Karlsruhe:Der Soli bleibt

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Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe hat die Verfassungsbeschwerde abgelehnt: (von links)  Thomas Offenloch, Rhona Fetzer, die Vorsitzende Christine Langenfeld, Astrid Wallrabenstein und Peter Frank. (Foto: Uwe Anspach/Uwe Anspach/dpa)

Das Bundesverfassungsgericht billigt den Solidaritätszuschlag, dreieinhalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung. Aber ein Ende ist in Sicht.

Von Claus Hulverscheidt und Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Seit dem Donnerschlag des Schuldenbremsen-Urteils, mit dem das Bundesverfassungsgericht 2023 den 60 Milliarden schweren Klima- und Transformationsfonds zerschoss, blickt die Politik äußerst angespannt auf anstehende Karlsruher Finanzurteile. Dieses Mal ist die Sache aber gut ausgegangen, zumindest für die sich gerade zusammenfindende Regierungskoalition. Der Solidaritätszuschlag ist verfassungsgemäß, das gilt auch dreieinhalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung, zu deren Finanzierung er erhoben worden ist. Die Geldquelle, die zuletzt 12,6 Milliarden Euro in den Bundeshaushalt spülte, wird weiter sprudeln, und zwar mindestens bis zum Ende der Legislaturperiode. Der durch Änderungen des Grundgesetzes gerade erst ausgeweitete Spielraum bleibt erhalten, Union und SPD müssen sich nicht gleich zu Beginn mit einer neuen Finanzlücke herumplagen – der Soli bleibt.

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat damit die Verfassungsbeschwerde von sechs FDP-Abgeordneten abgewiesen, darunter Florian Toncar und Katja Hessel, bis vor Kurzem Parlamentarische Staatssekretäre im Bundesfinanzministerium – damit waren sie zeitweise Kläger gegen das eigene Haus. Nun aber ist das Ministerium in neuen Händen, und der amtierende wie auch der nächste Bundesfinanzminister werden sich über den Sieg in Karlsruhe freuen.

Wie weit der Sieg aber trägt, wie lange der Soli noch haltbar ist – das ist eine nicht einfach zu beantwortende Frage. Im Urteil findet sich die Formulierung „noch bis 2030“. Sie bezieht sich auf ein Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, das in der mündlichen Verhandlung erläutert hatte, „noch bis 2030“ habe der Bundeshaushalt Belastungen zu stemmen, die aus der Wiedervereinigung resultieren. Dazu zählen die Zuweisungen des Bundes an ostdeutsche Länder im Rahmen des Finanzausgleichs, aber auch Zuschüsse an die Rentenversicherung und die Sozialkassen sowie die Forschungsförderung. Der Geldtransfer an den Osten geht auch im Jahre 35 der Einheit weiter, heißt das – aber ein Ende ist in Sicht.

Zwar war dieser Befund in der Karlsruher Anhörung im November des vergangenen Jahres durchaus umstritten. An dieser Stelle kommt allerdings der weite Einschätzungsspielraum zum Tragen, den das Gericht dem Gesetzgeber gewährt. Nur wenn die Voraussetzungen für den Solidaritätszuschlag „in evidenter Weise“ entfallen, wenn also für jeden offenkundig wird, dass die Steuern für die Finanzierung der deutschen Einheit nicht mehr benötigt werden – nur dann würde Karlsruhe ein Stoppschild aufstellen. Das Gericht verordnet sich also selbst große Zurückhaltung.

Entscheidend ist der Zeitpunkt, an dem die Aufgabe erledigt ist

Das sollten die Finanzpolitiker künftiger Koalition allerdings nicht als Einladung verstehen, den Soli oder ähnliche Steuern kreativ mit einem Label zu versehen und das Geld dann für ganz andere Dinge zu verwenden. In seiner Begründung macht das Gericht – als Berichterstatterin war Rhona Fetzer zuständig – deutlich, dass eine solche Ergänzungsabgabe, wie das steuertechnisch heißt, keineswegs beliebig erhoben werden darf. Der finanzielle Mehrbedarf, der dadurch gedeckt werden soll, muss sich auf eine „bestimmte Aufgabe“ zurückführen lassen.

Das heißt: Ergänzende Steuern dieser Art dürfen für konkrete Reformvorhaben erhoben werden – der Ausbau des Bildungswesens oder der Bundeswehr werden als Beispiele genannt. Solche Abgaben können den Steuerzahlern dann auch – siehe Soli – sehr lange erhalten bleiben. Fristen gebe es dafür nicht, entscheidend ist der Zeitpunkt, an dem die Aufgabe erledigt ist. Weil aber Ergänzungsabgaben allein dem Bund zufließen, dürfen sie nicht ein Ausmaß annehmen, das die Statik der Mittelverteilung zwischen Bund und Ländern ins Wanken bringt. Karlsruhe bleibt also als Kontrolleur im Spiel, sowohl beim Solidaritätszuschlag, sollte er über 2030 hinaus existieren, als auch bei anderen Abgaben dieser Art.

Nebenbei hat das Gericht auch die modifizierte Gestalt des Zuschlags gebilligt. Bei seiner dauerhaften Einführung 1995 lag er bei 7,5 Prozent, 1998 wurde er auf 5,5 Prozent reduziert – und bescherte dem Bundeshaushalt bis ins Jahr 2018 Einnahmen von mehr als 310 Milliarden Euro. Seit 2021 werden nur noch rund 900 000 Steuerzahler mit sehr hohen Einkommen mit dem vollen Zuschlag von 5,5 Prozent belastet, darunter gibt es abgestufte Steuersätze, aber etwa 90 Prozent der Steuerzahler sind seither komplett vom Soli befreit. Er wurde, mit anderen Worten, zu einer Art Reichensteuer umgewidmet. Eine soziale Abstufung nach Leistungsfähigkeit sei mit dem Grundgesetz vereinbar, befand das Gericht.

Die Wirtschaft fordert dennoch, den Soli zu streichen

Für die künftige Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD ist das Karlsruher Urteil ein Segen. Zwar hatte die Union in ihrem Wahlprogramm selbst angekündigt, den Soli abzuschaffen. Hätte das Gericht sie jedoch jetzt dazu gezwungen, wäre der Bund in noch größere Haushaltsnöte geraten als ohnehin schon. Bereits jetzt klafft in der Finanzplanung für die kommenden Jahre eine nicht unbeträchtliche zweistellige Milliardenlücke.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) forderte Union und SPD auf, die Beseitigung des Solidaritätszuschlags ungeachtet des Urteils im Koalitionsvertrag zu verankern. „Dass der Zuschlag verfassungsgemäß ist, heißt nicht, dass er wirtschaftlich sinnvoll ist und fortbestehen muss“, sagte BDI-Hauptgeschäftsführerin Tanja Gönner. Alternativ müsse die künftige Regierung die Firmen des Landes an anderer Stelle entlasten, hieß es bei anderen Wirtschaftsvereinigungen. Sonst blieben Investitionen aus, wanderten Fachkräfte ab und müssten Betriebe ums Überleben kämpfen. Seit der letzten Unternehmensteuerreform im Jahr 2008 „verharrt die Politik im Dornröschenschlaf und sieht tatenlos zu, wie Deutschland zum Höchststeuerland wird“, klagte etwa der Handwerksverband.

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