Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr:Am Notausgang

Wegen des Abzugs von US-Soldaten aus Deutschland stehen lang geplante Rüstungsprojekte wieder zur Debatte. Es geht auch um die Frage, wie Atombomben transportiert werden könnten.

Von Mike Szymanski und Joachim Käppner

Im Werbevideo der Bundeswehr klingt es so, wenn ein steinalter Helikopter abhebt: "Die CH-53 ist das Lastentier der Bundeswehr. In fast jedem Einsatz fliegt sie und sorgt in den entlegensten Gebieten der Welt für Bewegungsfreiheit." Leider aber hat das Lastentier die Altersgrenze bereits überschritten, und wie es im hohen Alter so geht, lassen die Kräfte nach. Nur ein Teil der Hubschrauberflotte ist noch einsatzfähig, viele Maschinen müssen am Boden bleiben. Die Zelle eines CH-53-Helikopters hat sogar schon den Weg ins Luftfahrtmuseum Wernigerode gefunden.

Über Nachfolgemodelle wird debattiert, zur Wahl stehen dabei aber nur Maschinen aus deutsch-amerikanischen Rüstungsprojekten, und genau daraus würde die SPD am liebsten aussteigen. Wegen des von US-Präsident Donald Trump angekündigten Teilabzugs von knapp 12 000 US-Soldaten aus Deutschland hatte SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich dafür plädiert, als Konsequenz auf Trumps "Politik aus Willkür und Druck" derlei "Rüstungskooperationen in einem neuen Licht zu bewerten" - sprich infrage zu stellen. Trump hatte den Teilabzug mit aus seiner Sicht zu geringen Verteidigungsausgaben Deutschlands begründet.

Es geht auch um die Frage, welche Flugzeuge Atombomben ins Ziel tragen können

In der Praxis dürfte ein Ausstieg aus den Projekten alles andere als einfach werden, da ohne die Amerikaner vor allem bei der Luftwaffe enorme Lücken entstehen würden. Aktuell geht es um zwei milliardenschwere Beschaffungsvorhaben, bei denen die US-Industrie zum Zuge kommen soll. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) will die in die Jahre gekommene Tornado-Kampfjetflotte etwa zur Hälfe durch 45 F/A-18-Flugzeuge des US-Herstellers Boeing ersetzen. Das Vorhaben ist auch deshalb in der SPD höchst umstritten, weil ein Teil dieser Jets technisch dazu in die Lage versetzt werden soll, im Verteidigungsfall in Deutschland stationierte US-Atombomben ins Ziel zu tragen. Bislang kommt Deutschland dieser Verpflichtung aus dem - noch aus dem Kalten Krieg herrührenden - Konzept der sogenannten nuklearen Teilhabe mit den Tornados nach. Der europäische Eurofighter verfügt nicht über die Fähigkeit, diese Bomben zu tragen. Ein deutscher Ausstieg aus dem Projekt käme also dem Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe gleich. Doch noch laufen Vorgespräche mit den USA. Das Geschäft könnte ein Volumen von mindestens acht Milliarden Euro haben, wie jüngst eine Kostenschätzung von Greenpeace ergab. Beschlussreif dürfte das Geschäft frühestens 2022 werden.

Wesentlich weiter fortgeschritten ist die Beschaffung neuer, schwerer Transporthubschrauber als Ersatz für die fast am Ende ihrer Lebenszeit angekommenen Sikorsky-CH-53-Transporthubschrauber der Bundeswehr. Die ersten Maschinen dieses Typs wurden bereits 1972 eingeführt. Die alten Helikopter kommen zum Beispiel noch bei der Ausbildungsmission in Afghanistan zum Einsatz, etwa für Verbindungsflüge vom Hauptquartier in Masar-e-Scharif zum Außenposten Kundus. Zwei US-Hersteller bewerben sich derzeit jeweils mit deutschen Partnerunternehmen um diesen Großauftrag, für den das Parlament 5,6 Milliarden Euro eingeplant hat. Die Entscheidung soll 2021 fallen.

Wie bei den Kampfjets auch gibt es derzeit keine deutsche oder europäische Alternative. Schon 2014 hatten Deutschland und Frankreich das gemeinsame Projekt "Future Transport Helicopter" (FTH) zu den Akten gelegt: zu teuer, zu kompliziert, zu langwierig, zu niederschmetternd die Erfahrung mit der Koproduktion des Transportflugzeuges A 400 M. Die Bundeswehr sucht seither nach Alternativen, in der Auswahl stehen zwei US-Modelle: einmal die CH-53K King Stallion, entwickelt für die US Marines und der moderne Nachfolger des musealen Bundeswehrtyps; zum zweiten die große Boeing CH-47F mit zwei Rotoren. Würden die Deutschen hier den Schlussstrich ziehen, wie es Mützenich nahelegt, gäbe es auf dem internationalen Markt nur noch einen Hersteller: Russland.

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SZ vom 03.08.2020
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