Bundestagswahl:Wenn Wahlkampf eine Frage des Geldes ist

Wahlplakat von Bündnis 90 Die Grünen und anderer Parteien zur bevorstehenden Bundestagswahl in Ber

Wahlkampf an der Straße: Auch Plakate kosten Geld.

(Foto: imago/Seeliger)

Viele Direktkandidaten für den Bundestag müssen ihren Wahlkampf selbst bezahlen. Das kann schon mal 70 000 Euro kosten. Schaffen es nur Reiche ins Parlament?

Von Miguel Helm

Es ist ein teurer Sommer für Leon Hahn. Er kann die Miete zwar gerade so bezahlen. Aber für ein Abendessen mit seiner Freundin im Restaurant ist kein Geld da, an Urlaub ist gar nicht erst zu denken. Zuhause liegen offene Rechnungen. Und wenn sein alter Renault Clio noch vor der Wahl repariert werden muss, dann hat Hahn ein Problem. Der 26-Jährige, der erst vor einem knappen Jahr sein Studium beendet hat, will für die SPD am Bodensee in den Bundestag. Und das ist teuer.

Nur sehr wenige Politiker wollen darüber öffentlich reden. Die Parteien auch nicht, auf Anfragen antworten sie langsam, spärlich oder gar nicht. Wer in den Bundestag will, muss tief in die eigene Tasche greifen. Die Parteien erwarten von ihren Direktkandidaten, dass sie einen großen Teil des Wahlkampfs selbst bezahlen. Der SPD-Parteivorstand unterstützt zwar jeden Wahlkreis mit 7000 Euro, dazu kommen Ersparnisse von Unterbezirken und Kreisverbänden. Aber das ist oft nicht genug. Für Leon Hahn auch nicht, der junge Politiker muss einen Teil der Kosten selbst übernehmen. Eine Belastung.

Bisweilen investieren Direktkandidaten sogar bis zu 70 000 Euro in ihren Wahlkampf. Das zeigt eine Studie der Politikwissenschaftlerin Marion Reiser von der Universität Lüneburg. Sie hat für ihre Untersuchung mehr als hundert Bewerber und Kreisvorsitzende von CDU, CSU, SPD und Linkspartei interviewt. Nahezu alle Kandidaten haben in der Untersuchung angegeben, private Mittel eingesetzt zu haben.

Können nur die Reichen in den Bundestag?

Ein großes Plakat kostet mehr als 200 Euro, ein Brief an alle Erstwähler im Wahlkreis mehrere tausend Euro, dazu kommen noch Veranstaltungen und Infostände - das addiert sich. Deswegen seien die finanziellen Möglichkeiten sogar mitentscheidend bei der Frage, wer Direktkandidat in einem Wahlkreis werde, sagt die Politikwissenschaftlerin Reiser. Wohingegen inhaltliche oder ideologische Aspekte in den Nominierungsverfahren eine "untergeordnete Rolle" spielten, sagt Reiser.

Das macht es für junge Menschen am Berufsanfang und für Personen mit geringem Einkommen besonders schwer, sich aufstellen zu lassen. Sie sind im Bundestag auch unterrepräsentiert. Nur eine von 630 Abgeordneten ist unter 30. Mehr als hundert Beamte und Selbstständige sind im Parlament, aber nur drei Hausfrauen und ein Arbeiter.

Die Direktkandidaten von CDU und CSU bekommen überhaupt keine finanzielle Hilfe von der Bundes- und Landespartei. Wenn es Geld gibt, dann von den Kreis- und Ortsverbänden. Die hätten allerdings oft gar keine finanziellen Möglichkeiten, die Kandidaten zu unterstützen, sagt der Münchner CSU-Bezirksgeschäftsführer Frank Gübner. Jedem Kandidaten müsse klar sein, dass er auf einem Großteil seiner Ausgaben sitzen bleibe. "In einem umkämpften Wahlkreis kommt man als Kandidat ganz schnell auf den Preis eines Mittelklasse-Autos". Können also nur die Reichen in den Bundestag?

Leon Hahn

Leon Hahn kann sich den Wahlkampf nur mit großer Anstrengung leisten.

(Foto: SPD Baden-Württemberg)

Die CDU sieht keinen Handlungsbedarf. "Es besteht keine Veranlassung, an der bewährten Form der Wahlkampforganisation etwas zu ändern", heißt es aus der CDU-Zentrale in Berlin auf Anfrage. Und die Pressestelle der SPD teilt mit, dass es "nicht unüblich" sei, dass die Kandidaten sich am Wahlkampf finanziell beteiligen.

Allerdings sollte es Aufgabe der Parteien sein, den Wahlkampf ihrer Direktkandidaten zu finanzieren, sagt der Politikwissenschaftler Tim Spier von der Universität Singen. Denn die hätten die nötigen Mittel dafür. Die staatliche Parteienfinanzierung sei vor allem als Wahlkampfkostenerstattung gedacht gewesen, also als Unterstützung für die Kandidaten. Doch die Parteien hätten sich nach und nach zusätzliche Einnahmequellen gesucht - etwa die Eigenbeteiligung der Kandidaten.

Verstoß gegen demokratische Prinzipien

Philipp Amthor aus dem Wahlkreis Mecklenburgische Seenplatte I - Vorpommern-Greifswald II ist bundesweit der jüngste Direktkandidat der CDU. Seine Chancen für ein Mandat stehen gut, sein Wahlkreis ging 2013 mit großem Abstand an die Christdemokraten. Doch das hat seinen Preis. Etwa tausend Kilometer fährt der 24-Jährige mit seinem Auto jede Woche. Sein Wahlkreis ist etwa doppelt so groß wie das Saarland. Für Benzin gibt Amthor am meisten Geld aus, seinen Wahlkampf finanziert er aus Spenden und Ersparnissen. Nach dem Jura-Studium hat er für eine internationale Wirtschaftskanzlei gearbeitet und gut verdient. Wie viel er zuschießt, will er nicht verraten. Die Ortsverbände in seinem Wahlkreis übernehmen nur fünf bis zehn Prozent seiner Ausgaben. "Aber ich finde das gut und gerecht so", sagt Amthor.

Doch ist es das wirklich? "Man kann sehen, dass die, die mehr in den Wahlkampf investieren, eine höhere Chance haben, gewählt zu werden", sagt Bernhard Weßels, der am Wissenschaftszentrum Berlin arbeitet. Und: "Wenn Geld aus der privaten Kasse eine Rolle spielt, ob man im Wahlkampf erfolgreich ist, dann verstößt das massiv gegen demokratische Prinzipien". Von Chancengleichheit könne also keine Rede sein. Weßels fordert ein Verbot: Bundestagskandidaten dürften nicht eigenes Geld für den Wahlkampf ausgeben. Er hat das Thema im vergangenen Wahlkampf untersucht. Im Durchschnitt haben die Direktkandidaten von CDU und CSU 10 500 Euro aus eigener Kasse bezahlt, bei der SPD waren es 6 600 Euro. CDU und CSU haben laut Weßels 13 Prozent der Kosten übernommen, die SPD etwas mehr als die Hälfte.

Bei den kleineren Parteien sind die Summen wesentlich geringer, schließlich haben die meisten ihrer Direktkandidaten weniger Chancen, direkt in den Bundestag gewählt zu werden. Die Direktkandidaten der Grünen haben durchschnittlich knapp 2 000 Euro ausgegeben, die der FDP 2 500 Euro und die der Linkspartei 1 100 Euro. In der Studie wurden alle Kandidaten der etablierten Parteien befragt, also auch ein überproportional hoher Anteil von Kandidaten auf hinteren Listenplätzen mit geringen Wahlchancen. Sie investieren oft gar kein Geld in ihren Wahlkampf. Umso höhere Beträge müssen einige Kandidaten angegeben haben.

Bundestagswahl: Etwa 50 000 Euro hat Florian Post für seinen Wahlkampf 2013 ausgegeben.

Etwa 50 000 Euro hat Florian Post für seinen Wahlkampf 2013 ausgegeben.

(Foto: Privat)

So wie Florian Post von der SPD. Er ist Direktkandidat im schwer umkämpften Münchner Norden, wo sich SPD und CSU häufig ein Kopf-an-Kopf-Rennen liefern. Jede Stimme zählt. 2013 kandidierte der Politiker zum ersten Mal für den Bundestag - und war nach dem Wahlkampf seine Ersparnisse los, die er nach sieben Jahren als Wirtschaftsprüfer und als Manager bei den Münchner Stadtwerken angehäuft hatte. Der Wahlkampf kostete ihn am Ende nach eigenen Angaben etwa 50 000 Euro, eingerechnet in die Summe sind seine Unterhaltskosten, weil er sich vor der Wahl ein halbes Jahr unbezahlten Urlaub genommen hatte.

Ihm sei nichts anderes übrig geblieben, als so viel Geld in Plakate, Briefe und Infostände zu investieren. Schließlich habe der CSU-Konkurrent auch "alles aufgefahren". Das Direktmandat konnte Post 2013 zwar nicht gewinnen, kam aber über einen guten Platz auf der Landesliste in den Bundestag. Während seiner vier Jahre in Berlin habe er einen Teil seiner Diät zurückgelegt - für den aktuellen Wahlkampf. Das ist ein klarer Vorteil für ihn gegenüber Kandidaten wie Leon Hahn und Philipp Amthor, die bisher nicht im Bundestag sind.

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