Süddeutsche Zeitung

Anleihekäufe der EZB:Verfassungsrichter verzichten auf erneute Provokation

Die von CSU-Politiker Gauweiler und Ex-AfD-Chef Lucke angeführten Gegner der Staatsanleihekäufe der Europäischen Zentralbank scheitern diesmal in Karlsruhe. Die Richter verweisen auf die Politik.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Im Mai 2020 hatte das EZB-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ein regelrechtes Gewitter der Kritik ausgelöst. Die EU-Kommission erwog gar ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland, weil dessen höchstes Gericht sich im Streit um die milliardenschweren PSPP-Anleihekäufe gleich gegen zwei europäische Institutionen gestellt hatte: gegen die Europäische Zentralbank (EZB) und den Europäischen Gerichtshof (EuGH), der das Kaufprogramm 2018 gebilligt hatte. Damit habe das Verfassungsgericht den Vorrang des europäischen Rechts in Frage gestellt. Nun hat das Gericht am Karlsruher Schlossplatz auf eine neuerliche Provokation verzichtet. Es hat den Antrag mehrerer Beschwerdeführer auf eine "Vollstreckung" des Urteils abgewiesen.

Das kam nicht wirklich überraschend. Ohnehin wäre nach den Gepflogenheiten des Gerichts eine solche Vollstreckungsanordnung ungewöhnlich gewesen. Das Gericht hält die darauf zielenden Anträge des CSU-Politikers Peter Gauweiler sowie einer Gruppe um den inzwischen aus der Partei ausgetretenen Ex-AfD-Chef Bernd Lucke für unzulässig und unbegründet. Im Gesetz ist diese Möglichkeit zwar vorgesehen. Normalerweise werden Karlsruher Urteile aber auch ohne Gerichtsvollzieher beachtet, wenngleich mitunter zähneknirschend.

Das Knirschen der Zähne war auch in diesem Fall nicht zu überhören. Die EZB sollte eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vornehmen, so lautete vergangenes Jahr die forsche Ansage aus Karlsruhe. Also eine halbwegs transparente Abwägung, ob die währungspolitischen Ziele von PSPP nicht außer Verhältnis zu den wirtschaftlichen und sozialen Nebenwirkungen stünden. PSPP, das Kürzel für Public Sector Purchase Programme, ist der größte Teil eines 2015 aufgelegten Programms zum Kauf von Wertpapieren, mit dem die EZB Konsum und Investitionen ankurbeln und die Inflationsrate auf annähernd zwei Prozent anheben wollte.

Das Verfassungsgericht hatte freilich auf die Einbußen hingewiesen, die das daraus resultierende niedrige Zinsniveau etwa für Sparer bedeute. Solche Konsequenzen müsse die EZB berücksichtigen. Also fasste der EZB-Rat einige Wochen nach dem Urteil mehrere Beschlüsse, in denen - so heißt es nun im Karlsruher Beschluss - "Kosten und Nutzen von Wertpapierkäufen" erörtert worden seien. Mit gutem Willen konnte man das als Verhältnismäßigkeitsprüfung ansehen.

Gauweiler spöttelt

Ob die teils sogar als vertraulich eingestuften Dokumente, welche die EZB zum Beleg seines Entgegenkommens nach Berlin geschickt hatte, wirklich den Karlsruher Vorstellungen genügen, bleibt freilich offen. Dies sei "im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend", schreibt das Gericht. Und zwar deshalb, weil der Zweite Senat an diesem Punkt auf das Urteil von Bundestag und Bundesregierung vertraut. Nach deren Einschätzung habe die EZB die vermisste Prüfung nachgeholt. Und Parlament und Regierung hätten hier eben einen weiten Spielraum.

Ausschlaggebend dafür ist vor allem der Umstand, dass sich der Bundestag im Mai und Juni 2020 vielfach mit den Konsequenzen des Urteils befasst hat. Das Gericht listet all diese Aktivitäten auf, von der Unterrichtung im Haushaltsausschuss über die Aktuelle Stunde bis hin zur Plenardebatte. Das Handeln von Bundestag und Bundesregierung bleibe jedenfalls nicht so offensichtlich hinter den Anforderungen des EZB-Urteils zurück, dass man von einer "Untätigkeit" sprechen könne.

Das Gericht, das im Mai 2020 so apodiktisch die EZB zur Erläuterung seines Handelns angehalten hatte, nimmt sich also in einer fast schon demütigen Anerkennung der Gewaltenteilung selbst zurück - nun, da es zu überprüfen gilt, ob die EZB wirklich geliefert hat. Peter Gauweiler kommentierte spöttisch, dann hätte ja nur die völlige Untätigkeit der EZB und der deutschen Staatsorgane zum Erlass einer Vollstreckungsanordnung führen können.

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