Süddeutsche Zeitung

Bundestag:Der Proporzorden

Auch Abgeordnete bekommen das Bundesverdienstkreuz? Womit sie das verdienen? Das ist nicht immer klar. Sicher ist aber, dass es bei der Auswahl auch auf die Stärke ihrer Fraktionen ankommt.

Von Robert Roßmann, Berlin

Eigentlich ist beim Bundesverdienstkreuz jedes Detail geregelt. Für den Orden gibt es einen Erlass des Bundespräsidenten, ein eigenes Statut sowie Ausführungsbestimmungen. Darin findet sich nicht nur alles Erdenkliche zu den verschiedenen Formen des Ordens - und wie man sie zu tragen hat. Das Verdienstkreuz 1. Klasse muss zum Beispiel "an der linken Brustseite angesteckt", das Großkreuz dagegen "an einem breiten, von der rechten Schulter zur linken Hüfte führenden Bande getragen" werden. Es gibt auch seitenlange Vorschriften zur Auswahl der Preisträger.

Deshalb ist es erstaunlich, dass eine durchaus relevante Praxis in all diesen Vorschriften nicht auftaucht: In jeder Legislaturperiode dürfen die Bundestagsfraktionen entsprechend ihrem Stärkeverhältnis Abgeordnete für das Bundesverdienstkreuz vorschlagen. Die Fraktionen übermitteln ihre Wünsche an die Bundestagspräsidentin, die sie an den Bundespräsidenten weiterreicht, der dann für die Auszeichnungen zuständig ist.

Auch viele Abgeordnete kennen dieses Verfahren nicht. Es sei aber tatsächlich "bestehende Praxis", teilt das Bundespräsidialamt auf Nachfrage mit. Insgesamt sei "die Zahl der Bundestagsabgeordneten, die ausgezeichnet werden können, auf maximal fünf Prozent pro Wahlperiode beschränkt" - bei inzwischen 736 Abgeordneten liegt die Obergrenze also bei 36 neuen Ordensträgern, fein austariert auf die Fraktionen.

Ist das Bundesverdienstkreuz also auch ein Bundesproporzkreuz? Und warum sollen Abgeordnete überhaupt auf diese Weise ausgezeichnet werden? Sie erhalten für ihre Tätigkeit jeden Monat mehr als 10 000 Euro. Sie bekommen Büros gestellt und Mitarbeiter bezahlt. Und sie erwerben Pensionsansprüche in einer Geschwindigkeit, von der normale Beschäftigte nur träumen können. Ihr Einsatz für das Gemeinwohl ist also - anders als bei den Millionen Ehrenamtlichen - bereits ordentlich entgolten.

Die Vergabepraxis an Abgeordnete scheine ihm deshalb ein "Fall von politischer Selbstbedienung und eine Perversion des Sinnes von Verdienstorden" zu sein, sagt der Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim. Bundespräsidialamt und Bundestag verteidigen die Praxis dagegen. "Ein Großteil" der 736 Abgeordneten engagiere "sich seit vielen Jahren für das Gemeinwohl und könnte die Voraussetzungen für eine Auszeichnung mit dem Verdienstorden erfüllen", sagt ein Sprecher des Präsidialamts. Außerdem komme eine Auszeichnung nur dann in Betracht, wenn neben erheblichem ehrenamtlichen Engagement auch "eine langjährige Zugehörigkeit zum Deutschen Bundestag gegeben ist sowie herausgehobene parlamentarische Ämter und Funktionen wahrgenommen werden", sagt ein Sprecher des Bundestags.

Der Süddeutschen Zeitung liegt eine Liste aller Abgeordneten vor, die in der vergangenen Legislaturperiode auf Vorschlag der Fraktionen das Bundesverdienstkreuz erhalten haben. Ihr zufolge gab es insgesamt 25 Ordensverleihungen. Die Unionsfraktion kam dabei zwölfmal zum Zug, die SPD-Fraktion sieben Mal. Vier Orden gingen an FDP-Politiker, zwei an Grüne.

Den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland, so heißt das Bundesverdienstkreuz offiziell, gibt es in acht Stufen. 23 der 25 Abgeordneten erhielten die Stufe "Verdienstkreuz am Bande", Ex-Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) wurde mit dem "Verdienstkreuz 1. Klasse" ausgezeichnet, der ehemalige FDP-Fraktionschef und Bundestagsvizepräsident Hermann Otto Solms bekam sogar das "Große Verdienstkreuz mit Stern und Schulterband".

Von den Linken und von der AfD wurde niemand ausgezeichnet

Die Linken hatten niemand vorgeschlagen, sie halten die Praxis für anachronistisch. Die AfD konnte nicht zum Zug kommen, weil laut Präsidialamt für die Ordensverleihung "nur Abgeordnete in Betracht kommen, die mindestens zwei Wahlperioden dem Parlament angehören". Die AfD ist aber erst seit 2017 im Bundestag. Die anderen vier Fraktionen haben zusammen genau die 25 aktuellen und ehemaligen Abgeordneten vorgeschlagen, die dann auch ausgezeichnet wurden. De facto haben also sie über die Ordensvergabe entschieden.

Aber wie läuft der Auswahlprozess in den Fraktionen ab? Die Unionsfraktion antwortet auf die Frage, warum sie ihre Parteifreunde Helmut Brandt, Heike Brehmer, Mechthild Heil, Anette Hübinger, Jens Koeppen, Patricia Lips, Daniela Ludwig, Karin Maag, Stefan Müller, Henning Otte, Uwe Schummer und Carola Stauche für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen hat, nur knapp: "Die CDU/CSU-Fraktion regt nach einem bewährten Verfahren gegenüber der vorschlagsberechtigten Präsidentin des Deutschen Bundestages amtierende und ausgeschiedene Mitglieder der Fraktion für eine Auszeichnung an, um besonderes Engagement auch jenseits ihres parlamentarischen Mandats zu würdigen."

Bei den Grünen habe "der Fraktionsvorstand über die Vorschläge für ein Bundesverdienstkreuz entschieden", sagt eine Fraktionssprecherin. Anders als die Union begründen die Grünen ihre Auswahl auch. Harald Terpe habe sich "nicht nur als Obmann der Grünen-Fraktion im Gesundheitsausschuss mit schwierigen ethischen Themen befasst, sondern sich auch für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit eingesetzt". Und Gerhard Schick, der andere Ordensträger der Grünen, habe "beharrlich auf die Einsetzung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zu den Cum-Ex-Deals hingewirkt und damit maßgeblich zur Aufdeckung des Finanz- und Steuerskandals beigetragen". Außerdem habe er "bereits vor seinem Einzug in den Bundestag an der Entwicklung des Green New Deals mitgewirkt".

"Orden sind mir wurscht, nur haben möchte ich sie"

Auf Vorschlag der FDP-Fraktion erhielten neben Hermann Otto Solms auch Otto Fricke, Wolfgang Kubicki und Michael Link das Bundesverdienstkreuz. Auf Vorschlag der SPD-Fraktion wurden neben Barbara Hendricks auch Lothar Binding, Martin Burkert, Aydan Özoğuz, Franz Thönnes, Waltraud Wolff und Dagmar Ziegler ausgezeichnet.

"Wir haben seitens der Bundestagsverwaltung, Abteilung Protokoll, pro Ordensverleihungsrunde Vorgaben, wie viele Bundestagsabgeordnete aus unseren Reihen vorgeschlagen werden können", sagt die zuständige parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion, Josephine Ortleb. "Wir halten uns an diese Vorgaben und benennen eine entsprechende Anzahl." Dazu, warum die SPD-Fraktion die sieben ausgewählten Abgeordneten vorgeschlagen hat, will sich Ortleb nicht äußern: "Die Ordensbegründungen sind nicht öffentlich, weswegen ich auf diese Frage nicht eingehen kann", sagt sie.

Aber warum sind die Bundesverdienstkreuze überhaupt so begehrt? Wolfgang Schäuble hat im September 2019 - damals war er noch Bundestagspräsident - die Ordensübergabe an eine langjährige CDU-Abgeordnete mit einem Zitat des Komponisten Johannes Brahms eröffnet: "Orden sind mir wurscht, nur haben möchte ich sie."

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