Grundgesetz:Schutz für die „offene Flanke“ des Rechtsstaats

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Die Arbeit des Bundesverfassungsgerichts soll vor Demokratiefeinden künftig besser geschützt werden, (Foto: Uli Deck/dpa)

Die Absicherung des Bundesverfassungsgerichts könnte das letzte Ampelvorhaben werden, das noch realisiert wird. Rechtsexperten begrüßten das, wenn auch nicht uneingeschränkt.

Von Constanze von Bullion, Berlin

Die Pläne des Ministers waren ambitioniert, nun endet seine Amtszeit mit spärlichem Ertrag. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wollte die Bürokratie einhegen in Deutschland und Europa, er wollte die größte Familienrechtsreform seit Jahrzehnten durchsetzen, Justizbehörden digitalisieren, die anlasslose Vorratsdatenspeicherung beenden, das Mietrecht modernisieren. Mit dem Aus der Regierung aber dürfte jetzt nur noch ein einziges Buschmann-Vorhaben Wirklichkeit werden: die Absicherung des Bundesverfassungsgerichts.

Die Reform müsse kommen, sagte Buschmann am Mittwoch im Deutschlandfunk. „Das ist das zentrale Projekt, das unbedingt noch im Deutschen Bundestag realisiert werden muss.“ Wenige Stunden später warf sich im Plenum des Bundestags auch der Bundeskanzler für das Anliegen ins Zeug. „Ich bitte um den Schutz des Bundesverfassungsgerichts“, sagte Olaf Scholz (SPD) in seiner Regierungserklärung. Es klang fast wie ein Flehen. Die geplante Grundgesetzänderung, die auch der Zustimmung der Union bedarf, sei ein Vorhaben, „das keinen Aufschub duldet“, so Scholz.

Die Union trägt trotz aller Turbulenzen das Projekt weiterhin mit

Über Monate haben SPD, Grüne und FDP unter Buschmanns Moderation mit CDU und CSU beraten, wie das Bundesverfassungsgericht vor Störmanövern durch Demokratiefeinde geschützt werden kann. Denn vieles, was die Arbeitsfähigkeit des Gerichtes garantiert, ist nur mit einfacher Gesetzgebung im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt und könnte schon mit einem Stimmenanteil von einem Drittel im Bundestag blockiert werden. Um dies zu verhindern, sollen etliche, längst bewährte Regelungen nun ins Grundgesetz übernommen werden, zu ändern nur mit Zweidrittelmehrheit.

Die Union im Bundestag ließ trotz aller Turbulenzen der vergangenen Tage erkennen, dass sie den verstärkten Schutz des obersten Gerichtes auch weiter mitträgt. „Die Stärkung des Bundesverfassungsgerichts ist uns ein wichtiges Anliegen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei (CDU), der Süddeutschen Zeitung. „Ich möchte deshalb dafür werben, dass wir die entsprechenden Gesetzentwürfe jetzt zeitnah im Parlament beschließen.“ Optimistisch zeigte sich auch SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese: „Das gelingt“, sagte er vor einer Anhörung im Rechtsausschuss am Mittwoch. „Ich glaube, dass wir das hinbekommen, bevor wir uns in die Weihnachtspause verabschieden.“

Im Grundgesetz soll stehen, dass es keinen weiteren Senat geben darf

Konkret geht es um zwei Gesetzentwürfe, zu denen sich im Rechtsausschuss des Bundestags Expertinnen und Experten äußerten. Der erste Entwurf sieht vor, in Artikel 93 und 94 des Grundgesetzes den Status des Bundesverfassungsgerichts als Verfassungsorgan und seine innere Struktur zu verankern. Denn bisher sagt das Grundgesetz dazu fast nichts. Eingefügt werden soll etwa, dass das Gericht aus zwei Senaten mit jeweils acht Richterinnen und Richtern besteht. Mit dieser Festschreibung, die gängiger Praxis entspricht, soll verhindert werden, dass eine autoritäre Regierung eines Tages einen dritten Senat einführt, etwa für politische Verfahren. Auch die Amtszeit von zwölf Jahren und das Verbot der Wiederwahl von Richterinnen und Richtern, das deren Unabhängigkeit garantiert, soll ins Grundgesetz.

Nahezu alle Rechtsexpertinnen und Rechtsexperten, die am Mittwoch im Bundestag angehört wurden, hielten das Vorhaben grundsätzlich für sinnvoll. Der ehemalige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, Ferdinand Kirchhof, sprach von einer „offenen Flanke“ des Rechtsstaats, die geschlossen werde, wenn künftig bei Änderungen am Bundesverfassungsgericht das Erfordernis einer Zweidrittelmehrheit bestehe. Allerdings bleibe die Reform an entscheidender Stelle „seltsam ungefähr“.

Denn der zweite Gesetzentwurf sieht vor, dass im Fall einer Blockade, also wenn Bundestag oder Bundesrat sich drei Monate lang nicht auf die Besetzung einer Richterstelle einigen können, das jeweils andere Wahlorgan entscheiden kann. Das Haus, das zuerst zu einem Ergebnis kommt, soll entscheiden. Kirchhof kritisierte, dass dies nur eine „Kann-Regelung“ sei, mit einfachem Bundesgesetz zu ändern. Es drohe im Ernstfall ein Wettlauf zwischen Bundestag und Bundesrat, wer zuerst eine Richterwahl zustande bringe. Nötig sei aber ein verbindlicher Mechanismus. Mehrere Rechtsexperten stimmten zu.

Kontrovers diskutiert wurde auch, ob dem Bundesverfassungsgericht eingeräumt werden soll, allen Änderungen im Bundesverfassungsgerichtsgesetz zuzustimmen – und ob die Zweidrittelmehrheit, die schon jetzt zur Richterwahl nötig ist, auch im Grundgesetz abgebildet werden soll. Bislang ist das nicht vorgesehen, einige Sachverständige äußerten Änderungsbedarf. Ob ihr Votum in die Entwürfe einfließt, blieb offen. Dass die Reform kommt, gilt als gewiss.

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