Energiepolitik:War die Strompreisbremse verfassungswidrig?

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Konfliktstoff Strom: Die Entlastung der Verbraucher hätte durch Steuermittel finanziert werden müssen, argumentieren die Erzeuger vor Gericht. (Foto: Florian Gaertner/Imago)

Als zu Beginn des Ukraine-Kriegs der Strompreis in die Höhe schnellte, entlastete die Bundesregierung die Verbraucher – auf Kosten der Energieerzeuger. Jetzt steht sie dafür vor dem Bundesverfassungsgericht.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es hat sich in letzter Zeit die allzu pauschale These etabliert, die Ampelkoalition mache im Grunde alles falsch. Das mag der Grund dafür sein, dass die Erinnerung daran verblasst, dass sie auch mal etwas richtig gemacht hat, zum Beispiel nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Damals gingen die Gaspreise durch die Decke und zogen in der Folge den Strompreis nach oben, vom Vorkriegsniveau von fünf Cent pro Kilowattstunde auf das Zehnfache im August 2022. Die Bundesregierung etablierte daraufhin die Strompreisbremse, schöpfte einen Teil der exorbitanten Gewinne bei den Erzeugern erneuerbarer Energien ab und leitete sie an die Netzbetreiber weiter – zur Senkung der Preise. Am Ende hat es funktioniert und war sogar noch „gerecht“, wie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) fand: Wer vom Krieg besonders profitierte, leistete damit einen solidarischen Beitrag.

An diesem Dienstag hat man sich vor dem Bundesverfassungsgericht wiedergesehen, das heißt, Habeck war nicht da, aber sein Ministerialdirektor Philipp Steinberg mit einem halben Dutzend Mitstreiter. Sie mussten sich vor dem Ersten Senat gegen eine Verfassungsbeschwerde von 22 Photovoltaik-, Biomasse- und Windkraftwerken verteidigen, die die damalige Abschöpfungsaktion keineswegs für „gerecht“ halten, sondern für verfassungswidrig. „Die Entlastung hätte durch Steuermittel finanziert werden müssen“, sagte deren Anwalt Christian von Hammerstein.

Die These der Kläger lautet nämlich, die Abschöpfungsaktion – die letztlich nur bescheidene 750 Millionen Euro ausmachte und nicht die befürchteten 13 Milliarden – sei eine unzulässige Sonderabgabe gewesen. Sonderabgabe, das ist in Karlsruhe ein nahezu toxischer Begriff, denn er klingt nach haushaltstechnischer Trickserei: Weil keine Regierung gern die Steuern erhöht, greifen die Verantwortlichen gern zur alternativen Geldbeschaffung. Eine ausgewählte Gruppe wird zur Finanzierung klar definierter Zwecke herangezogen.

Der „Sachzweck“ einer Sonderabgabe darf sich nicht im Geldeintreiben erschöpfen

Das mag manchmal „gerecht“ erscheinen, ist aber keineswegs immer zulässig. Das Bundesverfassungsgericht hat hier mehr oder minder enge Grenzen gezogen, zum Beispiel muss eine Sonderabgabe einen eigenen „Sachzweck“ verfolgen, der sich nicht im Geldeintreiben erschöpft. Vor zehn Jahren hat das Gericht beispielsweise eine in der Filmbranche erhobene Abgabe für zulässig gehalten, weil sie der Förderung der künstlerischen Qualität des deutschen Films diente – und nicht nur zur Erhöhung der Einnahmen. Eine solche lenkende Funktion habe die Abschöpfung aber gerade nicht gehabt, argumentierte Hammerstein.

Die Bundesregierung freilich vertrat in Karlsruhe die Ansicht, hier handle es sich gar nicht um eine solche Sonderabgabe, sondern um eine zulässige Preisregulierung. „Wir haben uns bewusst für einen privatwirtschaftlichen Wälzungsmechanismus entschieden“, sagte Philipp Steinberg vom Wirtschaftsministerium. Soll heißen: Der Staat hat das Geld nicht etwa eingetrieben, sondern direkt dorthin geleitet, wo es seine preissenkende Wirkung entfalten sollte, zu den Netzbetreibern.

Steinberg erinnerte daran, dass die Bundesregierung wegen des Krieges erheblich unter Druck stand: „Niemand konnte die Aggression Russlands vorhersehen.“ In kürzester Zeit habe man die Gasmangellage beheben müssen, da sei dies der sinnvollste Mechanismus gewesen, um das Geld sofort den Verbrauchern zugutekommen zu lassen.

Dass vor allem die Erzeuger erneuerbarer Energien so stark profitierten, hat mit dem Preisbildungsmechanismus am Strommarkt zu tun. An der Strombörse bestimmt der teuerste Anbieter den Preis, der zur Deckung einer aktuellen Stromnachfrage benötigt wird. Bei niedrigem Bedarf reichen Wind und Sonne aus, wenn aber mehr Energie benötigt wird, bekommen auch die Gaskraftwerke den Zuschlag. „Wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, dann bestimmen die Gaskraftwerke die maßgeblichen Preise“, erläuterte Christian Ewald vom Bundeskartellamt.

Das Argument der Regierung: Die Kräfte des Marktes sollten nicht verzerrt werden

Der Mangel an Gas aber jagte in jenem Jahr 2022 ihre Kosten und damit ihre Preise in schwindelerregende Höhen. Vom hohen Einheitspreis profitieren besonders die Erzeuger erneuerbarer Energien – da sie nun mal unabhängig von fossilen Energieträgern produzieren.

Die Richterinnen und Richter des Bundesverfassungsgerichts verwendeten einen beträchtlichen Teil der Verhandlung darauf, diesen Mechanismus der Preisbildung bis ins Detail zu verstehen. Der Bundesregierung sei es wichtig gewesen, die Preissignale des Marktes nicht zu beschädigen, erläuterte deren Anwalt Holger Schmitz. Die „Grenzkosten“ der Anbieter – maßgebliche Größe für deren Angebot – durfte nach seinen Worten keinesfalls unterschritten werden. Die Kräfte des Marktes sollten nicht verzerrt werden.

War es also doch „gerecht“, bei ihnen zuzugreifen, zur Bewältigung der Krise? Christian von Hammerstein hielt dem entgegen, dass auch einige besonders effiziente Gaskraftwerke seinerzeit Gewinne eingestrichen hätten – ohne abgeschöpft worden zu sein. Gerecht? Eher nein, hieß das. Ein Urteil wird in einigen Monaten verkündet.

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