Bundeswehr:Abschied vom Katzentisch

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Die Trockenübung für den Einsatz im Inneren: Erstmals nimmt die Bundeswehr an einer Anti-Terror-Übung teil.

Von Christoph Hickmann und Ronen Steinke, München

Eine Bombe explodiert am Münchner Hauptbahnhof, kurz darauf fallen Schüsse in Oberfranken. Dann: noch eine Bombe. Am Düsseldorfer Flughafen.

Im Lagezentrum des bayerischen Innenministeriums, zwischen Glas- und Monitorwänden, sitzen die drei Männer in Flecktarn normalerweise ganz am Rand, an einer Art Katzentisch. Oberstleutnant Andreas Schmitz, Verbindungsoffizier des Bundeswehr-Landeskommandos Bayern, hat auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszustroms hier gearbeitet, sieben Wochen lang, vor und während des G-7-Gipfels im bayerischen Elmau auch. Aber stets ging es nur um Hilfeleistungen an die Polizei von der Art, wie sie auch seine Nachbarn am Katzentisch bieten können, die beiden Abgesandten vom Technischen Hilfswerk. Am Dienstag ist das anders. Erstmals soll die Bundeswehr Waffengewalt einsetzen in Deutschland; zumindest in dieser Simulation, die sechs Bundesländer noch bis Donnerstag gemeinsam mit dem Bundesverteidigungsministerium durchspielen. Bei der Übung werden Kommunikation, Koordination und Alarmketten getestet.

Das hat eine Vorgeschichte. Im vergangenen Jahr stritten Union und SPD mal wieder heftig über den Einsatz der Bundeswehr im Innern. Der Anlass: In einem Entwurf für das neue Bundeswehr-Weißbuch hatte das Haus von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eine entsprechende Grundgesetzänderung ins Spiel gebracht. Die SPD schäumte, doch von der Leyen fragte kühl zurück: Was wäre, wenn angesichts eines möglichen Terrorszenarios der in engen Grenzen bereits jetzt zulässige Einsatz der Bundeswehr im Innern einmal notwendig würde? Was wäre, wenn man dies nie zuvor geübt hätte?

Also verabredete man gemeinsame Übungen, als Kompromiss - schließlich scheiterte die Grundgesetzänderung am Widerstand der Sozialdemokraten. Die rechtliche Grundlage für Einsätze im Innern ist, wie gesagt, bereits vorhanden. In Artikel 35 des Grundgesetzes heißt es in Absatz 2: "Zur Hilfe bei einer Naturkatastrophe oder bei einem besonders schweren Unglücksfall kann ein Land Polizeikräfte anderer Länder, Kräfte und Einrichtungen anderer Verwaltungen sowie des Bundesgrenzschutzes und der Streitkräfte anfordern." Das Bundesverfassungsgericht hatte 2012 entschieden, dass bei einem solchen Einsatz auch "eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen" nicht ausgeschlossen sei. Doch der Einsatz der Streitkräfte sei "nur als Ultima Ratio zulässig". Der Begriff des "besonders schweren Unglücksfalls" erfasse "nur Ereignisse von katastrophischen Dimensionen".

Was heißt das konkret? Unter die Karlsruher Formel vom Ereignis katastrophischen Ausmaßes fassen Verfassungsrechtler jedenfalls Attentate von einer Größe wie in Paris im November 2015 oder in Mumbai im November 2008. In der indischen Metropole hatten Terroristen ein Hotel, ein jüdisches Zentrum und einen Bahnhof angegriffen. Die Kämpfe dauerten drei Tage, fast 170 Menschen starben. Verfassungswidrig bleibt in Deutschland hingegen der Einsatz von Soldaten zum Objektschutz sowie zu präventiven Patrouillen.

Die Planer der dreitägigen Simulation haben sich bemüht, ein Szenario zu zeichnen, das den Karlsruher Anforderungen genügt. In einigen Nachbarländern hat es großflächige Attacken nach dem Muster der Mumbai-Anschläge gegeben. Dann setzt sich die Anschlagsserie in Deutschland fort, gesteuert von der fiktiven islamistischen Gruppe "Schwert des Propheten". Sechs Bundesländer haben entschieden, bei dieser Übung mitzumachen. In fünf von ihnen regiert die SPD mit, in vier die Grünen. Außer Bayern sind es noch Baden-Württemberg, Bremen, Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein.

© SZ vom 08.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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