Krieg in Jemen:Nach den Regeln des Deutschen

Jemen

An Bord der Antarctic Dream: Der deutsche Fregattenkapitän Sebastian H. verhandelt mit den jemenitischen Kriegsgegnern, zu seiner Linken die einen, zu seiner Rechten die anderen.

(Foto: Bundeswehr)
  • Im Jemen-Konflikt ist die Bundeswehr mit genau einem Soldaten beteiligt.
  • In der Hafenstadt Hodeidah machen die Vereinten Nationen kleine Fortschritte im Friedensprozess.
  • Alle vier Wochen kommen die Konfliktparteien zu Gesprächen zusammen.

Von Mike Szymanski, Berlin

Nichts an diesem Ort passt zusammen. Dieses rote Schiff allein: Antarctic Dream, konzipiert und gebaut für den Einsatz im Eis. Es hat im Hafen von al-Hodeidah festgemacht, Jemen. Dort steigt die Temperatur im Sommer auf über 40 Grad, es ist dann unerträglich schwül. Das Schiff aus den 50er-Jahren wurde einst zum Expeditionskreuzfahrtschiff umgebaut, zeigte Touristen die Welt. Wer heute an Bord lebt, bekommt nur die Kräne des Hafens zu sehen. In Jemen tobt ein Bürgerkrieg, die Stadt am Roten Meer war heftig umkämpft. Wenn man, wie Marineoffizier Sebastian H., 186 Tage vor allem an Bord zugebracht hat, wird das Schiff zum beklemmenden Ort. "Für mich war das die härteste Zeit in meinem Leben", sagt der Soldat.

Die Bundeswehr ist mit genau einem Mann im Jemen-Konflikt im Einsatz. Bis Ende November war diese Person Fregattenkapitän Sebastian H., 45 Jahre alt, athletische Statur und meist mit einem Lächeln im Gesicht. Kleiner geht ein Bundeswehreinsatz nicht. Nun ist er in Berlin zurück und erzählt von der Mini-Mission.

In Jemen herrscht seit 2015 Bürgerkrieg. Die Folgen für die Menschen sind entsetzlich: Etwa 80 Prozent sind auf Hilfe angewiesen, 14,3 Millionen Menschen leben in akuter Not. Die Lage wäre noch dramatischer, hätten die Vereinten Nationen nicht eine Waffenruhe für Hodeidah vermittelt. Diese zu überwachen, ist Aufgabe einer UN-Sondermission. Im vergangenen Frühjahr beschloss die Regierung in Berlin, dass sich die Bundeswehr beteiligt und - für den Anfang - einen "Leiter Auswertung" nach Jemen entsendet.

Aus 60 möglichen Kandidaten wählte die Bundeswehr den heute 45-Jährigen aus, schickte ihn durch ein zwölfwöchiges Spezialtraining. Sie brachte ihm bei, wie man unter Beschuss ein Fahrzeug steuert, Infusionen legt und bildete ihn im Kriegsvölkerrecht fort. Er selbst bat seine Vorgesetzten, seiner Familie zu erklären, warum dieser Auftrag so wichtig ist.

Sebastian H. hat ein Lagebild für die Missionsführung erstellt und dazu Informationen zusammengetragen, wie die Konfliktparteien die Waffenruhe in der Provinz einhalten. Die Antarctic Dream dient als Hauptquartier. Jemen hat schon immer einen Großteil der Lebensmittel importieren müssen. Das Nadelöhr für die Importe ist der Hafen von Hodeidah, der größte des Landes, über den der gesamte Norden versorgt wird, einschließlich der Hauptstadt Sanaa. Über mehr als 3000 Meter hohe Berge quälen sich die Lastwagen von hier.

"Es fehlten sechs Kilometer, um die Stadt abzuriegeln"

Im Dezember 2018 hatten die Konfliktparteien - die Huthi-Rebellen und die international anerkannte Regierung und ihre Unterstützer - sich auf eine Waffenruhe für die Provinz verständigt. Nur, richtig eingehalten wurde sie nicht. Das bekam auch der deutsche Offizier rasch mit. Die Einschläge der Artillerie waren gut zu hören. Oft stieg Rauch über der Stadt auf. "Die Front verläuft am Ostrand der Stadt, dort liegen sich zwei Armeen mit festen Stellungen gegenüber", erzählt er. Die von Iran unterstützten Huthis kontrollieren große Teile der Stadt, darunter den Hafen.

Saudi-Arabien führt die Militärkoalition an, die dem international anerkannten Präsidenten Abed Rabbo Mansur Hadi die Macht im ärmsten arabischen Land zurückverschaffen will. Diese Allianz hat Hodeidah nahezu eingekesselt: "Es fehlten sechs Kilometer, um die Stadt abzuriegeln." Als der Soldat seinen Job auf dem Schiff begann, registrierten die UN in der Provinz jede Woche 150 Verstöße gegen die Waffenruhe.

"Beide Seiten sind bemüht, keine Gräueltaten zu verüben"

Alle vier Wochen seien die Konfliktparteien zu Gesprächen zusammengekommen. Dem deutschen Offizier fiel auf, dass die Toten und Verletzten auf beiden Seiten nicht gleichgültig hingenommen wurden. Die Generäle hätten ihr Bedauern zum Ausdruck gebracht, wenn Ambulanzen oder Laster, die Lebensmittel brachten, beschossen wurden. Wie sich in den Gesprächen herausstellte, geschah dies mitunter versehentlich, weil die Nerven blank lagen oder die Kommunikation nicht funktionierte.

Für den Marineoffizier stellte sich die Lage so dar: "Beide Seiten sind bemüht, keine Gräueltaten zu verüben." Hinzu kam, dass sich führende Offiziere der beiden Konfliktparteien kennen, weil sie früher, vor Ausbruch des Bürgerkrieges, zusammen in einer Armee gedient haben. "Ich habe Generäle erlebt, die sich vertrauen."

So sei es immerhin möglich gewesen, von September 2019 an jeweils Verbindungsoffiziere der Konfliktparteien dauerhaft auf der Antarctic Dream einzuquartieren. Sie sollten sich direkt austauschen und eingreifen, bevor die Lage eskaliert. Es war H.s Aufgabe, beide Seiten zusammenzubringen. "Die Deutschen genießen in Jemen einen sehr guten Ruf", erzählt er. "Die Jemeniten sind davon überzeugt: Die Deutschen lieben Regeln und halten sich an sie." An geraden Tagen durfte die eine Konfliktpartei die Gespräche eröffnen, an ungeraden Tagen die andere Seite.

"Die große Schlacht um Hodeidah konnte vermieden werden"

"Hodeidah ist wie ein Pflänzchen in Jemen", sagt der Offizier. Da passiere etwas. Die Zahl der Zwischenfälle sei in der Provinz um fast die Hälfte zurückgegangen, in der Stadt sogar um 80 Prozent, berichtet er. Aus seiner Sicht haben die UN in Jemen etwas erreicht, auch wenn Frieden immer noch in Ferne liegt. Gerade hat es Dutzende Tote bei Gefechten in anderen Landesteilen gegeben. Aber: "Die große Schlacht um Hodeidah konnte vermieden werden. Der Hafen blieb offen. Die Gewalt ging zurück. Die Bewohner sind nach Hodeidah zurückgekehrt." Dies alles habe geholfen, dass Hilfsorganisationen ihre Arbeit machen könnten. Sie hatten vor einer Hungerkatastrophe gewarnt, sollte der Hafen zerstört werden.

Hodeidah sei für die Vereinten Nationen zu einer Art Labor geworden. Einige Dutzend Leute hätten Erfahrungen sammeln können, wie es funktionieren kann, die Konfliktparteien an einen Tisch zu bringen - Leute, "die wissen, was in Jemen geht und was vielleicht nicht", sagt der Offizier. "Das kann hilfreich sein, wenn es landesweit zu einem Waffenstillstand und einem Friedensprozess kommen sollte."

Wann es so weit ist? Auch H. vermag das nicht zu sagen. Er ist Ende November nach Deutschland zurückgekehrt. Nun arbeitet der nächste Offizier am Frieden in Jemen.

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