Bundesverfassungsgericht:NPD - der braune Zwerg darf weiterexistieren

Das Bundesverfassungsgericht hat einen neuen Maßstab gesetzt: Parteien dürfen nur verboten werden, wenn sie wirklich zu einer Gefahr für die Demokratie zu werden drohen. Auf die NPD trifft das derzeit nicht zu.

Analyse von Wolfgang Janisch

Peter Müller kam als Dritter in der Reihe der Urteilsvorleser dran. Als Berichterstatter im Zweiten Senat hatte der einstige saarländische Ministerpräsident die Hauptarbeit für das NPD-Urteil zu leisten, 300 Seiten lang ist es geworden, so dick war seit dem KPD-Urteil von 1956 keine Entscheidung mehr.

Also Vorlesen mit verteilten Rollen: Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle begann, Peter Huber übernahm, Müller machte den Schluss. Doch wäre man erst bei ihm eingestiegen, so hätte man wohl gedacht: Jetzt haben sie die NPD doch verboten.

Die Partei missachte die Menschenwürde, erläuterte er und zitierte eine schwer erträgliche Reihe von Belegen für ihren ethnischen Volksbegriff. "Deutscher ist man durch sein Blut und durch nichts anderes!", hatte ein Landesverband gepostet. "Angehörige anderer Rassen bleiben deshalb körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper, egal, wie lange sie in Deutschland leben", hieß es in einer Broschüre. "Neger haben einen Intelligenzquotienten, der liegt vom schwachsinnigen Deutschen bis zum Normaldeutschen", deklamierte ein Vize-Vorsitzender.

Die NPD verfolgt verfassungsfeindliche Ziele, sie ist rassistisch und antisemitisch, antiparlamentarisch und rechtsstaatsfeindlich. Sie arbeitet sogar planvoll auf die Erreichung ihrer Ziele hin. All das hat das Verfassungsgericht festgestellt. Trotzdem bleibt die NPD eine legale Partei. Weil sie zu winzig und zu unbedeutend ist, um auch nur in die Nähe eines Umsturzes zu kommen. Als brauner Zwerg darf sie weiterexistieren - unter dem Schutz des Grundgesetzes, das sie beseitigen will.

Eine gefährliche Gesinnung ist nicht mehr genug

Also alle Freiheit für die Feinde der Freiheit? Ganz so bedingungslos ist das Urteil nicht ausgefallen. Denn die sieben verbliebenen Richter des Zweiten Senats haben ihr Urteil zwar einstimmig gefällt. Dennoch ist die NPD haarscharf an einem Verbot vorbeigeschrammt. Künftig wird sie zwar weiter ihre kruden Hetzparolen verbreiten können, aber fortan steht sie unter dem Damoklesschwert eines Verbots.

Sollte sie sich wider Erwarten zur relevanten Größe entwickeln, wüssten die zuständigen Verfassungsorgane, wie sie zu agieren hätten: "Das Urteil liefert deutliche Hinweise darauf, wann ein Parteiverbot möglich ist", sagte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und derzeitige Bundesratsvorsitzende Malu Dreyer (SPD). Hinzu kommt: Das Gericht deutet an, dass der ohnehin klammen NPD per Grundgesetzänderung die staatliche Finanzierung gestrichen werden könnte.

Aber warum hat das Gericht auf den letzten Schritt verzichtet, obwohl das Verbot in greifbarer Nähe lag? Der Grund dafür reicht zurück bis zum KPD-Verbot. Die Kommunistenpartei wurde seinerzeit wegen ihrer aktiv kämpferischen, aggressiven Ideologie verboten. Das Urteil knüpfte also an eine Gesinnung an, die dem Staat als gefährlich erschien.

Eine Gesinnung allein, so korrigiert nun das Verfassungsgericht des Jahres 2017, darf aber nie die Basis eines Parteienverbots sein. Selbst dann nicht, wenn sie jener Gesinnung gleicht, mit der sich Deutschland einst in den Abgrund gestürzt hat.

Gericht setzt auf Reife der demokratischen Gesellschaft

Das ist eine der interessantesten Wendungen des Urteils. Denn Karlsruhe stellt fest, die NPD sei wesensverwandt mit der Partei der Nazis. "Volksgenosse kann nur sein, wer deutschen Blutes ist", hieß es einst im Partei-Programm der NSDAP. Das entspreche genau den Vorstellungen der NPD, diagnostiziert der Zweite Senat. Das hätte dem Gericht vermutlich einen unanfechtbaren Grund für ein Verbot geliefert.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der durchaus hohe Hürden für Parteiverbote errichtet hat, wäre wohl kaum einem deutschen Gericht in die Parade gefahren, das eine Nazipartei verbietet. Und doch darf die braune Nichte der Nazipartei in Deutschland weiterexistieren - unter ebenjenem Grundgesetz, das einst als freiheitliches Gegenbild zum NS-Regime errichtet worden war.

In Zeiten, in denen die Freiheitlichkeit nicht gerade Konjunktur hat, klingt das wie ein urliberales Zeichen. Anstatt die erklärten Feinde der Freiheit mit einem Verbot aus dem Weg zu räumen, setzt das Gericht auf die Reife der demokratischen Gesellschaft.

Das Grundgesetz vertraue auf die Kraft der geistigen Auseinandersetzung "als wirksamste Waffe auch gegen die Verbreitung totalitärer und menschenverachtender Ideologien". Es ist ein Vertrauensbeweis an die Zivilgesellschaft - und ein Signal an die Autokraten anderer Länder, dass in Deutschland Parteien nicht so schnell verboten werden.

Zugleich aber hält das Gericht das Prinzip der wehrhaften Demokratie in Reserve. Deshalb formuliert es einen neuen Maßstab, der nicht an Gesinnungen, sondern an Gefahren anknüpft. Eine Partei darf nur dann verboten werden, wenn "konkrete Anhaltspunkte von Gewicht" dafür vorliegen, dass sie das Potenzial zur Umsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele hat.

Damit setzt das Verbot zwar weit vor konkreten Umsturzgefahren an. Wenn freilich nichts darauf hindeutet, dass ein politischer Winzling wie die NPD zum Machtfaktor in den Parlamenten oder auf der Straße werden könnte, dann muss der Staat sein Schwert stecken lassen. Oder, wie es in dem Urteil heißt: Dann bedarf es "des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot als schärfste und überdies zweischneidige Waffe des demokratischen Staates gegen seine organisierten Feinde nicht".

Greifbare Belege für eine NPD-Dominanz fehlen

Konkrete Anhaltspunkte? Es war eine der großen Überraschungen der dreitägigen Anhörung im März, dass hier weder Bundesrat noch Sachverständige besonders viel zu bieten hatten. Aus den Landesparlamenten ist die NPD nach dem Scheitern in Mecklenburg-Vorpommern im vergangenen Herbst völlig verschwunden, auf Bundesebene lag sie zuletzt bei 1,3 Prozent; und auch in den Kommunen, wo sie noch gut 330 Mandate hält, ist sie nie zu einem wichtigen Faktor geworden - übrigens auch deshalb, weil sie keinen Koalitionspartner findet.

Auch für eine NPD-Dominanz außerhalb der Parlamente fehlten dem Gericht greifbare Belege. "National befreite Zonen", mit denen sich die Extremisten brüsten, konnte das Gericht allein in dem 47-Einwohner-Dorf Jamel ausmachen. Und die Gewalt im rechtsextremen Milieu lasse sich der NPD nicht gerichtsfest zuordnen. Jahrzehntelang wurde die NPD unter dem Vergrößerungsglas der deutschen Geschichte beobachtet. Das Urteil liest sich nun, als sei sie dadurch zum Scheinriesen gewachsen.

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