Bundestagswahlen:Was passiert mit meiner Stimme?

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Wie genau Abgeordnete einen Sitz im Plenarsaal des Bundestags erlangen, ist nicht immer leicht zu verstehen. (Foto: Christian Spicker/Imago)

Das Bundesverfassungsgericht beschäftigt sich mit dem alten Wahlrecht - obwohl die Ampelkoalition es nun ändern will. Doch auch das neue wird wohl bald vor den Karlsruher Richtern landen.

Von Markus Balser und Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Es ist keine sonderlich dankbare Aufgabe, sich mit dem Wahlrecht von gestern zu befassen, wenn das Wahlrecht von morgen fast fertig auf dem Tisch liegt. Deshalb wäre niemand überrascht gewesen, wenn das Bundesverfassungsgericht freudig die Verhandlung über eine Normenkontrollklage von Grünen, Linken und FDP gegen das Wahlgesetz von 2020 abgeblasen hätte, das - ohne Erfolg - den aufgeblähten Bundestag verkleinern sollte. Die damaligen Oppositionsparteien hatten gegen die Reform der schwarz-roten Koalition geklagt, aber vor Kurzem das Ruhen des Verfahrens beantragt. Weil die Ampelkoalition inzwischen die Reform der Reform beschlossen hat, die nun auf den letzten Metern ist.

Dennoch hat sich der Zweite Senat des Karlsruher Gerichts der Sache angenommen, an diesem Dienstag war Verhandlung. Schon wegen der Wiederholungswahl in Berlin, da müssten die Regeln geklärt sein, sagte Vizepräsidentin Doris König.

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Die Ampelregierung hat sich mühsam auf eine Reform des Wahlrechts verständigt. Heftige Kritik hagelt es von den Oppositionsparteien. Aber auch Landesverbände der Grünen dagegen vorgehen. So spricht sich der hessische Vize-Ministerpräsident Al-Wazir dafür aus, die umstrittene Reform noch einmal anzupacken.

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Offenkundig will sich das Gericht zudem einer Frage mit hohem Popularitätsfaktor zuwenden. Wie verständlich muss das vornehmste Recht in der Demokratie ausgestaltet sein? "Muss für Wählerinnen und Wähler erkennbar sein, wie sich ihre Stimme auf die Mandatszuteilung auswirkt?", fragte Peter Müller, als Berichterstatter für das Verfahren zuständig. "Und ist das hier der Fall?"

Stein des Anstoßes ist Paragraf 6 des alten Wahlgesetzes. Danach werden Überhangmandate nicht mehr vollständig ausgeglichen, vielmehr bleiben drei dieser Mandate ohne Ausgleich. Das ist eine gute Sache für Parteien, die viele Wahlkreise gewinnen, also vor allem für CDU und CSU. Außerdem werden Direktmandate in begrenztem Umfang mit Listenmandaten derselben Partei in einem anderen Bundesland verrechnet. Das ist schon für sich gesehen komplex, aber die Formulierung hat noch eine Schippe Unverständlichkeit draufgelegt, meint die Düsseldorfer Professorin Sophie Schönberger, Vertreterin der Kläger. "Wenn die Wählerinnen und Wähler nicht mehr nachvollziehen können, was mit ihrer Stimme passiert, leidet die Integrationsfunktion der Wahl."

Die Bürger zahlten ja auch Steuern, trotz hochkomplexer Paragrafen, meint ein Jurist

Die Anstöße von der Richterbank kreisten um die Frage, ob wirklich die Paragrafen selbst zumindest einigermaßen verständlich sein müssen. Oder ob man die Wählerschaft nicht auf die Erklärvideos des Bundeswahlleiters verweisen darf und der Gesetzestext eher eine Sache für Juristen und Verwaltung ist. Die Bürger zahlen ja auch Steuern, trotz hochkomplexer Paragrafen, wandte Heinrich Lang ein, Vertreter der Bundesregierung. Die Antwort folgt in einigen Monaten, wenn das Urteil verkündet wird.

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In einigen Monaten wird sich das Gericht dann vermutlich doch noch mit dem Wahlrecht von morgen befassen müssen. CDU und CSU haben Klagen angekündigt, weil diese Reform - Stichwort Direktmandate - für sie ungünstig ausgefallen ist. Dass das Gesetz den Eindruck entstehen lässt, man wolle die Opposition schwächen, treibt nach einem Bericht von Zeit Online auch führende Grüne aus den Ländern um, wie Hessens Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Sie würden den zentralen Streitpunkt gern zurückdrehen: die Abschaffung der sogenannten Grundmandatsklausel, die etwa für CSU und Linke trotz gewonnener Direktmandate den Einzug in den Bundestag gefährden könnte.

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Doch die Spitze der Grünen-Bundestagsfraktion hält an der Reform fest. "Das Bundeswahlrecht ist eine originäre Bundesangelegenheit", sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann der Süddeutschen Zeitung. "Daher handelt es sich bei dem Reformvorhaben auch nicht um ein Zustimmungsgesetz. Ich gehe davon aus, dass das Gesetz nunmehr den Bundesrat durchläuft und daher wie geplant in Kraft treten kann." Der Bundestag hatte erst am 17. März mit den Stimmen von SPD, FDP und Grünen eine Wahlrechtsreform beschlossen, um den auf 736 Abgeordnete angewachsenen Bundestag dauerhaft zu verkleinern. Laut Haßelmann wollen die Grünen davon nicht abrücken: "Der Ampel ist gelungen, woran der Bundestag und mehrere Wahlrechtskommissionen in den letzten Jahren gescheitert sind: Das Wahlrecht mit dieser Reform so zu reformieren, dass die Größe des Bundestags wirkungsvoll und dauerhaft auf 630 Sitze beschränkt wird."

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