Bundesverfassungsgericht zur Antiterrordatei:Zeichen gegen die Terrorisierung des Rechts

Bundesverfassungsgericht verkündet Urteil zur Antiterrordatei

Der Erste Senat beim Bundesverfassungsgericht hat die umstrittene Antiterrordatei grundsätzlich gebilligt, doch Nachbesserungen verlangt.

(Foto: dpa)

Das Karlsruher Urteil gegen die Antiterrordatei hätte noch schärfer ausfallen müssen, doch sein grundsätzlicher Charakter ist ein Segen: Es festigt das Gebot der Trennung von Polizei und Geheimdienst und erinnert daran, dass man den Rechtsstaat nicht vor dem Terror schützen kann, indem man die Regeln des Rechtsstaats langsam auflöst. Solche Versuche gab es in jüngerer Zeit viele.

Ein Kommentar von Heribert Prantl

Man soll nicht leichtfertig umgehen mit bedeutungsschwangeren Adjektiven. Im Alltag werden Dinge, wenn sie nur halbwegs wichtig sind, schnell "bedeutend" und "spektakulär" genannt. Aber auch nach so einer zur Zurückhaltung mahnenden Vorbemerkung verdient das Urteil des Bundesverfassungsgerichts gegen die Antiterrordatei die Kennzeichnung: bemerkenswert und bedeutungsvoll.

Das Karlsruher Urteil ist ein Grundsatzurteil, das wirklich grundsätzlich ist - und für die Bundesrepublik auch von historischer Bedeutung, weil es ein Grundgebot aus den ersten Tagen der deutschen Nachkriegsdemokratie wieder zu befestigen versucht: das Grundgebot der Trennung von Polizei und Geheimdienst. "Soweit Daten zwischen Nachrichtendiensten und Polizeibehörden für ein operatives Tätigwerden ausgetauscht werden, handelt es sich um einen besonders schweren Eingriff. Dieser ist nur ausnahmsweise zulässig und muss einem herausragenden öffentlichen Interesse dienen."

Die Sicherheitspolitik in Deutschland betreibt seit Jahren die Auflösung dieses Grundgebots. Zwischen Polizei und Geheimdienst wurde und wird immer weniger unterschieden. Es wurde und wird ein einheitliches, vernetztes Sicherheitssystem entwickelt, in dem geheimdienstliche, also rechtsstaatlich kaum kontrollierte Ermittlungsmethoden Standard werden - die Antiterrordatei gehört dazu. Das Bundesverfassungsgericht versucht nun, diese Entwicklung am Beispiel der Antiterrordatei zu domestizieren und mit diesen Versuch mit grundsätzlichen Erläuterungen zur Sinnhaftigkeit und Wichtigkeit der Trennung von Polizei und Geheimdienst zu untermauern.

Infrastruktur der Überwachung

Diese Trennung hat ihren guten Grund: Die Geheimdienste stehen außerhalb der allgemeinen rechtsstaatlichen Kontrolle; sonst könnten sie ihre geheime Arbeit nicht tun. Zwingende Konsequenz dieses Privilegs aber ist eine äußerst enge Beschreibung von Aufgabe und Kompetenz der Geheimdienste. Geheimdienst und geheimdienstliche Methoden, das bedeutet immer: Der Betroffene erfährt nichts, kann sich nicht wehren. Erkenntnisse, die auf diese Weise gewonnen worden sind, können und sollen also nicht so einfach von der Polizei genutzt werden können.

Das Verfassungsgericht versucht, die Terrorisierung des Rechts zu beenden. Um Terroristen auf die Spur zu kommen, etabliert das Sicherheitsrecht (seit dem Ende des Ostblocks, also etwa seit 1990, sowie verstärkt seit dem 11. September 2001) ausgeklügelte Kontrollarrangements und Datensammlungen, Abhöraktionen, Überwachungs- und Speicherungsmaßnahmen - bei denen Geheimdienste und Polizei kooperieren.

Es wird national und international eine Infrastruktur der Überwachung etabliert. Diese Struktur greift immer weiter um sich. Die Überwacher führen stets das Wort "Terrorismus" im Mund, überwachen auch das Umfeld des angeblichen Verdächtigen, ebenso das Umfeld des Umfelds und das Umfeld des Umfelds des Umfelds. Es geraten Menschen ins Visier der Terrorfahnder, die mit Terror nichts, aber auch gar nichts zu tun haben - sondern sich einfach politisch informieren und agieren.

Die Kriterien für die Speicherung in der Antiterrordatei beispielsweise sind zufällig und uferlos. Die Terrorüberwachung errichtet ein System des Vor- und des Vorvorverdachts. Das Verfassungsgericht versucht nun, das wieder zurückzuschrauben, den von den Dateien erfassten Personenkreis und die Verwendung der Daten einzuschränken.

Aus dem Verfassungsschutz darf keine Bundesbehörde für innere Sicherheit werden

Das Urteil stärkt Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung - und es ist weit mehr als ein Urteil gegen die derzeitige Antiterrordatei. Es ist auch ein Urteil gegen die Anti-Terror-Zentrale (um die es im Gerichtsverfahren nicht konkret ging).

In dieser gemeinsamen Anti-Terror-Zentrale tauschen Polizei und Nachrichtendienste seit einigen Jahren ohne gesetzliche Grundlage alle erreichbaren Informationen aus und verabreden gemeinsame Aktionen.

Gegen eine gesetzliche Regelung haben sich der Bundesinnenminster, der Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt bisher so vehement gewehrt, als sei es ein Gesetz des Teufels. Der alte FDP-Rechtspolitiker Burkhard Hirsch ist der Meinung, dass auf der Grundlage des neuen Karlsruher Urteils ein Gesetz zur Anti-Terror-Zentrale zwingend notwendig ist. Er hat recht.

Das Karlsruher Urteil bemüht sich, der herrschenden Sicherheitspolitik entgegen zu treten. Diese Sicherheitspolitik versucht, herkömmliche Strafrecht, Strafprozessrecht und das Polizeirecht aufzulösen in einem einheitlichen Recht der inneren Sicherheit. Dieses unterscheidet kaum mehr zwischen Unschuldigen und Schuldigen, kennt keine Verdächtigen und Unverdächtigen mehr, sondern nur noch potenzielle Störer und mögliche Risikopersonen. Aber die Bemühungen der Karlsruher Richter sind zu zaghaft.

Der BND als großes Ohr der Polizei

Seit fast 25 Jahren, seit dem Verfassungsschutzbericht von 1989, den der damalige Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble im Juli 1990 vortrug, gibt es intensive politische Bestrebungen, den Inlandsgeheimdienst, den Verfassungsschutz also, mit neuen Kompetenzen anzureichern. Spannend war seinerzeit nicht Schäubles Rückblick, sondern sein Ausblick: Das gesetzliche Aufgabenspektrum des Verfassungsschutzes, so sagte er damals, "wird sich allen politischen Umwälzungen zum Trotz nicht verengen". Das machte hellhörig.

Es zeigte sich bald, was beabsichtigt war: Er meinte unter anderem Aufgaben im Bereich des organisierten Kriminalität und des Handels mit Rauschgift. Es sei darüber nachzudenken, "ob und gegebenenfalls wie der Verfassungsschutz zur Lösung dieser Probleme eingesetzt werden kann".

Die Sicherheitspolitiker der CDU/CSU begannen zu überlegen, aus dem Verfassungsschutz eine Bundesbehörde für innere Sicherheit zu machen. Der islamistische Fundamentalismus gab der Umsetzung dieser Überlegung dann den entscheidenden Schub. Im Verbrechensbekämpfungsgesetz von 1994 wurde die vordem zugesperrte Tür zwischen Polizei und Geheimdienst erstmals aufgerissen. Der Bundesnachrichtendienst wurde zum großen Ohr der Polizei - beim Abhören des internationalen Telefonverkehrs.

Die Trennung zwischen Polizei und Geheimdienst in Deutschland hat eine historische Grundlage im sogenannten Polizeibrief der Militärgouverneure der Westalliierten vom 8./14. April 1949: "Der Bundesregierung wird es gestattet, eine Stelle zur Sammlung und Verbreitung von Auskünften über umstürzlerische, gegen die Bundesregierung gerichteten Tätigkeiten einzurichten. Diese Stelle soll keine Polizeibefugnis haben".

"Passt schon", sagen die Sicherheitspolitiker. Passt nicht.

Entscheidend war dieser letzte Satz: Es sollte kein neues Reichssicherheitshauptamt entstehen können - das war ein NS-Generalstab, eingerichtet zu Beginn des Zweiten Weltkriegs, der die Führung von Geheimer Staatspolizei und Kriminalpolizei (zusammen die Sicherheitspolizei, Sipo) sowie Sicherheitsdienst (SD) koordinierte. Der Brief ist alt, der Argwohn gegen deutsche Sicherheitsbehörden, der die Alliierten plagte, nicht mehr berechtigt . Aber das Grundanliegen ist und bleibt richtig: Geheimdienst und Polizei sollen nicht vermischt werden.

Das Urteil des Bundesverfassunsgerichts ist daher ein Segen. Gewiss: Es hätte noch schärfer ausfallen müssen. Sicherheitspolitiker haben nämlich die Neigung, ein Karlsruher Urteil, das (wie bei der Antiterrordatei) die "Grundstrukturen" akzeptiert und nur die Ausgestaltung im Einzelnen für verfassungswidrig erklärt, mit einem "Passt schon" abzuhaken. Bundesinnenminister Friedrich hat sich schon dergestalt erklärt.

Aber das Urteil macht deutlich, dass die Anti-Terror-Politik eben nicht passt. Terrorbekämpfungsgesetze dürfen keine Terrorbekämpfungs-Entgrenzungsgesetze sein. Man kann nicht den Rechtsstaat vor dem Terror schützen, indem man die Regeln des Rechtsstaats auflöst. Das ist die Lehre des Urteils.

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