Verfassungsbeschwerde:Ausländische Journalisten klagen gegen Abhörpraxis

BND-Außenstelle Bad Aibling

Sind "Ausländer im Ausland Freiwild"? Der BND überwacht etwa mit diesen Abhöranlagen im oberbayerischen Bad Aibling die Telekommunikation jenseits der deutschen Grenzen.

(Foto: Angelika Warmuth/dpa)
  • Geheimdienstlichen Abhöraktionen sind in Deutschland enge Grenzen gesetzt. Für das Ausspähen im Ausland gilt das Grundgesetz bislang nicht.
  • Im Januar befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit der Frage, wie weit Behörden beim Ausspähen von ausländischen Akteuren gehen dürfen.
  • Ein Bündnis aus Journalisten und "Reporter ohne Grenzen" hatte Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die ausländischen Medienvertreter fühlen sich ungerecht behandelt.
  • Geheimdienstler agumentieren, das Abhören sei wichtig, um zum Beispiel Terroristen zu bekämpfen.

Von Georg Mascolo und Ronen Steinke, Berlin

Zwanzig Jahre liegt der Richterspruch inzwischen zurück, und doch erinnert man sich im Kanzleramt bis heute mit Erleichterung an diesen Tag. In einem Grundsatzurteil entschied das Bundesverfassungsgericht im Juli 1999, dass die weltweite Abhörpraxis des Bundesnachrichtendienstes (BND) alles in allem nicht gegen das Grundgesetz verstoße. Die riesige Überwachungsmaschinerie konnte weiterlaufen.

Es war knapp gewesen, in ihrem Urteil kamen die Juristen einer entscheidenden Frage ziemlich nahe. Es ging darum, warum eigentlich nur die Deutschen und nicht alle anderen Weltbürger auch vor dem Mithören ihrer Telefonate oder dem Lesen ihrer E-Mails einen gesetzlichen Schutz haben sollten. Schließlich begnüge sich "das Grundgesetz nicht damit, die innere Ordnung des deutschen Staates festzulegen", sondern bestimme "in seinen Grundzügen" auch "sein Verhältnis zur Staatengemeinschaft". Am Ende duckten sich die Richter weg, sie warfen eine bedeutsame Frage auf - aber beantworteten sie nicht.

Dass zwei Tage lang verhandelt wird, ist ungewöhnlich

Nun steht die Frage erneut an, und manches spricht dafür, dass Karlsruhe sich die Entscheidung dieses Mal nicht so einfach machen will. Die Zeiten haben sich geändert, Geheimdienste greifen weltweit Daten ab, der amerikanische Whistleblower Edward Snowden hat Systematik und Ausmaß offengelegt. Zwei Tage lang soll nun vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt werden, am 14. und 15. Januar, das ist ungewöhnlich. Die Richter laden dazu nur in sehr seltenen Fälle ein - meist, wenn eine große Entscheidung bevorsteht. Es geht um den Artikel 10 des Grundgesetzes, er schützt das Telekommunikationsgeheimnis. Will eine Sicherheitsbehörde Menschen abhören, muss sie erhebliche Hürden nehmen.

Ziel der Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe, die ein Bündnis um die Organisation "Reporter ohne Grenzen" und mehrere ausländische Journalisten eingereicht haben, ist es, vereinfacht gesagt, dieses in Deutschland geltende Grundrecht weltweit anzuwenden. Dann wäre nicht mehr alle Kommunikation im Ausland "zum Abschuss freigegeben", wie es ein BND-Beamter einmal vor dem NSA-Untersuchungsausschuss formulierte.

Die Staaten sind Opfer und Täter zugleich

Im Kanzleramt und beim BND wird mit großer Nervosität auf die Verhandlung geschaut. Das ungeregelte weltweite Abhören ist eine zunehmend umstrittene Praxis. Weil die Kommunikation heute global ist und selbst eine innerhalb von München verschickte E-Mail um die ganze Welt reisen kann, besteht das Telekommunikationsgeheimnis faktisch kaum noch. Aber praktisch kein Staat will daran etwas ändern. Man ist zwar Opfer dieser Praxis - aber auch Täter. Ohne diese Befugnis, so sagte es der frühere BND-Präsident Gerhard Schindler einmal, könne er den "Laden dichtmachen". Nicht anders sieht es sein Nachfolger Bruno Kahl.

Die jetzige Klage ist eine direkte Folge der NSA-Affäre, die Bundesregierung gerierte sich allein als Opfer der amerikanischen Praktiken - und versuchte zu verschweigen, dass sie nach dem gleichen Prinzip agiert. Erst als Süddeutsche Zeitung, NDR und WDR das Kanzleramt 2015 mit entsprechenden Recherchen konfrontierten, räumte die Regierung dies gegenüber dem Bundestag ein. In der Folge flog auf, dass der BND europäische Regierungen abgehört hatte - und auch Journalisten. Betroffen war die BBC, mindestens ein Anschluss der New York Times in Afghanistan und der Nachrichtenagentur Reuters in Afghanistan, Pakistan und Nigeria. Reporter ohne Grenzen war empört - und kündigte eine Verfassungsbeschwerde an.

Ausländische Journalisten fühlen sich ausgespäht

In der mündlichen Verhandlung wird es nun also um Grundsätzliches gehen. Darf man das? Wie in kaum einem anderen Bereich stoßen hier berechtigte Interessen und grobe Grenzüberschreitungen aufeinander: Warum sollte man keine ausländischen Terroristen abhören dürfen? Aber warum sollte dies ebenso für ausländische Journalisten gelten, die nur ihre Arbeit machen? Eine der Klägerinnen ist Khadija Ismayilova aus Aserbaidschan, die gelegentlich auch mit der SZ zusammenarbeitet. Sie recherchiert zu korrupten Machenschaften der Herrscherfamilie in ihrem Land, deshalb müsse sie "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit" damit rechnen, in der Überwachung des BND zu landen. Denn für so etwas interessiere sich der Dienst. Ebenso wie für die Arbeit des slowenischen Reporters Blaž Zgaga, dessen Recherchen über Waffengeschäfte einen ehemaligen Premierminister seines Landes zeitweilig ins Gefängnis brachten.

Das Verlangen von Reporter ohne Grenzen, dass sich die Geheimdienstler an den deutschen Grundrechtekatalog halten, löst bei Juristen der Bundesregierung Kopfschütteln aus. Nirgends im Grundgesetz stehe geschrieben, dass es global Geltung beanspruche. "Es steht auch nicht explizit drin, dass das Grundgesetz in Kassel gilt", entgegnet Benjamin Rusteberg, Staatswissenschaftler der Uni Freiburg. "Trotzdem haben wir daran keinen Zweifel."

Geheimdienstler warnen, Terroristen könnten sich als Journalisten tarnen

Wie werden es die Karlsruher Richter sehen? Der ehemalige BND-Chef Schindler warnt in Interviews bereits. Man dürfe Journalisten nicht pauschal von der Überwachung freistellen. Weder in Deutschland noch weltweit sei Journalist eine geschützte Berufsbezeichnung. Die Führung der Terrormiliz Islamischer Staat könne etwa Journalistenausweise drucken und verteilen lassen. Die Betreiber einer terroristischen Webseite in Syrien, sagte Schindler vergangene Woche der Deutschen Presse-Agentur, könnten sich dann auf den Schutz durch Artikel 10 berufen. "Das kann ernsthaft niemand wollen."

In einer ergänzenden Stellungnahme für das Gericht beschwichtigt die bayerische Staatsregierung, der BND setze die sogenannte "strategische Fernmeldeaufklärung" - also die Massenüberwachung - in "deutlich geringerem Umfang ein" als andere Staaten. Dies sei jedoch dringend notwendig, auf die USA und Großbritannien, von denen beinahe alle Hinweise auf geplante Anschläge kämen, sei nicht mehr völlig Verlass. Trumps Amerika nehme eine "grundlegende strategische Neuausrichtung ihrer Außenpolitik vor", und nach dem Brexit sei unklar, ob London "weiterhin und dauerhaft eine enge sicherheitsstrategische Partnerschaft" mit der EU bilden werde. Das Kanzleramt legte sogar Zahlen offen: Fast 50 Prozent aller BND-Meldungen stammten aus der elektronischen Überwachung, fast zwei Drittel davon aus der reinen Auslandsaufklärung.

Der verantwortliche Richter gilt als vorsichtig

Dass es zu einem völligen Ende des weltweiten Lauschangriffs kommen wird, gilt Prozessbeobachtern als unwahrscheinlich - auch wegen des Richters, der in Karlsruhe als Berichterstatter das Urteil prägen wird. Johannes Masing, der einst von der SPD nominiert wurde, gilt als vorsichtiger Jurist. Einmal sagte er: "Das Bundesverfassungsgericht hat den Sicherheitsbehörden noch nie ein Aufklärungsinstrument gänzlich aus der Hand geschlagen." Andererseits erklärte Masing einmal bei einer Ansprache vor Geheimdienstlern, es sei auch eine "absurde Vorstellung", dass "Ausländer im Ausland Freiwild sind". Das könne kaum richtig sein für einen Staat wie die Bundesrepublik, der sich auf unveräußerliche Menschenrechte berufe.

Ein Ende jeder Überwachung wollen auch die Beschwerdeführer in Karlsruhe nicht erreichen, der Mainzer Rechtsprofessor Matthias Bäcker, der im Namen von Reporter ohne Grenzen nach Karlsruhe zieht, gibt sich stattdessen kompromissbereit. Er strebe keine Revolution an, sondern nur ein strengeres Verfahren, sagt Bäcker. Der BND dürfe nicht länger pauschal über die Rechte von Ausländern hinweggehen, er müsse anfangen, in jedem Einzelfall eine Rechtfertigung für sein Lauschen zu geben. Für eben eine solche Regelung votierte im Jahr 2016 übrigens bereits einmal der Bundestag - er räumte Bürgern der EU einen ähnlichen Schutzstandard ein wie den Deutschen.

Vogelfrei ist ihre Kommunikation damit nicht mehr, es braucht einen konkreten Anlass. Vielleicht erreicht die Klage von Reporter ohne Grenzen nun, dass dies künftig auch für Journalistinnen und Journalisten in aller Welt gelten wird.

Zur SZ-Startseite
Tracking Everything Teaser quadrat

Digitale Privatsphäre
:"Wir sind das Nutzvieh"

Die Überwachung und Vermarktung persönlicher Daten im Netz ist für Aral Balkan eine neue Form der Sklaverei. Der Programmierer hat sich gegen seine alten Kollegen gewandt und warnt vor dem Silicon Valley.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: