Urteil in Karlsruhe:Bayerisches Verfassungsschutzgesetz in Teilen rechtswidrig

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Am Beispiel Bayerns hat das Bundesverfassungsgericht in einem großen Verfahren ausgelotet, was Verfassungsschützer dürfen und was zu weit geht. (Foto: Uli Deck/dpa)

Das Bundesverfassungsgericht beanstandet eine Reihe von Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz des Freistaats, das 2016 auf Bestreben der CSU grundlegend überarbeitet worden war. Staatskanzleichef Herrmann kündigt eine Reform an.

Die weitreichenden Befugnisse des Bayerischen Landesamts für Verfassungsschutz verstoßen teilweise gegen Grundrechte. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe beanstandete an diesem Dienstag eine ganze Reihe von Vorschriften im Verfassungsschutzgesetz des Freistaats, das 2016 auf Bestreben der CSU grundlegend überarbeitet worden war. Betroffen sind unter anderem die Regelungen zum Ausspähen und Abhören von Wohnungen, zur Online-Durchsuchung und zur Handy-Ortung. Sie dürfen bis höchstens Ende Juli 2023 in eingeschränkter Form in Kraft bleiben, urteilte das Gericht ( Az. 1 BvR 1619/17).

Das Grundgesetz lasse dem Gesetzgeber "substanziellen Raum, den sicherheitspolitischen Herausforderungen auch im Bereich des Verfassungsschutzes Rechnung zu tragen", sagte Gerichtspräsident Stephan Harbarth bei der Urteilsverkündung. "Zugleich setzt die Verfassung hierbei gehaltvolle grundrechtliche Schranken."

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Von Johann Osel

Bayerns Staatskanzleichef Florian Herrmann kündigte nach dem Urteil eine Reform des Verfassungsschutzgesetzes an. "Natürlich beachten wir das Urteil", sagte der CSU-Politiker nach einer Sitzung des bayerischen Kabinetts in München. Bayern werde zunächst den Richterspruch aus Karlsruhe genau analysieren und dann das Gesetz entsprechend der Vorgaben anpassen. SPD und FDP hatten noch zuvor eine solche Reform gefordert.

Die Entscheidung der Richter sei ein wichtiges Signal für die Grundrechte - und ein Denkzettel für die CSU, hatte FDP-Landtagsfraktionschef Martin Hagen gesagt. Wie er forderte auch SPD-Fraktions- und Landeschef Florian von Brunn schnelle Konsequenzen: "Klartext aus Karlsruhe: Das bayerische #Verfassungsschutzgesetz verstößt gegen Verfassung, die es schützen soll. Für ausufernde & verfassungswidrige Überwachung ist die CSU verantwortlich. Deswegen hat sie eine deftige Watschn bekommen. Das Gesetz muss schnell reformiert werden!", schrieb er beim Kurznachrichtendienst Twitter.

Nach Auffassung des bayerischen Innenministers Joachim Herrmann (CSU) betrifft das Urteil jedoch nicht nur Bayern, sondern auch die anderen Länder sowie den Bund. "Es müssen wahrscheinlich der Bund und alle Länder ihre Gesetze ändern. Denn es gibt nach meiner Kenntnis kein einziges Gesetz, das all diesen Vorgaben, die heute formuliert worden sind, entspricht", sagte der CSU-Politiker nach der Urteilsverkündung.

Die Klage richtete sich auch gegen die Regelungen zum Einsatz verdeckter Ermittler

Das Verfahren angestoßen hatte die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) - um zu verhindern, dass das Beispiel Bayerns bundesweit Schule macht. Die Klage richtete sich unter anderem auch gegen die Regelungen zum Einsatz verdeckter Ermittler und sogenannter V-Leute, zu längeren Observationen und zur Datenübermittlung an andere Behörden. Auch hier gab es jeweils Beanstandungen in dem mehr als 150-seitigen Urteil der Verfassungsrichterinnen und -richter. Richterin Gabriele Britz, die im Ersten Senat für das Verfahren als Berichterstatterin zuständig war, hatte in der Verhandlung Mitte Dezember gesagt, noch nie seien nachrichtendienstliche Befugnisse in einer solchen Breite angegriffen worden. Dabei ging es jeweils nicht darum, ob das Instrument überhaupt eingesetzt werden darf, sondern um die Frage, unter welchen Bedingungen dieser Einsatz gerechtfertigt ist. Wie groß muss eine Bedrohung sein? Muss ein Richter seine Genehmigung erteilen? Braucht es eine unabhängige Kontrolle?

Die GFF hatte auf ein Grundsatzurteil gehofft, das deutlich über Bayern hinausreicht. Nach ihrer Einschätzung sind die Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittler oder sogenannter V-Leute sowie für längere Observationen in anderen Landesgesetzen und im Bund vergleichbar niedrig. Auch die Regelungen zur Datenübermittlung seien in vielen Ländern ähnlich weit gefasst wie in Bayern.

Verfassungsbeschwerde erheben kann nur, wer "selbst, gegenwärtig und unmittelbar" in eigenen Rechten betroffen ist. Als Kläger hatte die GFF deshalb drei Mitglieder der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) gewonnen, die im bayerischen Verfassungsschutzbericht als "linksextremistisch beeinflusste Organisation" erwähnt wurde.

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hatte 2016 im Landtag gesagt, man müsse den Verfassungsschutz "fit machen für künftige Herausforderungen": "Der Verfassungsschutz gehört angesichts stürmischer, von Terrorbedrohung und steigendem Rechtsextremismus geprägter Zeiten weiter gestärkt und nicht abgebaut."

Die GFF hingegen sah ein grundlegendes Problem darin, dass hier zunehmend die Grenzen verwischen. Ihr Vorsitzender Ulf Buermeyer kritisierte, die Hürden für den Austausch von Informationen seien kontinuierlich gesenkt worden. Dabei gilt eigentlich das sogenannte Trennungsprinzip: Die Geheimdienste wissen viel, dürfen aber nicht eingreifen - dafür ist die Polizei zuständig, die nicht alles weiß.

Gegen die umstrittenen Gesetzesänderungen hatte 2017 auch die Landtagsfraktion der Grünen Klage beim Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht. Das Verfahren ist noch anhängig.

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