Bundesverfassungsgericht:Jutta Limbach - Miss Marple des Rechtsstaats

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Die SPD-Politikerin Limbach war von 1989 bis 1994 Justizsenatorin in Berlin. 1994 wechselte sie zum Bundesverfassungsgericht und wurde noch im selben Jahr zur Präsidentin ernannt. (Foto: dpa)

Die ehemalige Präsidentin des Verfassungsgerichts hielt nichts von Krachmacherpolitik, die jeder Gewalttat ein neues Gesetz folgen lässt.

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Andere fordern fortwährend innere Sicherheit. Diese Frau hatte sie. Sie hatte ein gelassenes Selbstbewußtsein und ein unerschütterliches Vertrauen in die Grundrechte unserer Verfassung. Sie war Jutta Courage. Eine zerbrechlich wirkende, aber starke Vertreterin des starken Staates - freilich in ganz anderer Weise als die vielen Innenminister, die mit immer neuen Rechtsverschärfungen die innere Sicherheit verbessern wollen.

Jutta Limbach hielt nichts von einer solchen Krachmacherpolitik, die jeder Gewalttat ein neues Gesetz folgen lässt. Für sie war der Staat ein starker Staat, der weiß "dass die Menschen- und Bürgerrechte noch immer die besten Garanten der inneren Sicherheit sind". Diese Überzeugung hat sie sich nicht nehmen lassen - nicht als Justizsenatorin in Berlin, nicht als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, nicht als Chefin des Goethe-Instituts.

Zu ihren Stärken zählte, dass man sie leicht unterschätzte. So erging es seinerzeit, 1989, den Genossen im rot-grünen Senat von Berlin. Die glaubten damals, sie hätten mit der neuen Justizsenatorin - einer Professorin für Rechtssoziologie, Handels-, Wirtschaft- und Familienrecht an der Freien Universität - leichtes Spiel. Die Männer hatten ihre Ambitionen auf den Senatorensessel dem Vorhaben des Regierenden Bürgermeisters Walter Momper opfern müssen, den Senat zur Hälfte mit Frauen zu besetzen.

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Limbach, damals völlig unbekannt, hatte zwar eine ansehnliche sozialdemokratische Familiengeschichte, aber keine Hausmacht in der SPD - dafür einen ebenso liebenswürdigen wie unbeugsamen Eigensinn. Machtpolitisches Kalkül traute man ihr nicht zu, aber sie kannte die Spielchen und konnte mit ihnen umgehen: nicht mit brachialer Attitüde, sondern mit großem diplomatischem Gespür und einer bewundernswerten Argumentationskraft, mit der sie es es immer wieder fertigbrachte, ihre Gedanken so zu vermitteln, dass ihre Gesprächspartner glaubten, es wären ihre eigenen.

Limbach könne "ohne Überlegenheitsgestus Autorität vermitteln"

So hat sie Auseinandersetzung um Auseinandersetzung gewonnen, so überlebte sie Rot-Grün, so blieb sie Senatorin in der großen Koalition von Eberhard Diepgen, so hat sie ab 1994 als Vorsitzende den zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts geleitet, so war sie als Präsidentin. Bei ihr gab es Kaffee und Kuchen, bei ihr standen immer die gut gefüllten Obstschalen, bei ihr fühlte man sich - bei allem Respekt - zu Hause, weil sie zuhören konnte und einem das Gefühl gab, dass es für sie jetzt nichts Wichtigeres gab als dieses Gespräch. Ein früherer Kollege am Bundesverfassungsgericht hat über Jutta Limbach gesagt, sie könne "ohne Überlegenheitsgestus Autorität vermitteln". Das konnte sie wirklich; und das kann wirklich nicht jeder, auch nicht, wenn er ein hohes Amt hat.

Miss Marple war ihr Spitzname - weil sie durchaus ein wenig an die schrullige Jungfer mit dem scharfen Verstand aus den Kriminalromanen von Agatha Christie erinnerte; zumal dann, wenn Jutta Limbach, die von ihr so geliebten Blümchenkleider trug. Ihren Spitznamen zitierte sie selbstironisch gerne selber. Und an dieser Miss Marple biss sich auch ein Otto Schily die Zähne aus. Als der damalige Bundesinnenminister mit ihr wegen des dann gescheiterten NPD-Verbots telefonieren wollte, hat sie ihn nicht einmal durchstellen lassen.

Linksliberale Rechtspolitik war bei ihr gut aufgehoben, weil sie ihre Positionen professoral beredt, aber nie hochgestochen vertrat - ob Hafterleichterungen für RAF-Häftlinge oder die Ablehnung des großen Lauschangriffs. Ihre Position als Justizsenatorin bei der Verfolgung des DDR-Unrechts war einfach und klar: Sie wollte, "dass die Justiz aus der Geschichte lernt" und nicht wieder so erbärmlich versagt wie bei der Verfolgung der NS-Täter.

Einmal ist sie mit all ihren Gaben gescheitert - und dieses Scheitern hat sie all die Jahre seitdem verfolgt. Als das Bundesverfassungsgericht über die Verkleinerung des alten Asylgrundrechts zu entscheiden hatte, konnte sie sich mit ihrer Ablehnung nicht durchsetzen. Ihr Senat ließ die hochumstrittene Änderung des Asylgrundrechts mehrheitlich passieren und Limbach schrieb, ebenso wie Ernst-Wolfgang Böckenförde, ein bitteres Minderheitenvotum, das zu lesen sich noch heute lohnt.

Limbach blieb, auch beim Reden über solche Niederlagen, von gewandter Freundlichkeit. Sie kam ins Schwärmen, wenn sie von ihrer SPD-Familie erzählte: Die Urgroßmutter hat einen Arbeiter-, Frauen- und Mädchenverein gegründet; die Großmutter war Mitglied der der Weimarer Nationalversammlung, der Vater gleich nach dem Krieg Bezirksbürgermeister von Pankow.

Wenn Jutta Limbach ihren Lebensweg schilderte, neigte sie sehr uneitel dazu, ihn als Ergebnis glücklicher Umstände dazustellen. Ursprünglich hatte sie Journalistin werden wollen, studierte dann aber Jura, sah sich schon als Richterin, entdeckte ihre wissenschaftlichen Neigungen und begann mit der Habilitation, als sich gerade das dritte Kind ankündigte.

Sie wollte sich nie als feministisches Vorbild präsentieren, weil sie "mit geschlechtsspezifischen Widrigkeiten" nie zu kämpfen gehabt habe. Stattdessen erzählte sie gern von der "partnerschaftlichen Familienorganisation"; ihr Mann Peter Limbach war schließlich Organisationsprofi - er arbeitete als Leiter der Organisationsreferats im Bonner Innenministerium.

Sie habe, sagte Jutta Limbach gern, ihren Kindern "eine eigenwillige, wechselvolle Lebensweise und mehr Selbstständigkeit als ihren Altersgenossen zugemutet". Ein Schaden sei das nicht gewesen.

Ihre journalistischen Neigungen kamen Limbach zugute, als sie die Pressestelle des Bundesverfassungsgerichts aufbaute, das die Öffentlichkeitsarbeit bis dahin hatte schleifen lassen. Und der kluge Umgang mit der Öffentlichkeit zeigte sich auch, als sie Präsidentin des Goethe-Instituts war.

Zuletzt leitete sie, mit beharrlicher Energie, die Kommission der Bundesregierung zur Rückgabe der von den Nazis als "entartet" verfemten Kunst: "Ein Bild lässt sich abhängen, Schuld nicht" sagte sie dazu in ihrem letzten SZ-Interview vor zwei Jahren. Am Montag ist Jutta Limbach im Alter von 82 Jahren in Berlin gestorben. Sie wurde so alt, wie es Miss Marple im letzten Krimi von Agatha Christie war.

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