter in einer verwirrten Gesellschaft

Die "Levée en masse" und die seit der Zeitenwende von 1989 stark verkleinerten Streitkräfte passen außerdem nicht zusammen. Die Wehrpflicht würde den erneuten Umbau der Bundeswehr erfordern, während sie noch unter den Folgeschäden der Dauerreformitis leidet. Vor 2011 wurde nur ein Bruchteil der Wehrpflichtigen tatsächlich noch eingezogen, zuletzt für nur sieben Monate, in denen sich kaum das Basiswissen vermitteln ließ. Diesen eklatanten Mangel an Wehrgerechtigkeit hätte das Verfassungsgericht wohl nicht mehr lange zugelassen; das wäre heute schwerlich anders.

Plausibler erscheint die Idee eines allgemeinen Dienstjahres, in dem sich junge Männer und Frauen entscheiden, ob sie es in der Pflege, beim Umweltschutz, bei der Arbeit mit Flüchtlingskindern, der Entwicklungshilfe, der Feuerwehr oder den Streitkräften verbringen. Schulabgänger sind, auch wegen des gescheiterten G 8, heute sehr jung. Ein solches Jahr könnte wertvolle Lebenserfahrung bringen. Ob der Gemeinsinn aber wirklich so geschwunden ist, dass man ihn von Staats wegen verordnen muss?

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Quelle:
SZ vom 06.08.2018/sebi
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