Karlsruhe:CDU will Asylkritiker zum Verfassungsrichter machen

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Als Vorsitzender des Bundes Deutscher Verwaltungsrichter hat sich Robert Seegmüller immer wieder zum Asylrecht geäußert. (Foto: Lukas Schulze/DPA)

Das Bundesverfassungsgericht braucht einen neuen Richter – aber ist Robert Seegmüller der richtige dafür? Die CDU setzt auf den sehr konservativen Kandidaten, SPD und Grüne haben Bedenken. Das bringt den Zeitplan durcheinander.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Josef Christ ist im November 68 Jahre alt geworden, und weil er Verfassungsrichter ist, gibt es dafür eigens einen Paragrafen. Mit dem Ende des Geburtstagsmonats erreicht er die Altersgrenze. Seit dem 1. Dezember wäre er also in Pension, gäbe es nicht eine weitere Vorschrift: Solange kein Nachfolger ernannt ist, muss er weiter im Dienst bleiben.

Dass Karlsruher Richterwechsel nicht punktgenau gelingen, ist eher die Regel als die Ausnahme. Seit Wochen kursieren in der FAZ und auf Legal Tribune Online die Namen potenzieller Nachfolger – zuletzt lief es auf Robert Seegmüller zu, Richter am Bundesverwaltungsgericht. Die CDU möchte ihn für die Wahl im Bundestag nominieren, sie hat für den Posten das inoffizielle Vorschlagsrecht, das sich die Parteien wegen des Zwei-Drittel-Quorums wechselseitig zugestehen. Normalerweise klappt das ganz gut. Aber dieses Mal hakt es.

Die Sozialdemokraten würden den Kandidaten wohl mittragen – zähneknirschend

Die SPD, so war zu hören, würde den Kandidaten wohl mittragen, trotz seines sehr konservativen Profils – zähneknirschend, um den auf Einigung angewiesenen Modus nicht zu gefährden. Bei den Grünen scheint noch erhöhter Gesprächsbedarf zu herrschen. Als Wahltermin bot sich der 19. Dezember an – doch nun dürfte es mit Christs Pensionierung vor Weihnachten nichts mehr werden: Die Wahl soll ins nächste Jahr verschoben werden, wie aus der CDU auf Anfrage der SZ bestätigt wurde.

Dort hält man Seegmüller für den richtigen Mann für Karlsruhe. Als Mitglied des Bundesverwaltungsgerichts bringt er in der Tat einiges mit für den Job, schon deshalb, weil die Stelle qua Gesetz für Bundesrichter reserviert ist. In den 90er-Jahren war er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Udo Steiner im Bundesverfassungsgericht, er war sogar mal ans Bundespräsidialamt abgeordnet, zudem übte er zehn Jahre lang das Amt des Vizepräsidenten des Landesverfassungsgerichts Berlin aus.

Klar, er zähle zum rechten Flügel der CDU, sagt einer, der in kennt. Aber „erzkonservativ“ oder „reaktionär“, wie manche glauben? Keinesfalls. Im persönlichen Umgang sei Seegmüller gewinnend, als Interessenvertreter äußere er sich eben manchmal sehr zugespitzt.

Nach 2015 tat er sich als Kritiker des Asylrechts hervor

Dass gleichwohl der Schatten des Zweifels auf seine Eignung fällt, hat in der Tat mit seiner Funktion als Vorsitzender des Bundes deutscher Verwaltungsrichter und Verwaltungsrichterinnen zu tun. 2015 übernahm er den Vorsitz, im Jahr der sogenannten Flüchtlingswelle – und nutzte die neue Rolle, um sich in den darauffolgenden Jahren als dezidierter Kritiker des Asylrechts zu positionieren. Die Unwägbarkeiten bei den Asylzuständigkeiten in der EU nannte er „Justizlotterie“, die Ratschläge von Flüchtlingsräten zur Umgehung von Abschiebungen bezeichnete er als den „eigentlichen Angriff auf den Rechtsstaat“.

Das waren prononcierte Äußerungen, die freilich noch zum Rollenbild eines Verbandsvertreters gerechnet werden können – immerhin sind es die Verwaltungsrichter, die rechtliche Defizite am Ende ausbaden müssen. Allerdings wurden Seegmüllers Einlassungen von Interview zu Interview politischer – namentlich bei den umstrittenen Zurückweisungen an der Grenze. „Die nationale Rechtslage ist eindeutig“, sagte er 2018 der Zeitung Die Welt. „Zurückweisungen sind möglich, so steht es in Paragraf 18 Asylgesetz.“

Korrekterweise fügte er an, dass sich aus dem vorrangigen EU-Recht dann doch etwas ganz anderes ergibt: „Der Erlass des Unionsrechts wirkt wie ein Gletscher, der sich über die grüne Wiese des nationalen Rechts schiebt. Nationales Recht wird dadurch nicht unwirksam. Es ist aber, soweit es von oben betrachtet nicht mehr sichtbar ist, nicht anwendbar.“ Gletscher, Wiese? Die merkwürdige Metapher sollte offenbar deutlich machen, dass hier ein schützenswertes deutsches Zurückweisungsrecht europäisch niedergewalzt wurde.

Solche politischen Zuspitzungen vertragen sich eher schwer mit dem richterlichen Selbstverständnis

Seegmüllers verbale Ausflüge blieben in der eigenen Branche nicht unwidersprochen, wegen der Inhalte, vor allem aber deshalb, weil sich politische Zuspitzungen nur schwer mit dem richterlichen Selbstverständnis vertragen.

Gerade Verwaltungsrichter und -richterinnen benötigen hier eine berufsbedingte Sensibilität, denn sie urteilen oft über Situationen, in denen zwischen verletzlichen Menschen und mächtiger Staatsgewalt nur noch eine dünne Schutzschicht verläuft – das Recht, das die Gerichte zu verteidigen haben. Jedenfalls verzeichnete der baden-württembergische Landesverband wegen Seegmüllers Äußerungen mehrere Austritte und distanzierte sich von Bundesvorsitzenden.

Bleibt die Frage, ob die CDU ihn trotzdem ins Rennen schicken will – oder gerade deswegen. Robert Seegmüller wäre der erste Verfassungsrichter, der unter der Ägide des CDU-Parteichefs Friedrich Merz nach Karlsruhe geschickt würde. Merz steht für die konservative Rückbesinnung der Union – nach der Ära Merkel, die vielen in der CDU gerade wegen der Flüchtlingspolitik zu liberal erschien. Ob Seegmüller der geeignete Kandidat für Karlsruhe wäre, wird umstritten bleiben – der richtige Mann für Merz wäre er allemal.

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