Süddeutsche Zeitung

Bundestagswahlkampf:Gewinner des TV-Duells sind die kleinen Parteien

Die Unterschiede zwischen Angela Merkel und Martin Schulz waren bei der Debatte so gering, dass die Sehnsucht nach Alternativen wächst. Die Schwächen der Sendung verdecken aber ein noch größeres Problem.

Kommentar von Robert Roßmann

Was haben die kleinen Parteien vor dem TV-Duell nicht alles beklagt. Das Format schade dem politischen Diskurs, weil sich Kanzlerin und Kanzlerkandidat keinem Schlagabtausch mit den anderen Parteien stellen müssten. Und es benachteilige die Opposition, weil in Angela Merkel und Martin Schulz nur Vertreter der großen Koalition geladen seien. Normalerweise schenken sich Grüne, FDP und Linke im Wahlkampf nichts. Doch der Unmut über das TV-Duell vereinte ihre Spitzenkandidaten. In einem gemeinsamen Brief verlangten sie - erfolglos - die Erweiterung des Duells um die kleinen Parteien. Doch jetzt sind ausgerechnet die Kleinen die größten Gewinner des Duells.

Die Fernsehdebatte geriet dermaßen langweilig, die Unterschiede zwischen Schulz und Merkel waren derart gering, dass selbst bei Wohlmeinenden eine gewaltige Sehnsucht nach Alternativen jenseits von Union und SPD wuchs. Am Ende des Duells waren sogar einige der letzten Differenzen, etwa beim Renteneintrittsalter oder den EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei, verwischt.

Es ist zwar richtig, dass man nach den TV-Debatten in Österreich, Frankreich oder den USA dankbar um die sachliche und respektvolle Auseinandersetzung zwischen Merkel und Schulz sein sollte. Aber das bedeutet noch lange nicht, dass man sich mit Kontur- und Mutlosigkeit abfinden muss. Merkel hat die Union sozialdemokratisiert. Aber auch Schulz traut sich die Konfrontation mit dem politischen Gegner nicht richtig zu. Statt die Debatte um die soziale Gerechtigkeit mit Verve zu führen, lädt Schulz den Agenda-Kanzler Gerhard Schröder zum Parteitag, verzichtet auf die Forderung nach einer Vermögensteuer und spielt mit dem Gedanken an eine Ampelkoalition. Dabei steht - zumindest für die meisten SPD-Mitglieder - kaum eine Partei derart für neoliberale Auswüchse wie die FDP.

Diese politische Verwaschenheit von CDU und SPD wird durch die fehlenden Koalitionsaussagen verstärkt. Wer etwa die SPD wählt, weiß nicht, ob er damit Sahra Wagenknecht, Anton Hofreiter, Christian Lindner oder Joachim Herrmann als Minister bekommt. So groß ist die Spannbreite zwischen Rot-Rot-Grün, Ampel und großer Koalition. Wer auf eindeutige Unterschiede setzt, wird sich angesichts der Ähnlichkeit der Großen jetzt stärker an die Kleinen halten. FDP, Linke, Grüne, aber auch die AfD, stehen immer noch für verschiedene Richtungen im politischen Betrieb. Umso wichtiger wird jetzt der Wettlauf um Platz drei - er entscheidet am Ende auch über die inhaltliche Ausrichtung der nächsten Koalition.

Die Union kann das vergleichsweise gelassen betrachten. Angesichts ihres enormen Vorsprungs auf die SPD scheint sich für sie nur die Frage zu stellen, an der Spitze welcher Koalition Merkel weiter regieren wird. Was für ein Unterschied zur SPD. Das TV-Duell sollte der Beginn einer gewaltigen Aufholjagd werden. Doch jetzt hat Schulz das Duell verloren. Damit dürften sich die letzten Hoffnungen auf eine Kanzlerschaft von Schulz zerschlagen. Wer keine eigene Machtoption hat, geht in der Endphase des Wahlkampfs meistens unter. Die Sozialdemokraten werden jetzt darum kämpfen müssen, in den Umfragen nicht noch weiter abzurutschen. Sie sind die großen Verlierer des Fernsehduells vom Sonntagabend.

Verloren haben aber auch die Zuschauer. Statt einer spannenden Auseinandersetzung gab es nur ein großkoalitionäres Therapiegespräch zu sehen. Viele wichtige Themen wurden überhaupt nicht angesprochen, an den wenigen interessanten Stellen wurde oft nicht nachgefasst.

Merkel muss sich auch im Bundestag der Auseinandersetzung stellen

Die Debatte über die Schwächen des Fernsehduells verdeckt aber ein größeres Problem. Eigentlich sollte sich die Kanzlerin nicht nur in Talkshows, sondern auch im Bundestag der direkten Auseinandersetzung mit ihren politischen Konkurrenten stellen müssen. In Großbritannien gibt es die Prime Minister's Questions. Die Abgeordneten können den Regierungschef regelmäßig in die Mangel nehmen. Ex-Premier Tony Blair, wahrlich kein Mann überbordender Selbstzweifel, sagt, dies seien die "nervenaufreibendsten Momente" in seiner Karriere gewesen. Er habe sich jedes Mal wie bei einem Gang "zum Schafott" gefühlt.

Im Bundestag gibt es zwar in jeder Sitzungswoche eine "Befragung der Bundesregierung", doch Merkel nimmt daran nicht teil, meistens ist nur einer der 15 Minister da. Auf der Homepage des Bundestags heißt es, der Plenarsaal sei "der wichtigste Ort der politischen Auseinandersetzung in Deutschland", in der Praxis finden die Debatten aber oft in Talkshows oder wie jetzt im TV-Duell statt. Wenn der Bundestag sich ernst nimmt, muss er dringend dafür sorgen, dass sich das ändert.

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SZ vom 05.09.2017/eca
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