Bundestagswahlkampf:Angela, die Asymmetrische

Wahlkampf Berlin

Die Raute als Ersatz für Inhalte? Die SPD wirft der CDU vor, dass sie keine Konzepte erarbeite und stattdessen auf die Kanzlerin setze.

(Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa)

Hält Kanzlerin Merkel mögliche SPD-Anhänger wirklich vom Wählen ab, wie Martin Schulz behauptet? Wahlforscher Matthias Jung sieht darin keine Strategie, sondern eine Folge des Mitte-Kurses der Union.

Interview von Detlef Esslinger

SZ: SPD-Chef Martin Schulz hat Angela Merkel vorgeworfen, im Wahlkampf erneut auf "asymmetrische Demobilisierung" zu setzen - das heißt, potenzielle SPD-Wähler vom Wählen abhalten zu wollen, indem sie nichts sagt, was die aufregen könnte. Hat er recht?

Matthias Jung: Zumindest war das Merkels Absicht 2009 und 2013 - allerdings auch damals nicht in der Form, Inhaltsleere zur Strategie zu erklären. Die asymmetrische Demobilisierung war die Folge des Modernisierungskurses der CDU. Indem die CDU mit ihren Inhalten in die Mitte rückte, ergab sich weniger polarisierender Konfliktstoff als früher. Außerdem ist die SPD an dieser Demobilisierung nicht unbeteiligt. Auch sie nimmt Positionen ein, mit denen sie sich mehr zu Mitte orientiert.

Sie meinen zum Beispiel, was Steuern und Rente betrifft.

Genau. Das ist ja alles sehr moderat, was sie da in den vergangenen Wochen beschlossen hat. Wenn die SPD es nicht auf Konflikte anlegt, wird es auch nicht zu heftigen Auseinandersetzungen kommen, zumindest nicht in dem Ausmaß, wie es zum Beispiel zu Zeiten von Herbert Wehner und Franz Josef Strauß der Fall war. Manche sind ja etwas nostalgisch und verklären deren Wahlkämpfe heute zur großen Kunst der politischen Auseinandersetzung.

Was Sie als Modernisierung beschreiben, ist aber nichts, was die CDU in Wahlprogrammen ausdrückte. Merkel modernisierte ihre Partei eher im Regierungsalltag. So war es bei der Abschaffung der Wehrpflicht und beim Atomausstieg.

Mit ihrer Person ist eine bestimmte Grundrichtung verbunden. Die hat nichts mehr mit der alten, stinkkonservativen Union zusammen. Das muss aber auch so sein.

Matthias Jung

Matthias Jung, 60, Diplom-Volkswirt, ist Vorstand der Forschungsgruppe Wahlen in Mannheim.

(Foto: privat)

Warum?

Das generelle Problem der Union beruht auf einem der wesentlichen Gründe für ihre Wahlerfolge. Sie schneidet seit jeher überdurchschnittlich gut bei älteren Wählern ab. Das heißt aber auch, ihr sterben - viel stärker als anderen Parteien - regelmäßig Wähler weg. Von Bundestagswahl zu Bundestagswahl verlieren CDU und CSU jeweils etwa eine Million Wähler durch Tod. Seit 1990 mehr als sechs Millionen. Das waren Wähler, die angesichts von Alter und Sozialisation die alte, konservative Union trugen. Dieses konservative Milieu aber verschwindet. Wenn die Union also ihre Ergebnisse halten will, muss sie immer wieder neue Wählerschichten erschließen.

Dann wäre das, was Schulz nun Merkel vorwirft, bloß eine zwangsläufige Folge der CDU-Modernisierung?

Sagen wir mal so: Merkel hat natürlich kein Interesse, dass auch noch der letzte Wähler mit Rest-Nähe zur SPD mobilisiert wird. Das ist aber ganz normale Wahlkampfstrategie: die eigenen Anhänger mobilisieren, und zugleich die andere Partei nicht unnötig aufbauen. Und ob die SPD ihrerseits ihre eigenen Anhänger anspricht, ist doch zu allererst ihre Aufgabe, aber nicht die der Union.

"Es sind nicht immer rationale Prozesse, die zur Wahlentscheidung führen"

Sie glauben, das gelingt der SPD nicht?

Es gibt viele Gründe, warum Menschen vielleicht bei einer Wahl daheim bleiben. Derzeit haben wir eine Phase, in der viele zwar nicht begeistert, aber doch zufrieden mit den Zuständen in Deutschland sind. Zudem ist die Wahlbeteiligung immer dann höher, wenn das Rennen anscheinend knapp ist und die Leute glauben, es komme genau auf ihre Stimme an. Und es nimmt die Einstellung ab, dass es sich gehört, wählen zu gehen. Vor allem die jüngeren Bürger fragen eher, ist diese Wahl jetzt für mich wichtig oder weniger wichtig?

1998 betrug die Beteiligung an der Bundestagswahl noch 82 Prozent. 2005 lag sie bei 78 Prozent, 2013 bei 72 Prozent. Was ist der Grund für den Rückgang?

Erstens aus den Gründen, die ich gerade genannt habe, und zweitens, weil die Polarisierung so zurückgegangen ist. Um noch einmal auf die Zeit von Wehner und Strauß zurückzukommen: Damals hat man auch unter Rückgriff auf Ideologien auf den jeweils anderen eingeprügelt. Mit Slogans wie "Freiheit statt Sozialismus" hat man damals die Leute mobilisiert, ohne dass viel über Inhalte diskutiert worden ist.

Heute gibt es dafür die AfD, die sehr stark polarisiert.

Auch deshalb funktioniert asymmetrische Demobilisierung nicht mehr so gut. Wir haben jetzt eine deutliche Polarisierung zwischen der AfD und den anderen Parteien - vor allem sowohl eine gewachsene Distanz als auch eine gewachsene Zustimmung zur Kanzlerin. Ihr Image ist nun weniger präsidentiell als früher.

Braucht Merkel eigentlich ein Programm? Sie wird gerade zur Führerin der freien Welt erklärt; da wirken Debatten über Spitzensteuersätze eh etwas profan.

Programme werden ohnehin überschätzt von denen, die sich hauptberuflich mit Politik beschäftigen. Menschen treffen ihre Entscheidung auch aus dem Bauch heraus.

Sind Programme überhaupt sinnvoll?

Ja, Debatten brauchen schließlich eine Grundlage. Und dann überlegen die Menschen schließlich, wem sie zutrauen, ihnen ökonomische, soziale und innere Sicherheit leidlich zu gewährleisten. Ihr gesunder Menschenverstand fließt ein, und welcher Partei sie ohnehin zuneigen. Denn es sind nicht immer rationale, bewusste Prozesse, die zur Wahlentscheidung führen.

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