2,90 Euro kostet eine Kurzstrecke in der Straßenbahn in Mainz. Aber aus den 2,90 Euro können schnell Tausende Euro werden. Weil der drogenabhängige Peter K., der mit der Straßenbahnlinie 53 morgens um 8.31 Uhr unterwegs war, ohne eine solche Fahrkarte erwischt wurde, musste er 60 Euro „erhöhtes Beförderungsentgelt“ zahlen. Und damit war es nicht vorbei, das Verkehrsunternehmen erstattete Strafanzeige, das heißt: Vor Gericht beschäftigten sich auch noch ein gut bezahlter Richter, ein Staatsanwalt, mehrere Rechtspfleger mit dem Fall. Auch noch in einer zweiten Instanz, am Landgericht. Und nun soll dieser Fall auch noch vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe kommen, vor das höchste deutsche Gericht. Richterinnen und Richter in roten Roben! Mehr Aufwand geht kaum.
Denn Herr K. will es wissen. Oder besser gesagt: Die Anwältinnen und Anwälte, die sich seines Falles angenommen haben, wollen es wissen. Sie haben seinen Fall pro bono übernommen, es geht ihnen ums Prinzip. 2,90 Euro: Das soll jetzt ein Präzedenzfall werden. Denn: Vier Monate Freiheitsstrafe auf Bewährung, das war die ungewöhnlich harte Strafe, die in der rheinland-pfälzischen Justiz verhängt wurde für dieses eine Mal „Beförderungserschleichung“, wie das Schwarzfahren offiziell heißt. Das wären dann, falls dieser Täter – ein Mann, der als substituierter Heroinabhängiger von Bürgergeld lebt – rückfällig werden sollte und ins Gefängnis müsste, übrigens noch mal etwa 20 000 Euro Haftkosten. Zu zahlen von der Allgemeinheit.
Das will Herr K. nicht akzeptieren. Das sei auch völlig übertrieben, meint der Mainzer Rechtsanwalt Sebastian Sobota. Er hat gemeinsam mit seiner Kollegin Jessica Hamed eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Strafurteil geschrieben. 2,90 Euro seien ein „extrem geringes objektives Tatunrecht“, führen sie darin aus.
Wenn ein Täter vor dem Richter steht, fließen natürlich mehrere Faktoren in das Urteil ein. Wiederholungstäter werden härter bestraft, es soll ihnen eine Lehre sein. Peter K. ist ein solcher Wiederholungstäter. Aber, so fragen die Anwälte in ihrer Verfassungsbeschwerde: Gibt es nicht trotzdem irgendwo eine Grenze? Eine monatelange Gefängnisstrafe für 2,90 Euro – sprengt das nicht jede Vorstellung von Verhältnismäßigkeit? Es ist eine Grundsatzfrage. Die Anwälte meinen: Eine solch hohe Strafe verstoße gegen das „Übermaßverbot“, verankert im Grundgesetz.
Der Fall, der jetzt beim Bundesverfassungsgericht zur Prüfung liegt, könnte Auswirkungen auf sehr viele Strafprozesse haben. Insgesamt 7000 Menschen landen in Deutschland jedes Jahr wegen „Beförderungserschleichung“ hinter Gittern. Das Recht ist da teils erstaunlich streng. Und die Zweifel, ob diese Strenge noch wirklich angemessen ist, reichen bis hinauf in die Bundesregierung.
So ist die Ampelkoalition grundsätzlich schon länger der Meinung, dass man für 2,90-Euro-Bagatellen keine Staatsanwälte und Gefängnisse brauche. Vor einem halben Jahr legte Justizminister Marco Buschmann (FDP) schon „Eckpunkte“ vor: Schwarzfahren sollte zu einer bloßen Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden. Aber passiert ist seither nichts, einen Gesetzentwurf gibt es bis heute nicht.