Das Bundesverfassungsgericht gilt gemeinhin als sehr mächtig, und in der Tat kann es atemberaubende Dinge tun. Gesetze für nichtig erklären zum Beispiel, also ein Regelwerk umstoßen, das der Bundestag beschlossen, der Bundesrat akzeptiert und der Bundespräsident ausgefertigt hat. Insofern ist es ein interessanter Rollenwechsel, wenn eine solche Institution selbst Gegenstand eines Gesetzes wird, wie dies nun bei den geplanten Regeln zur Krisenfestigkeit des Gerichts der Fall ist. Wie verhält man sich da als Bundesverfassungsgericht? Schweigend zuschauen und duldend hinnehmen?
Schweigen und dulden, so viel kann man sagen, wird das Gericht sicher nicht. Es wird sich in die Reformdiskussion einbringen, auch wenn es dafür kein formales Prozedere gibt. Nach den Usancen solcher Gesetzesänderungen, die das Gericht betreffen, dürfte das Bundesjustizministerium das Gericht schon in Kürze offiziell über das Vorhaben informieren. Im Gericht wird sich dann vermutlich ein Kreis von Richterinnen und Richtern bilden, der sich mit den geplanten Regeln befasst. Und er wird eine Antwort nach Berlin schicken – vielleicht eine ausführliche, vielleicht eine kurze, vielleicht auch nur einen Satz.
Ein Zwei-Drittel-Quorum erschien den Ex-Richtern ratsam
Genau genommen hat sich das Gericht längst in die Diskussion eingebracht. Im Januar haben eine Ex-Richterin und ein Ex-Richter, Gabriele Britz und Michael Eichberger, in der FAZ eine ausführliche Analyse der Reformoptionen veröffentlicht. Das war eine durchaus elegante Form, Gedanken des Gerichts nach draußen zu transportieren, ohne sich als Institution direkt in die Diskussion einzumischen. Dazu signalisierte der Text die gerichtstypische Ausgewogenheit – Eichberger war von der CDU fürs Richteramt nominiert worden, Britz von der SPD.
In diesem Text findet sich vieles, was auch in den vorgestellten Reformplänen zur Resilienz des Gerichts enthalten ist. „Funktionswesentliche Bestimmungen“ sollten der Änderung durch den einfachen Gesetzgeber entzogen werden, am besten durch Aufnahme ins Grundgesetz. Das gelte für die zwölfjährige Amtsdauer, für den Ausschluss der Wiederwahl von Richtern, für die Bindungswirkung von Entscheidungen. Auch mahnten Britz und Eichberger eindringlich, einen Mechanismus zur Lösung von Wahlblockaden zu schaffen – damit das Zwei-Drittel-Quorum bei der Richterwahl nicht zur Lähmung führt, sobald eine Ein-Drittel-plus-Fraktion im Bundestag ihr Sperrpotenzial entfaltet.
All dies findet sich nun im Vorschlag von Ampel und Union, nur eines nicht: Das Zwei-Drittel-Quorum selbst soll nach dem Willen der Reformer nicht in die Verfassung aufgenommen werden. Britz und Eichberger hatten dies damals als „ratsam“ bezeichnet, was in ihrer eher zurückhaltenden Diktion klingt wie: auf jeden Fall.
Wird das Bundesverfassungsgericht hier also ein Veto formulieren, wenn es in den nächsten Wochen eine Antwort nach Berlin schickt? Die Meinungsbildung ist in Karlsruhe sicher noch nicht abgeschlossen, schon deshalb, weil Richterinnen und Richter – Prägung des Jobs – normalerweise zuerst ein offizielles, ausformuliertes Papier in Händen haben wollen, bevor sie sich dazu verhalten. Und dass es auf die Details ankommt, ist selten zutreffender als bei einer derart heiklen Reform.
Aber über schwierige Fragen wird intern längst diskutiert. Ein Zwei-Drittel-Quorum im Grundgesetz wäre womöglich auf absehbare Zeit nicht mehr rückholbar – könnte dies nicht auch Risiken bergen für Szenarien, an die jetzt noch keiner denkt? Und was ist mit der Blockadelösung: Könnte so ein Mechanismus nicht die fein austarierte Balance in den Senaten stören – weil dann plötzlich fünf oder sechs vom Bundesrat gewählte Richter zwei oder drei vom Bundestag gekürten Richterinnen gegenüberstehen?
Wenn die Reformer klug sind, dann nehmen sie solche Binnenperspektiven sehr ernst. Denn wer das mächtige Gericht nur von außen kennt, der denkt: unerschütterlich. Aber mit all diesen fein ineinandergreifenden Arbeits- und Beratungsprozeduren verhält es sich wie mit der habitablen Zone, die eine Sonne einem Planeten gewährt: Bei kleinen Abweichungen wird es sofort zu heiß zum Leben.
Jedoch muss das Gericht ja nicht immer selbst sprechen. Das Projekt wurde von Beginn an durch gut informierte Fachleute begleitet, wie zum Beispiel Ulrich Karpenstein, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins. Vielleicht hat er den Reformprozess sogar mit angestoßen. „Das ist ein kluger Kompromiss – mit einem Defizit“, so kommentiert er nun den Resilienz-Vorschlag. Das Zwei-Drittel-Quorum müsse deutlich besser abgesichert werden. Wenn nicht im Grundgesetz, dann dadurch, dass Änderungen nur mit Zustimmung des Bundesrats möglich seien. Gleiches gelte für weitere wesentliche Verfahrensregeln. Jemand aus dem Gericht hätte dies wahrscheinlich ähnlich ausgedrückt.