Bundesverfassungsgericht:CDU verhindert Wechsel am Verfassungsgericht

Der umstrittene SPD-Kandidat Horst Dreier soll nun doch nicht Vizepräsident in Karlsruhe werden. Das Auswahlverfahren für Verfassungsrichter rückt in den Mittelpunkt der Kritik.

Heribert Prantl

Die Besetzung der wichtigsten Position in der deutschen Justiz ist wieder offen: Die CDU weigert sich, der Wahl des Würzburger Rechtsprofessors Horst Dreier zum Bundesverfassungsrichter, zum Vizepräsidenten und künftigen Präsidenten in Karlsruhe zuzustimmen. Die Wahl sollte am 15. Februar im Bundesrat stattfinden.

Bundesverfassungsgericht: Verfassungsrichter-Roben

Verfassungsrichter-Roben

(Foto: Foto: dpa)

Der bisherige Vizepräsident Winfried Hassemer, dem Horst Dreier nachfolgen sollte, wird nun wohl über die Altersgrenze hinaus noch einige Zeit länger im Amt bleiben müssen. Hassemer sollte am 28. Februar von Bundespräsident Horst Köhler die Entlassungsurkunde überreicht werden.

Horst Dreier, Staatsrechtler und Rechtsphilosoph an der Universität Würzburg, war von Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, also von der SPD, vorgeschlagen worden - aber im gesamten politischen Spektrum auf Vorbehalte gestoßen. Verfassungsrichter müssen mit Zweidrittelmehrheit entweder vom Richterwahlausschuss des Bundestages oder vom Bundesrat gewählt werden. Der jetzt zu ernennende Richter wird vom Bundesrat gewählt, nach den Regularien hat diesmal die SPD das Vorschlagsrecht.

Wo beginnt Menschenwürde?

Kandidat Dreier gehört zu den Juristen, die die Unantastbarkeit der Menschenwürde relativieren. In Teilen der Sozialdemokratie, bei der FDP, den Grünen und den Linken hat dies zu enormen Irritationen geführt, weil mit der Lehrmeinung Dreiers in Ausnahmefällen auch Folter möglich wird.

Auch von der Union wurde Dreier heftig kritisiert, weil er (zum Beispiel in der Stammzellendebatte) den Schutz des ungeborenen Lebens von der Menschenwürde abkoppelt und damit gentechnische Forschungen erleichtern würde. Im Nationalen Ethikrat hatte Dreier die Ansicht vorgetragen, dass das ungeborene Leben nicht automatisch ein Träger der Menschenwürde sei. Diese Position sei, so heißt es auf Seiten der Union, vor allem gegenüber den Kirchen nur schwer zu vertreten.

Auf der nächsten Seite: Die drei Kandidaten.

CDU verhindert Wechsel am Verfassungsgericht

Der baden-württembergische Ministerpräsident Günther Oettinger als Verhandlungsführer der CDU hat der SPD-Seite in Gestalt des Bremer Bürgermeisters Jens Böhrnsen die Ablehnung Dreiers mitgeteilt. Der Widerstand der CDU-Ministerpräsidenten gilt als weitgehend einheitlich. Böhrnsen und Justizministerin Zypries wollen aber dem Vernehmen nach vorerst an Dreier festhalten. Im Bundesjustizministerium will man noch keine offizielle CDU-Mitteilung über die Ablehnung Dreiers erhalten haben. Man geht davon aus, dass über den Personalvorschlag weiter diskutiert werden könne.

Mit dem Unions-Veto gegen Dreier rücken nun schon früher genannte und im Konklave der Parteien beratene Kandidaten wieder in den Blickpunkt. Erstens Roland Rixecker, Präsident des Oberlandesgerichts Saarbrücken und des saarländischen Verfassungsgerichtshofs; er ist SPD-Mitglied und war von 1985 bis 1995 Staatssekretär im saarländischen Justizministerium - er gilt nun als aussichtsreichster Kandidat.

Zweitens: Joachim Wieland. Er war bis vor kurzem Professor für Staatsrecht an der Universität Frankfurt und lehrt nun an der Hochschule für Verwaltungswissenschaft in Speyer mit den Schwerpunkten Verfassungsrecht, Steuerrecht und öffentliches Wirtschaftsrecht. Er hat zuletzt vor dem Bundesverfassungsgericht den Bundespräsidenten im Streit um die Auflösung des Bundestags und die Neuwahl 2005 vertreten. Wieland ist parteilos.

Dritte Kandidatin ist Ursula Nelles, Rektorin der Universität Münster und dort Leiterin des Instituts für Kriminalwissenschaften. Als weitere Kandidatin wird Klaudia Martini genannt; sie war Richterin an den Verwaltungsgerichten in Augsburg und München, Landtagsabgeordnete der SPD in Bayern, schließlich zehn Jahre lang Staatsministerin für Umwelt in Rheinland-Pfalz, danach Mitglied des Opel-Vorstands; jetzt ist sie Rechtsanwältin in einer Münchner Großkanzlei.

Mit dem Streit zwischen Union und Bundesjustizministerin rückt das Richterwahl- und Auswahlverfahren wieder in den Mittelpunkt der Kritik. Im Grundgesetz steht dazu nur ein knapper Satz: "Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrat gewählt." Auf Basis dieses Satzes, der vom Gesetz über das Bundesverfassungsgericht ergänzt wird, hat sich ein System der Heimlichkeit und der Mauschelei entwickelt; es werden üblicherweise Personalpakete geschnürt, in denen sich die Parteien gegenseitig Zugeständnisse machen.

Der Fall Däubler-Gmelin

Den letzten schweren, offen ausgetragenen Konflikt gab es 1993/94: Der Streit darüber, ob die damalige stellvertretende SPD-Vorsitzende Herta Däubler-Gmelin Verfassungsrichterin werden darf, wurde zwischen Union und SPD mit großer Schärfe ausgetragen. Es ging um die Nachfolge des Richters Gottfried Mahrenholz; mit dieser Stelle verband sich, wie mit dem gegenwärtig zu besetzenden Posten auch, die Anwartschaft auf das Amt des Gerichtspräsidenten.

Weil die Union die Berufung der SPD-Kandidatin blockierte, verhinderte die SPD die Neubesetzung anderer hoher Staatsämter mit Kandidaten der Union. Jede Partei ließ die Kandidaten des anderen in der Luft hängen. Der damalige Unionsfraktionschef Schäuble schaltete gegenüber seiner politischen Intimfeindin Däubler-Gmelin auf stur, hielt sie für "zu politisch"; Hans-Jochen Vogel gab für die SPD die Devise aus, man müsse auf Zeit setzen.

Mehr als ein Jahr blieb es damals dabei, dass die SPD zwar ein Vorschlagsrecht und eine Kandidatin, der Verfassungsrichter Mahrenholz aber keinen Nachfolger hatte - so lange, bis die zermürbte Kandidatin Däubler-Gmelin dem grausamen Spiel selbst ein Ende machte und von der Kandidatur zurücktrat. Auf den umkämpften Richterstuhl wurde dann Jutta Limbach gewählt.

Solch harte öffentliche Auseinandersetzungen sind die Ausnahme in einem ansonsten eher heimlichen Geschäft der proportionalen Machtverteilung. Zumeist wird das Fell des Bären so lautlos verteilt, dass es nicht einmal der Bär merkt.

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