Coronavirus:Die Pandemie stellt die Justiz noch immer vor neue Fragen

Bundesverfassungsgericht

Ende November soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Maßnahmen der "Bundesnotbremse" im Frühjahr rechtmäßig waren.

(Foto: Uli Deck/dpa)

Elternstreit ums Impfen, Mietzahlung bei Betriebsschließungen: Noch längst nicht alle juristischen Probleme rund um Corona sind gelöst.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Pandemie hat den Gerichten in nunmehr bald zwei Jahren ein mächtiges Arbeitsprogramm beschert. Von Betriebsschließungen über Tanzverbote bis zu Quarantäneanordnungen haben insbesondere Verwaltungsgerichte über so ziemlich jede Facette des pandemischen Alltags entschieden.

Die Prozesswelle ist noch längst nicht abgeebbt, da nun - nach vielen Eilbeschlüssen - die Hauptsacheverfahren zur Entscheidung anstehen. Beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Münster beispielsweise sind derzeit 186 solcher Verfahren anhängig, auch andere Gerichte melden Dutzende laufende Prozesse. Deren Erledigung könnte sich freilich noch hinziehen - weil der Herbst vermutlich weitere Eilanträge bringt.

Von Beginn an heftig umstritten war beispielsweise, ob das Infektionsschutzgesetz in seinen wechselnden Versionen eine taugliche Rechtsgrundlage bietet. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Mannheim bearbeitet derzeit die Betriebsschließungen des vergangenen Jahres - Läden, Restaurants, Fitnessstudios. Verhandelt wird wohl erst nächstes Jahr. Aber vor einigen Monaten haben die Kollegen vom VGH Thüringen das Bundesverfassungsgericht um Klärung gebeten, ob die harten Maßnahmen im Spätherbst 2020 von den bis Mitte November geltenden Regeln überhaupt gedeckt waren. Deshalb hat der VGH Mannheim einzelne Verfahren ausgesetzt, bis die Antwort aus Karlsruhe da ist.

Vor allem aber wartet die Justiz mit Spannung auf die für Ende November angekündigte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur "Bundesnotbremse" vom Frühjahr. Darin wird es etwa um Einschränkungen für Freizeiteinrichtungen und Hotels gehen sowie um Schulschließungen und Testpflicht. Und zuvorderst um die heftig umstrittene nächtliche Ausgangssperre vom Frühjahr.

Pauschale Maßnahmen anzuordnen geht wegen der Impfquote nicht mehr

Selbst wenn sich ein flächendeckendes Ausgehverbot in einer zu zwei Dritteln geimpften Republik schwerlich wiederholen lässt, hoffen viele Gerichte auf höchstrichterliche Leitplanken auch für künftige Beschränkungen. In diesem Sinne war kürzlich der Präsident des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, Stephan Harbarth: Das Gericht begründe seine Entscheidungen "sehr, sehr ausführlich", sagte er im ZDF. Daraus könnten sich möglicherweise auch Hinweise "für Maßnahmen in der gegenwärtigen Pandemie für die kommenden Monate" ergeben.

Im Mai hatte Karlsruhe Eilanträge gegen die Ausgangssperre verworfen. Anders als beispielsweise der Bayerische VGH - der freilich kein Gesetz, sondern eine Landesverordnung auf dem Tisch hatte - hatte das Karlsruher Gericht dem Bundestag einen sehr großzügigen Spielraum zugestanden und auf eine detaillierte Kontrolle verzichtet. Ob die Sperre wirklich einen Nutzen bringt und das Konzept des Bundes zur Senkung der Infektionszahlen schlüssig ist, haben die Richter damals nicht näher beleuchtet - aber für die Hauptsache immerhin eine "eingehende Prüfung" zugesagt.

Der Blick zurück wird also auch einer nach vorne sein, auf künftige Kontaktbeschränkungen oder Zugangsverbote, die sich angesichts explodierender Inzidenzen abzeichnen. Freilich stehen alle Maßnahmen dieser Art nun unter den neuen Vorzeichen einer im Vergleich zum Frühjahr deutlich höheren Impfquote. Deshalb müsse nun zwischen Geimpften und Nicht-Geimpften differenziert werden, sagte kürzlich Andrea Kießling, Fachfrau für Infektionsschutzrecht, auf Zeit Online. "Einfach pauschal irgendwelche Dinge anordnen, die dann für alle Personen uneingeschränkt gleich gelten, das geht nicht mehr."

Dass damit aber bereits alle flächendeckenden Maßnahmen vom Tisch sind, die auch den geimpften Teil der Bevölkerung betreffen, darauf wird in der zunehmend dramatischen Lage niemand wetten wollen. Zum Schutz von Leib und Leben könnten auch solche Einschränkungen zulässig sein, schrieb die Flensburger Professorin Anna Katharina Mangold im Verfassungsblog.

Die Impfung wird eine wachsende Rolle spielen

Jedenfalls zeichnet sich ab, dass die Immunisierung eine wachsende Rolle spielen wird. Erst kürzlich lehnte das OVG Münster den Eilantrag einer Studentin ab, die sich durch die Testpflicht für Ungeimpfte ausgegrenzt und unter Druck gesetzt fühlte. Tests seien zumutbar, fand das OVG. Je mehr nun 3-G- oder 2-G-Regeln angeordnet werden, desto häufiger müssen Ungeimpfte draußen bleiben - und werden dagegen vor Gericht ziehen, vermutlich mit begrenzter Aussicht auf Erfolg.

Eine weitere Variation des Impfthemas, dessen Brisanz sich dramatisch verschärften dürfte, sollten Impfstoffen auch für Kinder unter zwölf Jahren zugelassen werden: Was, wenn sich die Eltern über die Impfung eines minderjährigen Kindes nicht einigen können? Beide haben Sorgerecht - aber wer bestimmt? Das Oberlandesgericht Frankfurt hatte Ende August einen solchen Fall zu entscheiden. Der Vater wollte den 16-jährigen Sohn - wegen Vorerkrankung besonders schutzbedürftig - impfen lassen, die Mutter war strikt dagegen, das sei "Gentherapie", schimpfte sie. Das OLG ließ den Vater entscheiden, erstens, weil die Ständige Impfkommission Impfungen für ab dem zwölften Lebensjahr bereits empfohlen hatte, zweitens, weil auch der Junge dafür war. Was freilich bei kleineren Kindern gilt, ist noch offen; ein höchstrichterliches Urteil steht noch aus.

Und schließlich steht demnächst beim Bundesgerichtshof ein Urteil an, das noch aus den panischen Anfangswochen der Pandemie stammt. Wer trägt eigentlich das Risiko der Mietzahlung, wenn der Staat Läden schließt - der Einzelhändler oder der Vermieter? Geklagt hat ein Textilgeschäft aus dem Raum Chemnitz, das wegen einer Allgemeinverfügung vom 18. März 2020 seine Türen schließen musste. Der Inhaber zahlte für April deshalb keine Miete. Während das Landgericht dem Vermieter recht gab, fand das Oberlandesgericht Dresden eine salomonische Lösung. Wegen "Störung der Geschäftsgrundlage" werde die Miete für die Dauer der Schließung auf die Hälfte abgesenkt. Am 1. Dezember verhandelt der BGH darüber, ob es dabei bleibt.

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