BundesverfassungsgerichtUmweltschützer klagen gegen das neue Klimagesetz

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Aktivisten der DUH protestieren mit Masken der Minister Habeck und Lindner sowie von Kanzler Scholz (v.li.) vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg.
Aktivisten der DUH protestieren mit Masken der Minister Habeck und Lindner sowie von Kanzler Scholz (v.li.) vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg. (Foto: Paul Zinken/DPA)

Umweltorganisationen haben in Karlsruhe inzwischen drei Verfassungsbeschwerden gegen das neue, weichgespülte Klimaschutzgesetz der Bundesregierung eingelegt. Ihre Chancen stehen nicht schlecht, das Wunder von 2021 zu wiederholen.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Wer ein Gesetz vor dem Bundesverfassungsgericht angreifen will, kann sich im Grunde Zeit lassen. Ein Jahr beträgt die Frist, oft schöpfen Anwälte oder Professorinnen sie aus; solche Verfassungsbeschwerden sind schließlich kompliziert. Das neue Klimaschutzgesetz (KSG) allerdings ist noch keine zwei Monate alt, und an diesem Montag trudelt bereits die dritte Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe ein – Zeit ist ein entscheidender Faktor beim Klimaschutz.

Germanwatch und Greenpeace haben mehr als 50 000 Kläger dahinter versammelt, mit dabei: Luisa Neubauer. Vergangene Woche hatten der Bund für Umwelt und Naturschutz und der Solarenergie-Förderverein ihre Klage eingereicht. Noch schneller war die Deutsche Umwelthilfe (DUH): Ihr gut 200 Seiten starker Schriftsatz war bereits am 17. Juli in Karlsruhe eingetroffen – dem Tag, an dem das Gesetz in Kraft trat.

Inzwischen wird Klimaschutz verstärkt auch vor Gericht betrieben, nicht nur in Deutschland

Die Verbände hoffen, mit den Klagen gegen das weichgespülte KSG das Wunder vom Frühjahr 2021 zu wiederholen. Damals hatte das Bundesverfassungsgericht in einem spektakulären Beschluss die Klimagesetze beanstandet. Die konkreten Folgen waren zwar überschaubar, die nötigen Nachbesserungen wurden rasch umgesetzt. Wirklich atemberaubend war damals aber, dass es dem Gericht gelungen war, unzureichende Klimapolitik als eine Verletzung der Freiheitsrechte künftiger Generationen fassbar und damit rechtlich überprüfbar zu machen.

Insbesondere junge Menschen können auf eine Reduzierung der Emissionen klagen, weil ihre Freiheit wegen immer drastischerer Klimaschutzmaßnahmen sonst in kommenden Jahrzehnten wegschmilzt wie die Gletscher und Polkappen.

Die Klimaschutzaktivistinnen Baro Gabbert und Luisa Neubauer, die Anwältin Roda Verheyen und Jürgen Resch von der DUH (v.li.) bei einer Pressekonferenz.
Die Klimaschutzaktivistinnen Baro Gabbert und Luisa Neubauer, die Anwältin Roda Verheyen und Jürgen Resch von der DUH (v.li.) bei einer Pressekonferenz. (Foto: Annette Riedl/DPA)

Seither wird Klimaschutz verstärkt auch vor Gericht betrieben, nicht nur in Deutschland. Gerade erst hat das Verfassungsgericht von Südkorea die dortige Regierung zu wirksamen Klimaschutzmaßnahmen verurteilt – zum Schutz der Rechte künftiger Generationen.

Die Klimaziele bleiben gleich, aber das Gesetz ist bewusst unübersichtlich gestaltet worden

Nun beginnt also die nächste Runde in Karlsruhe. Zwar hatte sich das Gericht nach 2021 ostentativ zurückgehalten und weitere Beschwerden abgewiesen, um nicht in den Ruch des Aktivismus zu geraten. Schaut man sich die neuerlichen Klagen an, wäre es allerdings erstaunlich, wenn das KSG ohne Blessuren davon käme.

Dabei muss man sagen: Oberflächlich betrachtet, hält das KSG an den bisherigen Klimazielen fest. Bis 2030 müssen die Treibhausgasemissionen – gemessen an 1990 – um mindestens 65 Prozent verringert werden, bis 2040 um 88 Prozent. So stand es im alten Gesetz, so steht es im neuen. Allerdings verfügte das alte Regelwerk über einen wirkungsvollen Mechanismus, mit dem sich die Politik selbst in Handlungszwang versetzt hatte – eigene Ziele für abgegrenzte Sektoren wie Gebäude oder Verkehr sowie Sofortprogramme, wenn ein Ziel gerissen wird. Ein mustergültiges Gesetz mit eingebauter Konsequenz, wenn man so will.

Im neuen KSG ist die Überprüfung, ob die Klimaziele eingehalten sind, indes bewusst unübersichtlich gestaltet worden. Die Aufteilung in Sektoren ist aufgegeben worden, stattdessen wird in einer „sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung“ ermittelt, ob die zulässigen Emissionsmengen eingehalten worden sind. Mit der Reform hat die Ampelkoalition gewissermaßen den Blick unscharf gestellt: Ob der Kurs beim Klimaschutz so bleiben darf oder doch wieder restriktiver werden muss, weil Ziele verfehlt werden – das entscheidet sich am Blick aufs große Ganze.

Zukünftige Freiheit darf nicht darunter leiden, dass wirksamer Klimaschutz aufgeschoben wird

Für den Klimaschutz ist das ungünstig, trotzdem würde man in anderen Zusammenhängen sagen: Das ist Politik, es gehört zur Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, auch mal schlechte Gesetze zu machen und gegebenenfalls nachzubessern. Da kann das Gericht wenig machen. Allerdings kommt an dieser Stelle die höchstrichterliche Innovation des Jahres 2021 zum Tragen, der Zeitfaktor beim Grundrechtsschutz: Freiheit muss auch in Zukunft gewährleistet sein – und darf nicht dadurch aufgebraucht werden, dass wirksamer Klimaschutz aufgeschoben wird.

Genau dies aber geschieht, so steht es in der Beschwerdeschrift von Greenpeace und Germanwatch, verfasst unter anderem von der schon 2021 in Karlsruhe erfolgreichen Anwältin Roda Verheyen. Die derzeit günstige Projektion des Umweltbundesamtes, wonach wenigstens die Klimaziele bis 2030 knapp gehalten werden können, halten sie für zu optimistisch, wie übrigens auch der Expertenrat für Klimafragen, ein von der Bundesregierung eingesetztes Gremium. Denn für diese überraschende Wende sei vor allem die gegenwärtige Wirtschaftskrise verantwortlich, nicht aber ein effizienter Klimaschutz. Und selbst wenn: Für das Jahrzehnt nach 2030 bestünden „nach einhelliger Einschätzung erhebliche Defizite“. Das Budget wäre damit schon vor 2040 erschöpft.

Aus Sicht der Anwälte ist im kommenden Jahrzehnt eine „Vollbremsung“ notwendig

Die Kläger monieren, dass bei verfehlten Klimazielen zu spät nachgesteuert werde – und nach 2040 Zielverfehlungen überhaupt nicht mehr angerechnet würden. Außerdem halten sie das im Gesetz niedergelegte Budget für CO₂-Emissionen für zu niedrig. Das Budget, von dem das Bundesverfassungsgericht noch 2021 ausgegangen sei, sei nämlich inzwischen deutlich geschrumpft, heißt es in der Klageschrift.

Das liege am fortschreitenden Klimawandel, aber auch an präziseren Berechnungsmethoden. Im Klimabeschluss war noch von 6,7 Gigatonnen Kohlendioxid die Rede, doch die Kläger gehen von nur noch 3,9 Gigatonnen aus. Bliebe es beim Reduktionspfad, den das KSG vorzeichnet, dann wäre es 2033 aufgezehrt.

Das eine wie das andere Szenario macht aus Sicht der Anwälte im kommenden Jahrzehnt eine „Vollbremsung“ notwendig: drastische Maßnahmen, um die Emissionen nach unten zu drücken. In einer parallelen Beschwerdeschrift zum Verkehrssektor werden einige Stichworte genannt: Preissprünge beim Benzin um 43 bis 86 Cent je Liter oder beim CO₂-Preis von derzeit 45 auf bis zu 350 Euro pro Tonne. Auch Fahrverbote oder gar Stilllegungen von Autos halten sie für möglich.

Es droht ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung

An dieser Stelle bringt Verheyen einen neuen juristischen Ansatz ins Spiel: Eine derartige Vollbremsung mit tiefen Eingriffen namentlich in die Mobilität wäre nicht nur eine Verletzung von Freiheitsrechten, sondern zugleich ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Und zwar deshalb, weil die sozial Schwächeren härter getroffen würden, wenn die Preise etwa fürs Autofahren in astronomische Höhen stiegen.

Menschen mit niedrigen Einkommen, die fernab von Bus und Bahn leben und sich kein E-Auto leisten können, würden von einer neuen Mobilitätsarmut hart getroffen. Dies verstoße gegen den Grundsatz der Lastengleichheit. Oder wie Verheyen es ausdrückt: „Das wäre eine Freiheit nach Maßgabe des Geldbeutels.“

Nun ist also das Bundesverfassungsgericht am Zug, freilich in veränderter Besetzung – Gabriele Britz, Autorin des Klimabeschlusses, ist vergangenes Jahr ausgeschieden, für das Verfahren ist nun der Berliner Professor Martin Eifert als Berichterstatter im Ersten Senat zuständig.

Ob der das Tempo aufnimmt, dass die Verbände vorgegeben haben, wird man sehen. Jedenfalls kann er nachholen, worauf Britz damals wegen Pandemie und Infektionsschutz verzichten musste: über das Generationenthema Klimaschutz in einer öffentlichen Anhörung zu verhandeln.

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