Berufliche Altersgrenzen legen normalerweise fest, bis zu welchem Alter man arbeiten muss. Auf die Rente mit 67 hatten die Hüter der Rentenkasse stärker gedrungen als die Arbeitnehmer. Nun hat das Bundesverfassungsgericht über die Altersgrenze für Notare geurteilt, allerdings in umgekehrter Konstellation: Ein Anwaltsnotar aus Nordrhein-Westfalen fragte in Karlsruhe an, wie lange er arbeiten darf. Das Amt des Notars endet mit dem 70. Geburtstag, doch er fand, er sei zu jung fürs Aufhören. Und siehe da: Das Gericht hat ihm teilweise recht gegeben – die derzeitige Regelung verletze sein Grundrecht auf Berufsfreiheit.
Der Berufsstand der Notare ist überschaubar. Bundesweit zählte man zu Jahresbeginn gut 6300 Notare, davon 1700 hauptberufliche sowie rund 4650 sogenannte Anwaltsnotare, die zugleich auch Rechtsanwälte sind. Im Notarwesen gilt föderale Vielfalt; viele Länder haben nur hauptberufliche Notare, einige nur Anwaltsnotare, manche beides.
Sechs Bewerbungen auf 67 Stellen, so zeigt sich der Nachwuchsmangel
Den Menschen im Land, die für Grundstücksgeschäfte, Erbfälle oder Familienangelegenheiten den Stempel des Notars benötigen, wären solche feinen Unterschiede egal, gäbe es dort nicht eine Art Fachkräftemangel. Nicht bei den hauptberuflichen Notaren, dort ist der Zulauf groß (was übrigens auch für die Verdienstmöglichkeiten gilt). Aber der Gemischtwarenladen Anwaltsnotariat klagt über Nachwuchsmangel. 2024 gab es sechs Bewerbungen auf 67 ausgeschriebene Stellen in Braunschweig, 37 Bewerbungen in Celle (98 Stellen), 25 Bewerbungen in Schleswig (112 Stellen). Heißt: Dort könnte man die Alten ganz gut gebrauchen.
Womit man bei der Begründung des Urteils angelangt wäre, die sich durchaus über das Notarwesen hinaus verallgemeinern lässt. Die Botschaft lautet: Eine berufliche Altersgrenze muss gerechtfertigt sein, weil sie in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingreift. Und wie es scheint, hat das Gericht die Anforderungen an diese Rechtfertigung nach oben geschraubt.
Der Erste Senat unter Vorsitz des Gerichtspräsidenten Stephan Harbarth hat die Argumente pro und contra Altersgrenze zusammengetragen. Dafür spricht zum Beispiel die gerechte Verteilung der Berufschancen zwischen den Generationen. Die Zahl der Stellen ist nun mal begrenzt, also können jüngere Notare nur nachrücken, wenn ältere ausscheiden.
Grundstücksgeschäfte zu beurkunden, gilt als unsexy
Spannend sind die Erkenntnisse zur Leistungsfähigkeit im Alter. Zwar ist das altersbedingte Nachlassen bestimmter Fähigkeiten ein gutes Argument für eine Altersgrenze. Allerdings muss man genau hinschauen. Nach Auskunft der Fachleute, die das Gericht zur mündlichen Verhandlung im Frühjahr eingeladen hatte, spielt das Alter vor allem in Berufen eine Rolle, in denen es auf die „fluide Intelligenz“ ankommt: Schnelle Auffassungsgabe, rasches Erkennen gefährlicher Situationen, Reaktionsfähigkeit. Ganz wichtig etwa für Berufspiloten.
Bei Notaren hingegen steht die „kristalline Intelligenz“ im Vordergrund. Das beziehe sich „auf erworbenes Wissen und umfasst Fähigkeiten und Kenntnisse, die stark auf Erfahrungen beruhen und im Langzeitgedächtnis gespeichert sind“, heißt es in dem Urteil. Und dort gibt es gute Nachrichten für die Altersgruppe 60 plus: „Nach der Studienlage nehmen Fähigkeiten der kristallinen Intelligenz tendenziell bis ins fortgeschrittene Alter zu oder bleiben zumindest stabil“, referiert das Gericht. 70 ist da noch kein Alter, heißt das.
Dennoch wäre ein Amtsende mit 70 noch hinnehmbar, wenn es der entscheidende Faktor wäre, um die Nachwuchssorgen zu beheben. Ist es aber nicht. Die Gründe für die Zurückhaltung jüngerer Juristen gegenüber dem Anwaltsnotariat liegen woanders – in der demografischen Entwicklung, im Zeit- und Kostenaufwand für den Berufseinstieg als Notar. Und auch ein bisschen darin, dass es als irgendwie unsexy gilt, Grundstücksgeschäfte zu beurkunden.
Der Gesetzgeber muss bis Ende Juni des nächsten Jahres die Altersgrenze neu regeln. Bis dahin gilt das aktuelle Gesetz weiter. Der Kläger kann sich dann neu um eine Stelle bewerben, mit dann 72 Jahren. In Dinslaken, wo er hin will, sollen die Aussichten gut sein.

