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Bundesverfassungsgericht zur Euro-Rettung:Karlsruhe strotzt vor Selbstbewusstsein

Wenn sich das Bundesverfassungsgericht vor seiner Entscheidung zur Euro-Rettung in Europa umschaut, findet es: Zuspruch, Bestätigung - und sogar ein demokratietheoretisches Argument für den ESM-Vertrag. Kein anderes Gericht in der Euro-Zone ist so selbstsicher wie Karlsruhe.

Ronen Steinke

In Karlsruhe, daran werden die europäischen Nachbarn in dieser Woche erinnert, residiert nicht nur das juristisch mächtigste Verfassungsgericht Europas, sondern auch eines der selbstbewussteren.

Die Linie der Karlsruher Richter, wonach selbst Parlamentsentscheidungen, die von zwei Dritteln der Abgeordneten getragen werden, nicht automatisch als gültige Verfassungsänderungen akzeptiert werden müssen, sondern immer noch an einem höheren, übergesetzlichen Maßstab gemessen werden können - am Prinzip der Demokratie - diese selbstbewusste Linie verfolgen in Europa sonst nur noch die Richter in Tschechien und Polen. Beide Länder aber gehören nicht dem Euro an. Die Frage, ob eine Selbstentmachtung des nationalen Parlaments droht, stellt sich dort weniger.

In der Euro-Zone reicht am ehesten der österreichische Verfassungsgerichtshof an die Stärke der Karlsruher Richter heran. Der Widerstand gegen den ESM hat dort bereits eine ungewöhnliche Koalition von Klägern mobilisiert: Grüne und Rechtspopulisten wollen beide vor den Gerichtshof ziehen. Allerdings wartet auch in Wien alles auf Karlsruhe. Denn die österreichischen Kläger können ihre Klageschrift erst einreichen, wenn die Neuerungen in Europa in Kraft treten, wofür zunächst der große Nachbar im Norden ratifizieren muss.

Stopp in Österreich unwahrscheinlich

Anders als das deutsche kann das österreichische Verfassungsgericht nicht vorbeugend aktiv werden. Das heißt, praktisch gesehen können die Wiener Richter frühestens im März 2013 entscheiden, wie der Linzer Rechtsprofessor Michael Mayrhofer sagt, der zuletzt selbst am Verfassungsgerichtshof tätig war. Dass die Richter dann wirklich noch Stopp rufen werden, erscheint nicht nur wegen dieses späten Datums als unwahrscheinlich. Österreichs höchstes Gericht begleitete die europäische Integration bislang ohne Vorbehalte.

Wenn sich in Karlsruhe die drei Richterinnen und fünf Richter des Zweiten Senats also ein letztes Mal in Europa umschauen, bevor an diesem Mittwoch wohl ganz Europa zu ihnen schaut, dann finden sie ringsherum allenfalls: Zuspruch, Bestätigung - und sogar ein demokratietheoretisches Argument für den ESM-Vertrag.

In Frankreich hat der Verfassungsrat erst im vergangenen Monat diskutiert, ob eine einfache Mehrheit im Parlament ausreiche, um die Haushaltspolitik des Landes auf Dauer an den ESM zu binden. Die Richter sahen darin kein Problem. Der Gedanke, dass eine solche partielle Abgabe der Budgethoheit generell die Demokratie aushöhlen könnte, lag ihnen fern. Das mag auch damit zusammenhängen, dass das französische Parlament ohnehin weniger Kontrolle über den Haushalt der Regierung hat als etwa in Deutschland.

In Estland erklärte das Verfassungsgericht unlängst, durch den ESM werde die freie Selbstbestimmung empfindlich beschnitten. Sollten die von Tallinn gegebenen Bürgschaften fällig werden, würde Estland mit 8,5 Prozent seines Budgets in der Pflicht stehen - bei einem gleichzeitigen Stimmgewicht in den ESM-Gremien von verschwindend geringen 0,186 Prozent. Andererseits, so gaben die estnischen Richter zu bedenken, die Alternative, nämlich ein mögliches Chaos in der Euro-Zone, das der ESM ja notfalls abwenden soll, wäre weit gefährlicher für Estlands Demokratie: Nach einem Absturz des Euro würden die Spielräume der Parlamentarier erst recht schrumpfen.

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SZ vom 10.09.2012/cag/rus
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