Bundesverfassungsgericht:Seehofer droht in Karlsruhe eine Niederlage

Bundesinnenminister Seehofer gibt Statement ab

Spricht Horst Seehofer hier als Minister? Oder als Parteipolitiker?

(Foto: Carsten Koall/dpa)

Der Bundesinnenminister nannte die AfD 2018 "staatszersetzend" - und stellte das Interview auf die Webseite seines Ministeriums. Aber die ist eine regierungseigene Ressource.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Am Karlsruher Schlossplatz wird es an diesem Dienstag eine weitere Folge aus der Reihe "Mit Rechten reden" geben. Denn das Bundesverfassungsgericht verkündet sein Urteil zu einer Klage der AfD. Der Bundesinnenminister hatte sehr aufgebracht mit der Partei geredet, oder besser gesagt: über sie. Sie sei "staatszersetzend", fand Horst Seehofer in einem Interview mit der Deutschen Presse-Agentur im September 2018.

Die AfD hatte den Bundespräsidenten kritisiert, der Minister führte den Gegenschlag. "Die stellen sich gegen diesen Staat. Da können sie tausend Mal sagen, sie sind Demokraten", schimpfte er. "Das ist für unseren Staat hochgefährlich." Man müsse die verbale Attacke auf den Präsidenten scharf verurteilen. "Das ist staatszersetzend."

Wer die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kennt, der weiß, dass dies eine Einladung für eine Organklage der AfD war - die dann auch gern angenommen wurde. Denn das Interview wurde auf der Homepage des Ministeriums wiedergegeben.

Dies aber hatte Karlsruhe im Jahr 2018 ausdrücklich untersagt: Eine "parteiergreifende" Äußerung eines Bundesministers im politischen Meinungskampf verletze die Chancengleichheit der Parteien, "wenn sie entweder unter Einsatz der mit dem Ministeramt verbundenen Ressourcen oder unter erkennbarer Bezugnahme auf das Regierungsamt erfolgt, um ihr damit eine aus der Autorität des Amts fließende besondere Glaubwürdigkeit oder Gewichtung zu verleihen".

Damals ging es um die frühere Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, die der AfD in einer offiziellen Pressemitteilung des Ministeriums die "Rote Karte" zeigen wollte. Und sich ihrerseits eine "Rote Karte" aus Karlsruhe einhandelte. Besser hatte es einige Jahre zuvor Manuela Schwesig gemacht, die zwar als Ministerin das Ziel ausgegeben hatte, "dass die NPD nicht in den Landtag kommt" - aber eben nur per Zeitungsinterview und ohne Nutzung des offiziellen Ministeriumskanals. Das war in Ordnung, fanden die Karlsruher Richter.

Der Minister als schillerndes Zwitterwesen

Nimmt man die Reihe der Karlsruher Urteile zusammen, dann zeichnet sich ziemlich klar ab, dass Seehofer am Dienstag verlieren wird; das war auch der vorherrschende Eindruck nach der Verhandlung im Februar. Die Homepage des Ministeriums ist nun mal eine regierungseigene Ressource. Das ist freilich keine sonderlich schmerzhafte Einschränkung der ministeriellen Redefreiheit; was ein Regierungsmitglied zu sagen hat, findet so oder so seinen Weg an die Öffentlichkeit.

Sehr viel interessanter dürfte sein, wie ernst das Gericht die allgemeine "Neutralitätspflicht" nimmt, die es mit der Wanka-Entscheidung staatlichen Organen und damit auch Ministern auferlegen wollte. Das damalige Urteil ist ein eher gewundenes Einerseits-Andererseits. Nein, die Regierung dürfe ihre Macht und ihre Amtsautorität nicht dazu nutzen, die Opposition im politischen Wettbewerb kleinzuhalten; das gebiete der Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien, heißt es dort. Zugleich aber darf die Regierung Angriffe gegen ihre Politik sachlich, aber unmissverständlich zurückweisen. Und "außerhalb seiner amtlichen Funktion" darf der einzelne Minister sowieso fast al-les sagen; ein Regierungsamt ist kein Maulkorb.

Ein Minister ist also, mit anderen Worten, aus Karlsruher Sicht ein schillerndes Zwitterwesen. Als Parteipolitiker darf er lautstark auf die Pauke hauen, als Regierungsmitglied ist allenfalls ein vorsichtiges Mezzoforte erlaubt. In der Praxis lässt sich das handhaben. Der Minister spricht, sobald es ernst wird, dann halt als Bürger oder Politiker. Und jeder Hörer oder Leser nimmt ihn trotzdem als Minister wahr.

In der staatsrechtlichen Theorie, so finden Kritiker, vertritt das Gericht damit aber ein seltsam entpolitisiertes Regierungsverständnis - als sei der Minister ein oberster "Berufsbeamter", sagte der Bonner Professor Klaus Ferdinand Gärditz, der Seehofer in Karlsruhe vertritt. In seiner Kritik des Wanka-Urteils hatte Gärditz damals dafür geworben, die Regierung als politische Einheit zu begreifen - und nicht als bürokratischen Wasserkopf. Regierungen hätten einen Wählerauftrag zu erfüllen und müssten dazu politische Auseinandersetzungen mit dem Gegner führen. "Politische Standpunkte gehören untrennbar zum Amt, sind aber nie neutral, zumal Regierungsämter legitimer- wie notwendigerweise durch Parteiloyalitäten erworben wurden", schrieb der Professor damals.

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