Die AfD ist in Karlsruhe und übrigens auch bei den Landesverfassungsgerichten als Dauerklägerin bekannt, oft geht es um die Spielregeln des politischen Betriebs. Manchmal erzielt sie dabei überraschende Erfolge, häufiger allerdings scheitern ihre Anträge. So war es auch dieses Mal. Die AfD-Fraktion wollte durchsetzen, dass sie in drei der 26 Bundestagsausschüsse den Vorsitzenden stellen darf. Das Bundesverfassungsgericht hat ihre Organklage nun abgewiesen. Wie der Vorsitz in den Ausschüssen geregelt werde, unterliege der Geschäftsordnungsautonomie des Bundestags – und der habe sich für eine freie Wahl durch die Ausschussmitglieder entschieden. Also für ein demokratisches Mehrheitsprinzip.
In der vergangenen Legislaturperiode wählte der Rechtsausschuss den AfD-Politiker Stephan Brandner ab
Der erste Teil des Verfahrens reicht in die vergangene Legislaturperiode zurück. Damals leitete Stephan Brandner (AfD) den Rechtsausschuss. Die Personalie war von Beginn an umstritten, am Ende war es ein von ihm geteilter degoutanter Tweet nach dem antisemitischen Terroranschlag von Halle, der ihn den Vorsitz kostete. Darin hieß es, Politiker lungerten „mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum“. Der Rechtsausschuss wählte ihn kurzerhand ab. Als zu Beginn der laufenden Legislaturperiode die Vorsitzendenposten in den 26 für die politische Arbeit so wichtigen Ausschüssen vergeben wurden, kam die AfD gar nicht mehr zum Zug. In drei Ausschüssen hatte sie die Hand gehoben – Inneres, Gesundheit, Entwicklung –, dreimal scheiterten ihre Kandidaten.
Der Vorgang stellte einen Bruch mit einer Konsenskultur dar. Seit es die Bundesrepublik gibt – und im Grunde schon seit dem Reichstag des Kaiserreichs –, werden Ausschussvorsitze proportional vergeben. Man einigte sich vorab im Ältestenrat, die Leitungsposten wurden unter den Fraktionen entsprechend ihrer Stärke verteilt. Wirklich gewählt wurde nie, obwohl in der Geschäftsordnung des Bundestags steht, dass die Ausschüsse ihre Vorsitzenden „bestimmen“. Doch angesichts der kalkulierten Provokationen der AfD kündigten die Fraktionen den Konsens auf. Seither wird über den Vorsitz im Ausschuss abgestimmt, und zwar geheim.
Verfassungsrechtlich war dieser Kurswechsel nicht ganz unkompliziert, immerhin geht es um das Recht auf parlamentarische Gleichbehandlung. Oder, wie es die als Berichterstatterin zuständige Richterin Christine Langenfeld ausgedrückt hat: um das Mitwirkungs- und Teilhaberecht der Abgeordneten. Längst geklärt war in der Karlsruher Rechtsprechung, dass Ausschüsse deshalb spiegelbildlich zum Bundestagsplenum besetzt werden müssen. Offen geblieben war, ob dieses Spiegelprinzip auch für die Vorsitzendenposten gilt.
Der Vorsitz im Ausschuss ist kein „politischer“ Job, sondern „organisatorischer Art“
Diese Frage ist nun beantwortet – und zwar mit Nein. Das zentrale Argument des Urteils lautet: Der Vorsitz im Ausschuss ist kein „politischer“ Job, der für den Status der Gleichheit aller Abgeordneten wichtig wäre. Der oder die Vorsitzende übe vielmehr eine Funktion „organisatorischer Art“ aus: Einberufung und Leitung der Sitzungen, Umsetzung der Beschlüsse, Repräsentation nach außen. „Hierbei haben sie die Arbeit des Ausschusses in seiner Gesamtheit zu berücksichtigen“, heißt es in dem Urteil.
Damit folgt das Gericht den Argumenten der Vertreter der anderen Parteien. In der mündlichen Verhandlung im März hatten sie argumentiert, die Vorsitzendenjobs seien für die Oppositionsarbeit gar nicht so wichtig, nicht nur wegen der Beschränkung auf organisatorische Dinge, sondern weil damit ein ungeschriebenes Gebot der Mäßigung verbunden sei – vergleichsweise unattraktiv für die Opposition, die vom Angriff auf die Regierung lebt. Entscheidend für das Urteil war also, anders ausgedrückt, die formale Rolle der Vorsitzenden als Organisator und Moderator. Dass ein Ausschussvorsitz die politische Sichtbarkeit erhöht, weil man häufiger in Talkshows eingeladen wird, spielte in der Argumentation des Gerichts keine Rolle.
Der Schlüssel zu dem Urteil ist mithin die Organisationshoheit des Bundestags, immerhin selbst ein Verfassungsorgan. Wo es um Organisation geht, um das Funktionieren des politischen Betriebs, da muss der Bundestag selbst die Regeln bestimmen können, sagt das Gericht – jedenfalls, solange bestimmte Fraktionen nicht willkürlich benachteiligt werden. Zwar hat das Gericht in der Vergangenheit die Rechte der Abgeordneten wieder und wieder gestärkt, und zwar dort, wo es um die eigentlich politische Arbeit der gewählten Volksvertreter geht. In diesem Fall trägt das Urteil allerdings dem Umstand Rechnung, dass gezielte Störungen den politischen Betrieb lähmen können. Im Urteil heißt es dazu: „In der Wahl drückt sich das Vertrauen der Ausschussmitglieder in den Vorsitz aus.“ Was im Umkehrschluss bedeutet: Ohne Vertrauen keine Wahl.