Bundesverfassungsgericht verhandelt über ESM und Fiskalpakt:Verfassungsrichter denken das Undenkbare

Ist die Euro-Rettung mit dem Grundgesetz vereinbar? Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, schließt eine schnelle Entscheidung in dieser Frage aus. Karlsruhe belässt es diesmal nicht bei den üblichen Warnungen, sondern zieht anscheinend das bedrohlichste Szenario in Erwägung: den dauerhaften Rettungsschirm zu stoppen, jedenfalls vorläufig.

Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es war noch nicht einmal zwölf Uhr, da wusste man, wie ernst die Sache wirklich steht. Sicher, dass die Klagen gegen den permanenten Rettungsschirm ESM und gegen den europäischen Fiskalpakt ernst zu nehmen sind, sehr ernst sogar, das war spätestens absehbar, als das Bundesverfassungsgericht innerhalb weniger Tage nach Verabschiedung der entsprechenden Gesetze Ende Juni durch den Bundestag eine Verhandlung ansetzte - obwohl doch eigentlich nur eine vorläufige Entscheidung über die Eilanträge zu treffen war.

President of German Constitutional Court Andreas Vosskuhle arrives with other judges for hearing on European Stability Mechanism and fiscal pact in Karlsruhe

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe muss eine Entscheidung mit weitreichenden Folgen treffen: Bleibt trotz ESM und Fiskalpakt die nationale Haushaltsautonomie gewährleistet?

(Foto: REUTERS)

Eine öffentliche Anhörung im Eilverfahren, das gehörte bisher nicht zu den Usancen des Gerichts, das musste die Bundesregierung also schon als Warnsignal verstehen, dass es diesmal möglicherweise nicht so ausgehen könnte wie sonst: mit ein paar Vorgaben zur Parlamentsbeteiligung und einigen mahnenden Worten, dass die rote Linie der europäischen Integration ohne vertiefte demokratische Absicherung nun aber erreicht sei. Aber als Andreas Voßkuhle gegen zwölf Uhr das Wort ergriff, wusste man, dass das Gericht das scheinbar Undenkbare in Erwägung zieht: den dauerhaften Rettungsschirm zu stoppen, jedenfalls vorläufig.

Der Präsident des Verfassungsgerichts wollte zur Mittagsstunde von der Bundesregierung wissen, ob sie es für akzeptabel hielte, wenn sich das Gericht für das Eilverfahren etwas länger als die sonst üblichen drei Wochen Zeit nähme. Denn im Eilverfahren soll das Gericht zwei Anforderungen erfüllen, die sich zuwiderlaufen: schnell zu einem Ergebnis zu kommen, aber gleichzeitig gründlich zu prüfen.

Voßkuhle schwebt eine Art "Zwischenverfahren" vor: eine sorgfältige Prüfung im Eilverfahren, deren Ergebnis offenbar das Urteil in der Hauptsache schon vorwegnehmen soll. Denn das Gericht sei sich bewusst, wie eine Einstweilige Anordnung - und sei sie noch so vorläufig - gerade im Ausland aufgenommen würde. Zum Beispiel mit der Titelzeile "Euro-Rettung gestoppt".

Entscheidung wohl erst nach der Sommerpause

Man kann diesem höchstrichterlichen Exkurs erstens entnehmen, dass das Gericht eine solche Anordnung für zumindest nicht unrealistisch hält. Und zweitens, dass das Gericht nicht bereits Ende Juli, sondern erst nach der Sommerpause eine Entscheidung treffen wird. Der SPD-Abgeordnete Peter Danckert, einer der Beschwerdeführer, regte an, das Gericht möge doch den Bundespräsidenten fragen, ob er mit seiner Unterschrift noch etwas länger warten könne. "Aber, Herr Voßkuhle, das haben Sie wahrscheinlich schon im Vorfeld getan."

Bei allem Verständnis des Gerichts für die "große politische Bedeutung" der Rettungsbemühungen: Wenn mit der Ratifizierung der Verträge vollendete Tatsachen geschaffen würden, könnte der "verfassungsgerichtliche Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren in der vorliegenden Konstellation möglicherweise leerlaufen", sagte Andreas Voßkuhle.

Dass in ihren Augen hier nicht weniger als die Demokratie auf dem Spiel stehe, hatten die Kläger zuvor in ihren nicht ganz von Pathos freien Stellungnahmen deutlich gemacht: "Wenn wir aufhören, die Demokratie zu entwickeln, fängt die Demokratie an, aufzuhören", dichtete Roman Huber von der Vereinigung "Mehr Demokratie" - deren Klage sollen sich inzwischen 23.000 Menschen angeschlossen haben. Etwas prosaischer klang der Freiburger Professor Dietrich Murswiek, der als juristischer Vertreter des Dauerklägers Peter Gauweiler schon einige Erfolge in Karlsruhe vorzuweisen hat: "Die sogenannte Euro-Rettung macht Europa ein Stück weniger demokratisch."

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