Bundesverfassungsgericht:Gelten deutsche Grundrechte auch in Jemen?

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Strategisch wichtig für Drohneneinsätze: der US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz. (Foto: Ronald Wittek)

Die Ramstein Air Base in Rheinland-Pfalz ist wesentlicher Bestandteil der US-Infrastruktur für Drohneneinsätze in Afrika und auf der Arabischen Halbinsel. Zwei Jemeniten haben sich nun ans Bundesverfassungsgericht gewandt und bitten um Schutz.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Die Region Hadramaut gehört zur Republik Jemen, im Osten grenzt sie an Oman, im Süden an den Golf von Aden, im Norden liegt Rub al-Chali, die größte Sandwüste der Welt. Von dort sind es rund 5200 Kilometer nach Karlsruhe, wo an diesem Dienstag über eine interessante Frage nachgedacht wird: Gelten deutsche Grundrechte eigentlich auch im Hadramaut?

Im Hadramaut liegt ein kleiner Ort namens Khashamir. Dort wagte im August 2012 ein muslimischer Geistlicher in der Freitagspredigt den Aufruf, sich den Scharfmachern der regionalen islamistischen Al-Qaida-Gruppe entgegenzustellen. Drei Mitglieder der Gruppe sollen ihn daraufhin um ein Gespräch gebeten haben, und weil dem Prediger nicht wohl dabei war, bat er seinen Cousin hinzu, einen Polizisten. Das Treffen endete tödlich – aber nicht, weil die Islamisten Rache genommen hätten. Sie selbst waren vielmehr ins Visier von US-Drohnen geraten, die mehrere Raketen auf sie abfeuerten. Dass dabei auch der Geistliche und sein Cousin zu Tode kamen, war ein Versehen. Oder in der Sprache des Militärs: ein Kollateralschaden.

Es geht es um das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit

So wird die Geschichte in einer Verfassungsbeschwerde erzählt, gestützt auf Berichte der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. Zwei Bewohner von Khashamir wenden sich ans Bundesverfassungsgericht und bitten um Schutz – weil Deutschland für die USA als Drehscheibe des Drohneneinsatzes fungiere. Denn die Ramstein Air Base dient Drohnenpiloten in den USA als Satelliten-Relaisstation und ist damit wesentlicher Bestandteil der US-Infrastruktur für Drohneneinsätze in Afrika und auf der Arabischen Halbinsel.

Die Frage, die der Zweite Senat zu klären hat, lautet also: Kommt im globalen Drohnenkrieg der Amerikaner das deutsche Grundgesetz ins Spiel, weil eine Air Base auf rheinland-pfälzischem Boden dabei eine Rolle spielt? Immerhin geht es um das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit, weit oben im Grundgesetz angesiedelt. Oder darf die Bundesregierung in transatlantischer Verbundenheit großzügig darüber hinwegsehen, dass ein US-Standort in Deutschland wertvolle Hilfe für eine Art ferngesteuerter Hinrichtung leistet?

Unterstützt werden die Kläger vom European Center for Constitutional and Human Rights, einer in Berlin ansässigen Menschenrechtsorganisation. Auf ihrem windungsreichen Weg durch die Instanzen führte die Klage zunächst zu einem überraschend deutlichen Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Nordrhein-Westfalen. Deutschland müsse sich durch „geeignete Maßnahmen“ vergewissern, ob die Nutzung der Air Base im Einklang mit dem Völkerrecht stattfinde.

Faisal bin Ali Jaber reichte beim Verwaltungsgericht Köln Klage gegen die Bundesregierung ein. (Foto: Stefan Boness/IPON/SZ Photo)

Und ob das Völkerrecht bei den Angriffen in Jemen beachtet wurde, daran äußerte das Gericht erhebliche Zweifel. Zwar seien Drohneneinsätze nicht generell unzulässig. Die Al-Qaida-Gruppe auf der Arabischen Halbinsel befand sich damals in einem regionalen bewaffneten Konflikt mit der jemenitischen Regierung, die den USA Drohneneinsätze erlaubt hatte. Und im Krieg darf auch geschossen werden. „Willkürliche Tötungen“ jedoch, so befand das OVG, seien auch in bewaffneten Konflikten nicht erlaubt.

Das Bundesverfassungsgericht gewährt den Klägern eine seiner seltenen mündlichen Verhandlungen

Hinzu kam: Die USA sahen sich nach den Anschlägen des 11. September 2001 ohnehin im weltweiten Konflikt mit al-Qaida und hielten sich für legitimiert, deren Kämpfer und Helfer zu liquidieren, wo immer sie sie kriegen konnten. Doch dieser These vom globalen Krieg, der alles rechtfertigt, widersprach das OVG entschieden: „Sonst würde der ganze Globus zum potenziellen Schlachtfeld“ – und die Grenzen des Völkerrechts obsolet.

Das Urteil war geeignet, die Bundesregierung unter Zugzwang zu setzen, aber es hielt nicht lange. Im November 2020 wurde es vom Bundesverwaltungsgericht wieder einkassiert. Ein bisschen Diplomatie und gute Worte an die Adresse der USA – mehr könnten die Kläger von der Bundesregierung nicht verlangen, fand das Gericht, Recht auf Leben hin oder her. Die Sache schien damit zu Ende zu sein.

Dass das Bundesverfassungsgericht den Klägern nun eine seiner seltenen mündlichen Verhandlungen gewährt, ist daher ein kleiner Sieg für die Kläger. Als Berichterstatterin ist eine ausgewiesene Völkerrechtlerin für das Verfahren zuständig, Doris König, Vizepräsidentin des Gerichts. Das diplomatisch brisante Thema, ob die USA aus deutscher Sicht das Völkerrecht verletzt haben, wird jetzt vom höchsten deutschen Gericht behandelt werden. Dazu werden sich in Karlsruhe zwei Fachleute äußern, Heike Krieger und Stefan Oeter; sie lehrt Völkerrecht in Berlin, er in Hamburg.

Darf sich die Regierung gleichsam blind stellen?

Bleibt die Frage, ob die Grundrechte wirklich bis in den Hadramaut reichen. Ein klein wenig hat das Gericht dies schon beantwortet. Im Urteil zur Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes von 2020 entschied das Gericht: Wenn eine deutsche Behörde den Datenverkehr von Ausländern mit Ausländern aus den Satellitenverbindungen und Internetknoten ableite, dann sei sie ans Grundgesetz gebunden. Und ein Jahr später übertrug es diese Gedanken auf einen militärischen Kontext. In der Nähe des afghanischen Kundus hatte 2009 ein deutscher Oberst einen fatalen Angriff auf zwei Tanklaster befohlen, viele Zivilisten kamen ums Leben. Die Klagen der Angehörigen blieben zwar erfolglos, aber ganz abseitig war ihr Vorstoß nicht: „Die deutsche Staatsgewalt ist grundsätzlich auch bei Handlungen im Ausland an die Grundrechte gebunden“, befand Karlsruhe.

Was aber heißt das nun für Ramstein, für die USA, für die Bundesregierung? Die Air Base, dies wurde im Laufe der Jahre immer deutlicher, ist nicht nur eine technische Drehscheibe, sondern wohl auch ein Ort, an dem Analyse und Auswertung der Drohnen-Aktionen stattfindet. Wird Deutschland durch die stille Duldung zum Helfershelfer oder gar zum Mittäter? Strafbarkeit durch Unterlassen, wie man das im Strafrecht nennt? Oder darf sich die Regierung gleichsam blind stellen, weil ihr durch den Vertrag über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte oder das Nato-Truppenstatut ohnehin die Hände gebunden sind?

In der Verhandlungsgliederung taucht auch der Punkt „Inhalt einer extraterritorialen Schutzpflicht“ auf. Also die Frage, wozu könnte Karlsruhe die Regierung überhaupt verdonnern, wenn es die Grundrechte verletzt sähe. Eine Schließung des Standorts wird sicher nicht in Betracht kommen, allenfalls eine außenpolitisch abgemilderte Pflicht, auf dessen völkerrechtlich einwandfreie Nutzung hinzuwirken. Die Botschaft wäre dann: Ein entgrenzter Krieg befreit nicht von den Regeln des Rechts. Für die Kläger aus dem Hadramaut wäre das ein Sieg.

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