ArbeitsrechtWie viel Loyalität dürfen Kirchen verlangen?

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Spannungsfeld: die Justitia am Gerechtigkeitsbrunnen und der Turm der Nikolaikirche in der historischen Altstadt von Frankfurt.
Spannungsfeld: die Justitia am Gerechtigkeitsbrunnen und der Turm der Nikolaikirche in der historischen Altstadt von Frankfurt. (Foto: Imago/Image-Broker)

Wie scharf die katholische Kirche auf Austritte reagiert, zeigt der Rauswurf einer Caritas-Mitarbeiterin.  Ihr Fall liegt nun beim obersten Gerichtshof Europas – und auch in Karlsruhe geht es ums kirchliche Arbeitsrecht.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Zu den versandeten Projekten der Ampelkoalition zählt auch eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts – ein Stichwort, das die SPD gern in die aktuellen Koalitionsverhandlungen einbringen möchte. Das Thema ist zwischen Wirtschaft, Militär und Migration sicher kein Hingucker, andererseits hochrelevant für immerhin 1,8 Millionen Beschäftigte. Evangelische und katholische Kirche sind mit ihren Wohlfahrtsverbänden Diakonie und Caritas der größte Arbeitgeber nach dem öffentlichen Dienst.

Aber in einem Punkt ist es gar nicht so entscheidend, ob Christdemokraten und Sozis bei den Kirchen zusammenkommen. Denn im Laufe des Jahres werden zwei oberste Gerichtshöfe darüber entscheiden, für welche Art von Jobs die Kirchen die Zugehörigkeit zur Kirche verlangen oder den Austritt verbieten dürfen. Erstens ist dies der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg, der den Kirchen mit seiner dezidiert säkularen Linie bisher eher Kummer bereitet hat. Und zweitens das traditionell kirchenfreundliche Bundesverfassungsgericht. Konflikte sind also vorhersehbar.

Die Linie der kirchlichen Arbeitgeber wirkt inkonsequent

Beim EuGH ist die Klage einer Caritas-Mitarbeiterin aus der Schwangerenberatung anhängig – ihr wurde wegen des Austritts aus der katholischen Kirche gekündigt. Die Frau beriet Schwangere vor und nach der Geburt über mögliche Hilfen, stellte allerdings keine Beratungsscheine aus, die zum Abbruch der Schwangerschaft berechtigt hätten. Aus der Warte des kirchlichen Ethos also ein sensibler Job, bei dem es irgendwie auch um den Schutz des werdenden Lebens geht. Aber mit den eigentlichen Glaubenskämpfen um Abtreibung hatte die Klägerin nichts zu schaffen.

Ihr Mann war aus der Kirche ausgetreten, die mehrfache Mutter tat es ihm während ihrer Elternzeit nach. Allerdings nicht als Zeichen der Abwendung von der Kirche, sondern weil das Geld knapp war; nach einer Sonderregel für Beschäftigte sollte die Familie aus dem Einkommen des Mannes – obwohl nicht mehr in der Kirche – ein Kirchgeld zahlen.

2019 erhielt die Frau die Kündigung. Sie zog durch die Instanzen, und das Bundesarbeitsgericht wollte ihr recht geben: Ein Kirchenaustritt sei „für sich allein genommen kein illoyales Verhalten eines Arbeitnehmers“. Eine Kündigung wegen eines stillen und irgendwie sogar nachvollziehbaren Kirchenaustritts ist doch arg übertrieben, hieß das. Weil aber zuvor zu klären war, was genau eine EU-Gleichbehandlungsrichtlinie dazu sagt, rief das Gericht den EuGH an.

Vor einigen Wochen hat der EuGH darüber verhandelt. Den Richterinnen und Richtern, das ließen ihre Fragen erkennen, war nicht entgangen, dass die Linie der kirchlichen Arbeitgeber inkonsequent wirkt, zumindest von außen besehen. Für viele Jobs verlangt die katholische Kirche keineswegs eine Mitgliedschaft in der Kirche, jedenfalls dort, wo die Tätigkeit nicht „verkündigungsnah“ ist. Man kann also durchaus in der katholischen Schwangerenberatung arbeiten, ohne katholisch zu sein.

Nichtkatholikinnen dürfen bleiben, Nicht-mehr-Katholikinnen werden rausgeworfen

Auf Austritte hingegen reagiert die Kirche äußerst humorlos.  „Es ist etwas anderes, aus der Kirche auszutreten, als nicht katholisch zu sein“, erläuterte der Bonner Rechtsprofessor Gregor Thüsing als juristischer Vertreter der Caritas vor dem EuGH. So wie eine Scheidung etwas anderes sei als eine Entscheidung gegen die Heirat. „Wer aus der Kirche ausbricht, der bricht die Loyalität.“

Nichtkatholikinnen dürfen bleiben, Nicht-Mehr-Katholikinnen werden rausgeworfen: Das riecht stark nach Ungleichbehandlung. Daher läuft der Prozess auf die alles entscheidende Frage zu: Dürfen die Kirchen für ihre Mitarbeiter eigene Kündigungsregeln aufstellen? Dürfen sie – rechtlich betrachtet – diskriminieren, wenn die Diskriminierung aus dem kirchlichen Selbstverständnis geboten ist? Der Kirchenaustritt zähle nach kanonischem Recht zu den schwersten Vergehen gegen den Glauben und die Einheit der Kirche, sagte Thüsing. Das Gewicht dieses Verstoßes zu benennen, sei Sache der Kirchen. „Der Gerichtshof kann sich nicht an dessen Stelle setzen.“

Wie viel Spielraum wird der Europäische Gerichtshof in Luxemburg dem Bundesverfassungsgericht diesmal lassen?
Wie viel Spielraum wird der Europäische Gerichtshof in Luxemburg dem Bundesverfassungsgericht diesmal lassen? (Foto: Patrick Scheiber/Kegler/Imago)

Kann er nicht? 2018 hatte der EuGH einem Chefarzt recht gegeben, der nach einer Scheidung wieder geheiratet und deshalb seinen Job verloren hatte. Nach der damaligen (inzwischen geänderten) kirchlichen Grundordnung war auch dies ein schwerwiegender Verstoß gegen Loyalitätspflichten. Der EuGH indes hielt das faktische Verbot einer zweiten Heirat für überzogen. Die Innere Medizin könne man auch ohne katholisches Eheverständnis leiten.

2014 kam es in Karlsruhe zum Kniefall vor den Kirchen

Und exakt dieser Chefarztfall liefert nun das Suspense-Element. Denn bevor er zum EuGH gelangte, hatte 2014 das Bundesverfassungsgericht darüber entschieden – und dort war der Sound komplett anders. Was nach kirchlichem Selbstverständnis für ihr Wirken nötig ist, bestimmen danach allein die Kirchen. Die staatlichen Gerichte bleiben an der Seitenlinie, sie sind auf eine „Plausibilitätskontrolle“ beschränkt – und damit eigentlich zum Jasagen verpflichtet. Ein Karlsruher Kniefall, wenn man so will.

Der Showdown der Gerichtshöfe blieb damals aus, weil die Kirche darauf verzichtete, den Fall nach der Runde über den EuGH ein zweites Mal nach Karlsruhe zu tragen. Auch, weil 2022 die kirchliche Grundordnung liberalisiert wurde und die Wiederheirat fortan kein großes Problem mehr war. Die Konfrontation könnte aber nun bei der Schwangerenberatung nachgeholt werden. Sollte der EuGH es den Kirchen aus der Hand nehmen, wie sie auf Kirchenaustritte ihres Personals reagieren, bliebe nur noch die Option Karlsruhe.

Womit man wieder beim Bundesverfassungsgericht wäre. In Karlsruhe schwelt seit vielen Jahren das fast schon legendäre Verfahren der Sozialpädagogin Vera Egenberger, die eine Referentenstelle bei der Diakonie einzig deshalb nicht bekam, weil sie nicht in der Kirche ist. Es geht also nicht um einen Rauswurf, sondern eine Nichteinstellung. Anderer Fall, aber ein paar Signale könnte ein Urteil trotzdem enthalten – Signale dafür, ob das Gericht das kirchliche Selbstverständnis immer noch für so unantastbar hält. 2014, beim Chefarzt-Urteil, bestimmte eine konservative Riege die Linie im Zweiten Senat. Nun, im Jahr 2025, ist der Ton vermittelnder. Als Berichterstatterin ist Christine Langenfeld zuständig, die sich bisher als kluge Moderatorin, nicht als Hardlinerin hervorgetan hat. Hinzu kommt: Ob der Senat nach dem Clash um die Europäische Zentralbank im Jahr 2020, als er sich schon einmal mit dem EuGH angelegt hat, schon wieder Streit will, ist überaus fraglich.

Und der EuGH? Womöglich bemüht er sich mindestens um rhetorische Zurückhaltung; das Chefarzt-Urteil war unnötig apodiktisch ausgefallen. Vielleicht lässt er auch den nationalen Gerichten mehr Spielraum. Aber dass der EuGH grundsätzlich von seiner aus Kirchensicht strengen Linie abrückt, ist kaum zu erwarten. Selbst das Bundesverfassungsgericht habe, kirchliches Selbstverständnis hin oder her, eine „Pflicht zur Abwägung der kirchlichen Interessen mit den Belangen des Arbeitnehmers“ dekretiert, merkte in der Verhandlung zur Schwangerenberatung Thomas von Danwitz an, deutscher Richter in Luxemburg. Auch die Kirchen leben in der staatlichen Welt, heißt dies – und müssen sich an deren Regeln halten.

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