Süddeutsche Zeitung

Bundesverfassungsgericht:Wenn die Justiz dünnhäutig ist

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Er habe "dämlich gegrinst", warf ein Kläger dem Richter vor. Dafür gibt es eine Geldstrafe wegen Beleidigung. Zu Unrecht: Beamte müssen sich auch persönliche Kritik gefallen lassen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wenn der Bürger mit der Entscheidung der Obrigkeit so ganz und gar nicht einverstanden ist, dann können deftige Worte fallen. Der besonnene Teil in diesem Streit sollte eigentlich der Staat sein. Doch manchmal reagiert er seinerseits dünnhäutig, wie man nun in zwei Beschlüssen des Bundesverfassungsgerichts nachlesen kann. Das Gericht hat zwei Geldstrafen aufgehoben, welche die Justiz gegen wütende Bürger verhängt hatte.

Im ersten Fall hatte ein Familienvater seiner getrennt lebenden Frau verbieten wollen, mit dem gemeinsamen Kind ins Ausland zu fahren. Damit scheiterte er vor Gericht, die Frau durfte fahren. Was ihn aber besonders aufbrachte: Der Richter habe ihm dieses Ergebnis mit einem süffisanten Lächeln mitgeteilt; er könne dann ja Beschwerde einlegen. Bevor das zuständige Oberlandesgericht aber über die Beschwerde entschieden hatte, war das Kind schon wieder zu Hause, und die Beschwerde erledigt. Es folgte ein unschöner Briefwechsel mit dem Landgerichtspräsidenten, in dem der Kläger schrieb: Der Richter habe das Urteil "mit einem dämlichen Grinsen" verkündet.

Wann ist es Kritik und wann Beleidigung?

Wer das Genre der Beamten- und Richterbeleidigung kennt, der weiß: "Dämliches Grinsen" erreicht auf der Skala der Diffamierungen keine hohen Werte, zumal es nur in einem Brief stand und nicht, wie sonst, im Netz kursierte. Da hat man schon ganz andere Dinge gehört. Auch im zweiten Karlsruher Fall hat man den Eindruck, dass es eher darum ging, einem renitenten Bürger zu zeigen, wo der Hammer hängt. Einreisekontrolle am Flughafen München am Schalter für Nicht-EU-Bürger, es dauert und dauert, irgendwann läuft einer der Wartenden rot an, verlangt Name und Dienstnummer des Beamten und fragt ihn, ob er überhaupt der deutschen Sprache mächtig sei und einfache Sachverhalte erfassen könne. Mehr nicht.

In beiden Fällen verhängten Gerichte Geldstrafen wegen Beleidigung, einmal 2400 Euro (30 Tagessätze), einmal 750 Euro (15 Tagessätze). In beiden Fällen hat eine Kammer des Verfassungsgerichts die Urteile wegen Verletzung der Meinungsfreiheit aufgehoben. Den Betroffenen sei es nämlich im Kern um eine - wenn auch überzogene - Kritik an staatlichen Entscheidungen und Prozeduren gegangen.

Kritik an Machtausübung ist erlaubt

Das Gericht erinnert daran, "dass der Schutz der Meinungsfreiheit gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik erwachsen ist und darin unverändert seine Bedeutung findet". Das müsse bei der Abwägung gewichtet werden. "Teil dieser Freiheit ist, dass Bürger von ihnen als verantwortlich angesehene Amtsträger in anklagender und personalisierter Weise für deren Art und Weise der Machtausübung angreifen können", heißt es in dem Beschluss. Wobei dies laut Gericht kein Freibrief für Hetze ist: Bei wirklich gravierenden Beleidigungen kann der Schutz von Amtsträgern doch wieder den Vorrang erhalten.

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