Bundeswehr-Abzug:Regierungsstreit über afghanische Ortskräfte

Afghanische Ortskräfte

"Bleibe-Prämie"? Ein Bundeswehr-Soldat (links) und ein afghanischer Dolmetscher (rechts) im Gespräch mit einem Mann bei einem früheren Einsatz nahe Kundus.

(Foto: Maurizio Gambarini/picture alliance/dpa)

Das Verteidigungsministerium will afghanische Mitarbeiter, die die Bundeswehr unterstützt haben, schnell und unbürokratisch nach Deutschland holen. Bundesinnenminister Seehofer hingegen besteht auf Einzelfall-Prüfungen.

Von Daniel Brössler und Constanze von Bullion, Berlin/Madrid

Die gefährdete Lage afghanischer Ortskräfte, die den Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan unterstützt haben und nach deren Abzug im Land geblieben sind, hat in der Bundesregierung zu Verstimmungen geführt. Ein Sprecher des Verteidigungsministerium betonte am Montag, sein Haus bemühe sich intensiv um zügigere Ausreisemöglichkeiten. Ein individueller Nachweis persönlicher Gefährdung etwa sei verzichtbar. "Bei denen, die tatsächlich bei uns als Ortskraft gearbeitet haben, gehen wir grundsätzlich von einer Gefährdung aus", sagte er.

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hingegen besteht weiter darauf, jeden ehemaligen afghanischen Mitarbeiter der Bundeswehr, aber auch vor Ort zurückgebliebene Polizeikräfte und Dolmetscher einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen, bevor ihnen und ihren Familien Visa zur Ausreise erteilt werden.

Nach dem Abzug internationaler Truppen aus Afghanistan war scharfe Kritik an der Bundesregierung laut geworden. Ehemalige afghanische Mitarbeiter von Bundeswehr und Polizei warfen Deutschland vor, sie im Stich zu lassen. Gemeinsam mit ihren Familien seien sie nach Abzug der Truppen schutzlos der Rache der vorrückenden Taliban ausgesetzt. Inzwischen haben deutsche Behörden 2400 Ortskräften und Angehörigen ein Visum erteilt. In Deutschland angekommen sind nach Informationen des Spiegels seit Ende Juni erst sechs Personen. Kritiker bemängeln zu hohe bürokratische Hürden. Zudem müssen die ehemaligen Helfer ihre Reise selbst bezahlen, was viele überfordere.

"Das ist eine schwierige Lage vor Ort"

Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) konnte am Montag keine Versäumnisse erkennen. "Wir haben vielen, die für die Bundeswehr gearbeitet haben, geholfen. Wir werden das auch weiter tun", sagte er während eines Besuchs in Madrid. "Es wird immer Fälle geben, die sich im Grenzbereich bewegen, aber auch die werden wir sehr, sehr gewissenhaft prüfen. Auch in Zukunft", versicherte er. Bereits jetzt würden "unbürokratisch" Visa ausgestellt. Außerdem sei der Kreis der Ausreiseberechtigten erweitert worden. Ein Sprecher seines Hauses räumte in Berlin allerdings auch ein, dass die Lage kritisch sei. Zur Erteilung von Visa sei ein "sehr schnelles Verfahren" eingeführt worden. "Ich will aber nicht um den heißen Brei herumreden. Das ist eine schwierige Lage vor Ort."

Eine geplante Anlaufstelle für afghanische Ortskräfte in Masar-i-Scharif wurde nicht eröffnet. Wegen Sicherheitsbedenken besteht das Innenministerium zudem auf einem zweistufigen Verfahren für alle Ausweisewilligen. "Es handelt sich um ein ganz normales Visa-Erteilungsverfahren. Es wird ein Antrag an das Auswärtige Amt gestellt. Im Rahmen dessen wird die Gefährdungsanzeige auf ihre Plausibilität überprüft", sagte eine Sprecherin. Jede Ortskraft müsse belegen, "ob die Gefährdung in Zusammenhang mit der Beschäftigung steht". Allein im Verantwortungsbereich des Innenministeriums waren mehr als 250 afghanische Polizeikräfte beschäftigt. 227 haben eine Gefährdungsanzeige gestellt, 129 wurde die Aufnahme zugesagt, nur gut der Hälfte. Voraussetzung sei, dass der vorgetragene Sachverhalt "ohne Widersprüche" glaubhaft gemacht werde, hieß es. Im Verteidigungsministerium hält man diesen individuellen Nachweis der Gefährdung für verzichtbar.

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