Bundestagswahl:Was die Wahl für den Osten bedeutet

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Schwer getroffen: Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer nach der Bundestagswahl. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Bitte nicht AfD wählen - das war die Strategie, mit der ostdeutsche CDU-Politiker beinahe verzweifelt versuchten, Wähler zu überzeugen. Das ist gescheitert. Und der Schuldige ist schnell gefunden.

Von Antonie Rietzschel, Zella-Mehlis

Hans-Georg Maaßen steht am Sonntagabend in einer Holzhütte nahe der Autobahnabfahrt Zella-Mehlis. Hier in "Toschi's Station Motel", nahe Suhl, lassen sich prima Partys feiern - auch Maaßen hatte auf eine große Sause gehofft, stattdessen schaut der ehemalige Chef des Verfassungsschutzes jetzt mit versteinertem Gesicht in Fernsehkameras, spricht von einer "schweren Niederlage". Er wollte im Wahlkreis 196 in Südthüringen zeigen, dass die CDU mit sehr rechten Positionen AfD-Wähler zurückholen kann. Jetzt hat Maaßen, der seine Antipathie für den CDU-Kanzlerkandidaten Armin Laschet im Wahlkampf offen zur Schau trug, mehr mit ihm gemeinsam, als ihm lieb ist. Er ist krachend gescheitert.

Maaßen konnte den Kandidaten der AfD nur knapp hinter sich lassen. Den Wahlkreis gewonnen hat der Kandidat der SPD, Frank Ullrich. Biathlet und Olympiasieger - ins Feld geschickt, um Maaßen zu verhindern. Die Situation hier im Süden Thüringens war sehr speziell. Genau deshalb kann sie aber stellvertretend stehen für die Besonderheiten der Wahlergebnisse im Osten, für deren Widersprüchlichkeit und daraus abzuleitende Herausforderungen der kommenden Jahre.

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Während die CDU in allen ostdeutschen Bundesländern heftige Verluste einstecken musste, erlebte die SPD eine Renaissance. Bei Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen oder Sachsen-Anhalt blieb die Partei zuletzt weit unter zehn Prozent. Die Partei verband man hier lange mit unguten Erinnerungen an die Einführung der Hartz-IV-Gesetze. Besonders die Älteren haben die Worte des Altkanzlers Gerhard Schröder nicht vergessen, der 2001 sagte, es gebe kein Recht auf Faulheit. Als hätten die Menschen nach dem Zusammenbruch der DDR und ihrer Betriebe schlicht keinen Bock gehabt zu arbeiten. 20 Jahre und eine Generation später scheinen die Verletzungen so weit geheilt, dass man Olaf Scholz und seiner Partei wieder zutraut, zentrale soziale Fragen anzupacken. In den neuen Bundesländern gehören dazu auch die bestehenden Gehalts- und Arbeitszeitunterschiede zwischen Ost und West. Scholz hatte dies im Wahlkampf zum Thema gemacht.

Der Erfolg der SPD ist jedoch keiner, der in allen ostdeutschen Bundesländern ähnlich stark ausfällt. Während sich Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und auch Teile von Sachsen-Anhalt rot färbten, gingen in Sachsen und Thüringen viele Wahlkreise an die AfD. Das Wahlverhalten der Menschen ist aufgrund der geringeren Parteienbindung wechselhaft - gleichzeitig hat sich besonders im Süden eine hohe Zustimmung zu einer in Teilen rechtsextremen Partei verfestigt.

Die AfD konnte bei dieser Wahl kaum dazugewinnen, ihre Stärke beruht auf der Schwäche der CDU und ihres Kanzlerkandidaten. Ein Friedrich Merz oder Markus Söder wäre der Basis hier sehr viel lieber gewesen, daraus haben die eher konservativen ostdeutschen Landesverbände von Anfang an keinen Hehl gemacht. Weil es dann aber nach langem internen Streit doch Laschet wurde, versuchten Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer und sein Amtskollege in Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, zu retten, was zu retten war. Beide galten zuletzt als große Hoffnungsträger der Union.

Kretschmer saß bis 2017 für seine Partei im Bundestag, flog aber raus, als der AfD-Politiker Tino Chrupalla das Direktmandat holte. Er löste damals den angesichts der AfD-Wahlerfolge zurückgetretenen Ministerpräsident Stanislaw Tillich ab und siegte 2019 deutlich bei der Landtagswahl. Im Juni lieferte Reiner Haseloff in Sachsen-Anhalt mit 37 Prozent ein Wahlergebnis ab, das die CDU in Berlin und Laschet beflügelte. Gewonnen hatten Kretschmer und Haseloff mit einem klaren Anti-AfD-Kurs: Wer CDU wählt, verhindert eine starke AfD - diese Botschaft verfing vor allem bei Nichtwählern. Aber auch Unterstützer von SPD und Grünen gaben der CDU ihre Stimme.

"Schockierendes Ergebnis"

Als im Bundestagswahlkampf die Umfrage-Ergebnisse der Union abschmierten, starteten die sächsischen Christdemokraten eine ähnliche Kampagne. Mit dem Slogan "Macher statt Spalter" rief Kretschmer dazu auf, die Direktkandidaten der CDU zu wählen, um Siege der AfD zu verhindern. Kurz vor der Wahl traten Haseloff und Kretschmer gemeinsam mit anderen Spitzenvertretern der ostdeutschen CDU in Halle auf. Ehrengast war Friedrich Merz. Doch die Strategie ging nicht auf - nur vier von 16 Direktmandaten gingen in Sachsen an die CDU - zehn an die AfD. Bei den Zweitstimmen lag die AfD, außer in den großen Städten, vorn. In Thüringen wurde sie stärkste Kraft, gewann dort vier der acht Direktmandate, in Sachsen-Anhalt zwei.

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Reiner Haseloff sprach noch am Wahlabend von einem "schockierenden Ergebnis". Sachsens Ministerpräsident musste erst mal eine Nacht drüber schlafen, bevor er sich äußerte. Die Verantwortung für das schlechte Abschneiden seiner Partei schiebt Michael Kretschmer dann nach Berlin ab. Ob dieses historisch schlechte Ergebnis an der Bundespolitik gelegen habe, wird Kretschmer in einem MDR-Interview gefragt. "Ja natürlich, das sieht man doch eindeutig", sagt er. Er ist der erste wichtige Unions-Mann, der sich von Laschet absetzt. Dass der Kanzlerkandidat trotz des schlechten Ergebnisses seine Niederlage nicht eingestehen will, versteht Kretschmer nicht. Das sei die "falsche Haltung damit umzugehen". In einem Gespräch mit der Leipziger Volkszeitung distanziert sich Kretschmer auch vom ehemaligen Ostbeauftragten Marco Wanderwitz. Durch seine Äußerungen im Wahlkampf hätten sich die Menschen stigmatisiert gefühlt.

Warum es in Sachsen nun seit Jahren eine große Zustimmung für eine Partei gibt, die eng mit rechtsextremen Organisationen verknüpft ist und Neonazis in den eigenen Reihen duldet, dazu sagt Kretschmer nichts Konkretes. Auch nicht als es um die Frage geht, wie die Politik reagieren sollte. Das allerdings wird die große politische und gesellschaftlich relevante Frage der kommenden Jahre sein. Sich an die AfD und ihre Positionen anzunähern, ist jedenfalls nicht die Lösung. Das zeigt die Niederlage von Hans-Georg Maaßen deutlich.

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