Bundestagswahl:Was Wahlprogramme wirklich aussagen

Wahlprogramm

Was wird? Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) blättert im gemeinsamen CDU/CSU-Wahlprogramm.

(Foto: dpa)

In ihren Programmen verkünden Parteien ihre Ausgangspositionen. Entscheidend ist aber, ob von "wollen", "sollen" oder gar "werden" die Rede ist.

Kommentar von Detlef Esslinger

Viele Bürger sind sich sicher, dass Wahlprogramme der Beachtung nicht wert sind: weil sie ja doch nur gelogen seien. "Vorher versprechen sie alles Mögliche, und hinterher machen sie ja doch, was sie wollen", dieses Klischee steht so unverrückbar in der Landschaft wie der Liebfrauendom in der Münchner Innenstadt. Manchmal findet sich für das Klischee sogar eine Bestätigung.

2005 wollte die Union im Wahlkampf die Mehrwertsteuer um zwei Prozent anheben, die SPD um null. Das Ergebnis war: um drei. Kaum jemandem ist eine solche Mathematik begreiflich zu machen. Wie also muss man es verstehen, wenn 2017 - zum Beispiel - die SPD schreibt: "Wir wollen Arbeit und Kapital wieder gleich besteuern, indem wir die Abgeltungsteuer abschaffen"?

Wer aus diesem Satz das Versprechen herausliest, dass die SPD diese von vielen als ungerecht empfundene Steuer abschaffen wird - der hat ihn entweder nicht genau gelesen oder hält eine absolute Mehrheit der SPD nach der Bundestagswahl für das Selbstverständlichste von der Welt.

Die Programme fast aller Parteien wimmeln von zwei Verben: wollen und sollen. Sie drücken damit ihre Absichten aus. Was aus diesen wird, hängt jedoch davon ab, ob eine Partei nach einer Wahl Koalitionspartner findet und was das Ergebnis der Verhandlungen sein wird.

Ausgangspositionen, nicht mehr

Die Union teilt ihren möglichen Wählern mit: "Wenn international ein funktionierender Informationsaustausch der Finanzbehörden besteht, soll die pauschale Abgeltungsteuer ... ersetzt werden." Angenommen, Union und SPD müssten nach der Wahl erneut miteinander regieren - eine der beiden Seiten wird dann ihre Absicht zu dieser Steuer kaum in die Realität umsetzen können. Den "funktionierenden Informationsaustausch" jedenfalls wird es noch lange Zeit nicht geben.

In Wahlprogrammen und bei Kundgebungen verkünden Parteien ihre Ausgangspositionen - ähnlich wie Gewerkschaften, wenn sie vor einer Tarifrunde ihre Forderung aufstellen, von der sie genau wissen, dass sie nie das Ergebnis sein wird. Manches, was Parteien in einem Programm verlangen, dient zudem vor allem der Selbstbeschreibung.

Falls die FDP in die Lage kommt, über eine Koalition zu verhandeln, wird sie es kaum daran scheitern lassen, Englisch nicht als Zweitsprache an den Behörden durchsetzen zu können (womit sie die Eingewöhnung von Migranten erleichtern will). Erwöge die Linke, regieren zu wollen, würde sie kaum die Legalisierung der PKK, der kurdischen Terrorbande, für unabdingbar erklären.

Heikel wird es, wenn eine Partei nicht "wollen" und "sollen" schreibt, sondern "werden". Die SPD: "Wir werden die Mietpreisbremse weiter verbessern." Die Union: "In besonderen Gefährdungslagen werden wir die Bundeswehr ... unterstützend zum Einsatz bringen." Die Formulierung soll klarmachen, dass dieses Anliegen einer Partei besonders wichtig ist.

Heikle Formulierungen

Leider handelt es sich in der Regel um Anliegen, von denen andere Parteien überhaupt nichts halten. "Wir werden ..." führt leicht dazu, bei Koalitionsverhandlungen nur drei gleich schlechte Alternativen zu haben: dem Partner einen hohen Preis zahlen zu müssen (als Kompensation), beim eigenen Anhang als wortbrüchig zu gelten, mindestens aber als miserabler Verhandler.

Der nahe Verwandte von "werden" ist übrigens die Formulierung, die besagt, was es mit einem angeblich nicht geben wird. Angela Merkel vor vier Jahren: "Mit mir wird es keine Pkw-Maut geben." Wer so etwas sagt, noch dazu im Fernsehen, dem kann es passieren, dass einem der Satz wieder und wieder vorgehalten wird. Und im Fall von Merkel, dass die meisten Bürger sie trotzdem als Bundeskanzlerin behalten wollen; wahrscheinlich sogar werden.

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