Bundestagswahl:Der Soldat, der für die Linke antritt

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Engelbert Blessing fuhr durch Kabul, Masar-i-Scharif und Kundus. Zurück nach Deutschland hat er Erfahrungen mitgenommen - und eine Badehose. (Foto: privat)

Engelbert Blessing war für die Bundeswehr in Afghanistan. Jetzt will er in den Bundestag - ausgerechnet für die Linke, die Anti-Kriegs-Partei. Was treibt ihn an?

Von Boris Herrmann, Berlin

Aus seinem früheren Leben besitzt Engelbert Blessing zum Beispiel noch seine Bundeswehr-Dienstbadehose. Sie ist himmelblau und durchaus mutig geschnitten. Blessing bezeichnete das Höschen in einem Interview mit der Lindauer Zeitung treffsicher als "ein Sinnbild moderner konservativer Werte". Gewissermaßen sinnbildlich steht dieser Dienst-Bade-Tanga aber auch für seinen weiteren Werdegang als Politiker. Er ist nämlich nicht etwa in die Linkspartei eingetreten, obwohl er mal Soldat war, sondern weil er es war.

Dieser Tage steckt Engelbert Blessing, 36, im sogenannten Wahlkampf-Endspurt. Er ist der Direktkandidat der Linken im bayerischen Wahlkreis 256 (Oberallgäu, Lindau und die kreisfreie Stadt Kempten). Als Abgeordneter würde er sich gerne für eine "humane Außenpolitik und Friedenserhaltung" einsetzen. Er ist der Ansicht, da etwas zu sagen hätte mit seinen Erfahrungen aus dem Auslandseinsatz in Afghanistan.

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Vielleicht ist nicht jedem Laien bewusst, dass zu den Ausrüstungsgegenständen deutscher Soldaten auch Bundeswehrbadehosen gehören, die etwa bei Gewässerüberquerungen im Felde Anwendung finden. Es ist aber kaum weniger erstaunlich, dass die friedensbewegte Linke, die Anti-Militäreinsatz-Partei, im Jahr 2021 mit einem ehemaligen Fallschirmjäger-Unteroffizier in den Wahlkampf zieht.

Er wollte selbst erleben, ob die Bundeswehr Gutes bewegen kann

Blessing ist gelernter Zimmerermeister. Nach seiner Ausbildung war er zehn Jahren lang Zeitsoldat und davon 2013 und 2014 insgesamt sechs Monate in Afghanistan. Er hatte sich freiwillig für diesen Einsatz gemeldet. "Ich wollte live erleben, wie das ist: ob man für die Bevölkerung dort was Gutes tut oder nicht?", erzählt er am Telefon.

Seine Erkenntnis? "Eine starke Ernüchterung." Blessing sagt, unter den Bundeswehr-Soldaten in Afghanistan sei das Gefühl immer präsent gewesen, dass man da helfen könne. "Aber die Realität stellt sich eben nicht so dar."

Blessing war in Kabul, Masar-i-Scharif und Kundus. Er sagt, er habe das Privileg gehabt, sehr viel unterwegs gewesen zu sein und von der afghanischen Bevölkerung mitbekommen zu haben. Dabei hatte er rund um die Uhr einen Übersetzer an seiner Seite, mit dem er sich irgendwann auch angefreundet hat.

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Vor seinem Rückkehr nach Deutschland gab Blessing dem Mann seine E-Mail-Adresse und den Rat: "Wenn was isch, dann meld' dich." Sein Freund, der Übersetzer, schrieb ihm 2017, dass er nicht mehr für die internationalen Schutztruppe Isaf arbeite. Dass er von den Taliban bedroht werde. Dass er jetzt in die Green Zone ziehen müsse, die Sicherheitszone um die diplomatischen Vertretungen, weil sie schon wieder seine Wohnung gefunden hätten. Blessing hat damals versucht, den Mann nach Deutschland zu holen. "Ich habe dann alle möglichen Hebel in Bewegung gesetzt", sagt er, bei der Botschaft, bei der Bundeswehr, "ich bin nur auf Hürden gestoßen."

Und dann ist der Kontakt abgebrochen. "Ich muss davon ausgehen, dass er es nicht überlebt hat, er und seine Familie", sagt Blessing.

Was ihn am meisten wundert: Wie im Sommer 2021 alle so tun konnten, als gäbe es ganz plötzlich ein Problem mit der Evakuierung von Ortskräften. Das sei allen Beteiligten schon jahrelang bekannt gewesen, sagt Blessing. Der mutmaßliche Tod seines Übersetzers aber war "einer der ausschlaggebenden Punkte, warum ich gesagt habe, jetzt muss irgendwas passieren." Deshalb trat er 2018 in die Linkspartei ein.

"Die Linke und die Bundeswehr - es gibt da ja auf beiden Seiten sehr große Ressentiments", sagt Blessing. Er habe aber in seiner Zeit als Soldat auch mit sehr vielen Kameraden gesprochen, die eine linke Ausrichtung hätten. "Da gibt es viele Leute, die sehr friedliche Absichten haben."

Wenn alle Linken so reden würden wie er, wäre sie wahrscheinlich koalitionsfähig

In der Bundestagsfraktion der Linken gibt es wiederum sieben Abgeordnete, die Ende August gegen die Afghanistan-Rettungsaktion der Bundeswehr gestimmt haben, während sich die große Mehrheit der Fraktion zumindest enthielt. Der ehemalige Soldat Blessing sagt, er hätte auf keinen Fall mit Nein gestimmt. "Aber ich finde es schäbig, dass man jetzt so tut, als wäre das ein Afghanen-Rettungsantrag gewesen." Es sei lediglich darum gegangen, deutsche Staatsbürger auszufliegen. So sieht er das. "Wie viele Afghanen waren unter denen, die jetzt ausgeflogen wurden? Was ist mit den Frauenrechtlerinnen? Was ist mit den Ortskräften? Was ist mit meinem Übersetzer? Nichts!"

Seit er es in Afghanistan in der Praxis erlebt hat, ist Blessing der Ansicht, dass sich die Nato als friedensstiftendes Verteidigungsbündnis "selbst überlebt" hat. Aber er ist kein grundsätzlicher Gegner von Auslandseinsätzen. "Wenn wir wollen, dass die Vereinten Nationen eine Schutztruppe zur Verfügung stellen, um Genozide zu verhindern, dann muss man die auch mit Personal ausstatten. Und das kann aus meiner Sicht auch deutsch sein. Aber eben immer unter einem UN-Mandat und unter UN-Führung", sagt er. Wenn alle in seiner Partei so reden würden, würde sich die Frage, ob die Linke koalitionsfähig ist, vermutlich gar nicht stellen.

Nicht stellen wird sich wahrscheinlich aber auch die Frage, ob demnächst ein Afghanistan-Veteran die außenpolitischen Positionen der Linksfraktion prägen kann. Blessing weiß selbst, dass er kaum Chancen hat, kommende Woche in den Bundestag gewählt zu werden. Er sagt: "Das Allgäu ist ja nicht klassisch links orientiert."

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