Man weiß natürlich nicht, was der juristische Bevollmächtigte des Bundesfinanzministeriums dem Bundesverfassungsgericht zum Thema Solidaritätszuschlag gesagt hätte, stünde der Soli-Gegner Christian Lindner noch an der Spitze des Ministeriums. Doch nachdem im Zuge des Ampelcrashs der Sozialdemokrat Jörg Kukies das Ministerium übernommen hat, dürfte es dem Würzburger Hochschullehrer Kyrill-Alexander Schwarz deutlich leichter gefallen sein, die Verteidigerrolle für die umstrittene Steuer einzunehmen. „Wir sind der Auffassung, dass der Solidaritätszuschlag – Stand jetzt – verfassungsgemäß ist“, fasste Schwarz am Dienstag vor dem Bundesverfassungsgericht zusammen.
Der Solidaritätszuschlag ist für die nach der Wiedervereinigung ins Arbeitsleben eingetretene Generation stets fester Bestandteil der Gehaltsabrechnung gewesen, von 1995 an lag er bei 7,5 und ab 1998 bei 5,5 Prozent. Mit seinem Ertrag sollten die Kosten der Einheit finanziert werden. Seit 2021 hat er freilich ein gänzlich anderes Gesicht – „Solidarität“ wird seither nur noch den finanziell Starken abverlangt. Etwa 900 000 Steuerzahler werden in voller Höhe mit dem Zuschlag von 5,5 Prozent belastet, ab einem zu versteuernden Einkommen von gut 100 000 Euro bei einer Einzelveranlagung.
Fällt der Zuschlag weg, fehlen im Haushalt elf Milliarden Euro
Dagegen haben mehrere FDP-Abgeordnete Verfassungsbeschwerde erhoben. Darunter Florian Toncar und Katja Hessel, die – siehe oben – bis vor Kurzem Parlamentarische Staatssekretäre im Bundesfinanzministerium waren. Auch sie sind nach dem Ende der Koalition womöglich argumentativ befreit; ein Haushaltsloch, das ein Wegfallen der Soli-Erträge von gut elf Milliarden Euro pro Jahr bedeuten würde, könnten sie vorerst aus der Opposition kommentieren.
Den Kern ihrer Argumente fasste ihr Anwalt Henning Berger so zusammen: Mit dem Auslaufen des Solidarpaktes II im Jahr 2019 seien die Voraussetzungen für den Zuschlag entfallen. Und zwar deshalb, weil damit die Einheit bezahlt sei und die Abgabe wegen ihres „Ausnahmecharakters“ enden müsse. „Entfällt der Finanzbedarf, dann wird sie verfassungswidrig“, erläuterte Berger. Der Soli dürfe nicht zur Finanzierung dauerhafter Ausgaben des Bundes herangezogen werden.
Ob die Einheit wirklich abbezahlt ist, dazu gibt es naturgemäß unterschiedliche Auffassungen. Aber die Richterinnen und Richter des Zweiten Senats in Karlsruhe wollten zunächst klären, ob der Fortbestand des Solis wirklich an eine konkrete Einheitskostenrechnung gebunden ist? Oder kann so eine Steuer einfach beibehalten werden, auch wenn der ursprüngliche Zweck allmählich weggefallen ist? Gibt es da zeitliche Grenzen? Oder gilt „Soli forever“?
Das Gericht hatte sich dazu Henning Tappe als Sparringspartner eingeladen, Professor für Finanz- und Steuerrecht in Trier – und Anhänger eines großen Spielraums im Umgang mit solchen, wie es steuertechnisch heißt, „Ergänzungsabgaben“. Die Ergänzungsabgabe Soli sei eben nicht an einen konkreten Finanzbedarf gebunden. „Die Einheit war der Anlass, aber es gibt keine Zweckbindung“, sagte Tappe. „Er darf der Einkommensteuer nicht das Wasser abgraben. Aber davon sind wir weit entfernt.“
Müsste der Gesetzgeber nicht sagen, warum und wofür er das Geld braucht?
Die Nachfragen von der Richterbank machten deutlich, dass das Gericht einen derart weiten Spielraum des Gesetzgebers wohl nicht akzeptieren werde. Richterin Christine Langenfeld wollte wissen, ob eine solche Steuer nicht doch auf eine Übergangssituation begrenzt sei: „Auf eine Aufgabe, die nach einer gewissen Zeit – vielleicht nach Jahrzehnten – bewältigt ist?“ Tappes Ansatz folge doch einem recht weiten Verständnis, kommentierte auch ihr Kollege Holger Wöckel. Wenn die Steuer für einen Mehrbedarf erhoben werden solle – könnte der Gesetzgeber dann selbst definieren, worin der Mehrbedarf bestehe? Infrastruktur? Landesverteidigung? „Mein Verdacht ist, dass Sie die Ergänzungsabgabe vorbehaltlos für zulässig halten“, sagte Wöckel.
Den Gegenpart übernahm Hanno Kube, Professor in Heidelberg, ebenfalls als Sachverständiger geladen. Der Soli sei abhängig von einem „besonderen Finanzbedarf“, den der Gesetzgeber auch konkret benennen müsse – das sei eine Frage von Transparenz und demokratischer Verantwortlichkeit. Je mehr Zeit vergangen sei, desto kritischer müsse der Gesetzgeber die Steuer prüfen. Wenn die „anlassbedingte Bedarfsspitze“ weggefallen sei, müsse die Steuer gestrichen werden.
Einwände hatte Kube zudem dagegen, den Soli als „Reichensteuer“ anzulegen. Wer die Leistungsfähigeren stärker belasten wolle, der müsse die Einkommen- oder Körperschaftsteuer anheben und nicht den Umweg über den Soli nehmen, auch das sei eine Frage der demokratischen Transparenz. Aus seiner Sicht sei der Zuschlag schon seit 2020 verfassungswidrig. Ein Urteil ist erst in einigen Wochen zu erwarten.