Bundestagswahl:Das sind die spannendsten Duelle in den Wahlkreisen

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Güler gegen Lauterbach, Pechstein gegen Gysi, Maaßen gegen Ullrich - und Baerbock gegen Scholz: In welchen Kreisen brisante Zweikämpfe anstehen.

Von Peter Burghardt, Nico Fried, Boris Herrmann, Anna Hoben, Ulrike Nimz und Jens Schneider

Am 26. September geht es nicht nur um die Mehrheitsverhältnisse im Bundestag, sondern auch um die Macht in 299 Wahlkreisen. Zur Frage, wer dort jeweils vorne liegt, ist in den vielen nationalen Umfragen nichts zu erfahren. Die Experten von Election.de präsentieren dazu aber regelmäßig Zahlen - auch zu den besonders spannenden Duellen, die die SZ hier zusammengestellt hat.

Wahlkreis 101: Güler gegen Lauterbach

Wahlkreis 101: Serap Güler (CDU) gegen Karl Lauterbach (SPD) (Foto: dpa/J. Simon)

Eigentlich treten im Wahlkreis 101 zwei Kandidaten gegeneinander an, deren Biografien beide gut zur SPD passen: Serap Güler und Karl Lauterbach. Güler ist das Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie, der Vater hat als Bergmann malocht, die Tochter ist inzwischen Staatssekretärin in der Landesregierung von Nordrhein-Westfalen. Doch Güler tritt nicht für die SPD an, sondern für die CDU. Die 40-jährige Muslimin gilt als Symbolfigur sowohl für den Öffnungskurs der Christdemokraten gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund, wie auch dafür, dass die CDU nach Angela Merkel nicht wieder eine reine Männerpartei wird.

Karl Lauterbach, 58, stammt ebenfalls aus einer Arbeiterfamilie, kämpfte sich gegen Widerstände zum Abitur durch und studierte schließlich an der amerikanischen Elite-Universität Harvard. Tatsächlich ging Lauterbach zuerst zur CDU, ist mittlerweile aber seit 20 Jahren Sozialdemokrat. Seinen Bundestagswahlkreis, der Köln-Mülheim und Leverkusen umfasst, gewann er viermal hintereinander direkt. Und doch fremdelt seine Partei bis heute mit ihm.

Serap Güler hat sich längst als prominente Persönlichkeit in der CDU etabliert, seit 2012 sitzt sie im Bundesvorstand und bezieht auch öffentlich klar Position: Als die CDU in einem Thüringer Wahlkreis jüngst den als Rechtsaußen bekannten Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen nominierte, fragte Güler ihre Parteifreunde via Twitter, wie man "so irre sein" könne.

Lauterbach erschien den eigenen Leuten über die Jahre mal als zu links, mal als zu besserwisserisch, manchmal auch beides. Bei der Vergabe von Regierungsämtern wurde er stets übersehen, als er sich 2019 um den Parteivorsitz bewarb, fiel er durch. Zuletzt machte Lauterbach als Corona-Experte von sich reden, doch weil er damit manchen Leuten auch auf die Nerven ging, blieb das Verhältnis der Partei zu ihm ambivalent. Auf der Landesliste nominierte ihn die NRW-SPD nur auf dem praktisch aussichtslosen Platz 23. Nico Fried

Wahlkreis 84: Pechstein gegen Gysi

Wahlkreis 84: Claudia Pechstein (CDU) gegen Gregor Gysi (Linke) (Foto: dpa/J. Simon)

Es gibt ein schönes Foto von Claudia Pechstein und Gregor Gysi, da sitzen sie nebeneinander und amüsieren sich offenbar köstlich, beide ein Gläschen Sekt in der Hand. Das Bild entstand im Oktober 2017 auf der Party zum 50. Geburtstag von Pechsteins Lebensgefährten Matthias Große. 400 geladene Gäste hat das Boulevardblatt BZ damals am Müggelturm im Berliner Stadtteil Treptow-Köpenick gezählt. Der Schauspieler Jaecki Schwarz war dabei, der Boxtrainer Ulli Wegner, die Entertainerin Dagmar Frederic und die Puhdys traten live auf. Man kann wohl sagen: Es war ein Gala-Abend der Ost-Legenden. Und der Legendenstatus, den Gregor Gysi, 73, in diesen Kreisen genießt, bemisst sich wohl auch daran, dass er beim Dinner gleich neben die Partnerin des Gastgebers platziert wurde.

Knapp vier Jahre später treten die beiden Sitznachbarn von damals bei der Bundestagswahl gegeneinander an. Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein, 49, Deutschlands erfolgreichste Winter-Olympionikin, wurde von der CDU überraschend als Direktkandidatin in Treptow-Köpenick nominiert. Ihren ersten Bundestagswahlkampf will sie parallel zum Training für ihre achte Olympiateilnahme organisieren. Nicht nur deshalb sind ihre Chancen marginal, den Wahlkreis 84 tatsächlich zu gewinnen. Denn Gysi war dort in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten so erfolgreich wie Pechstein auf ihren Kufen. Seit 2005 hat er hier immer das Direktmandat für die Linke geholt.

Das Duell lebt also weniger von seiner Spannung als von seinem Glamour. Wo gibt es das schon, außer in Treptow-Köpenick, dass sich die Wahlberechtigten zwischen zwei ehemaligen Preisträgern der von der Super Illu verliehenen "Goldenen Henne" entscheiden können? Boris Herrmann

Wahlkreis 196: Ullrich gegen Maaßen

Wahlkreis 196: Frank Ullrich (SPD) gegen Hans-Georg Maaßen (CDU) (Foto: Imago/J. Simon)

Sport und Politik haben eines gemeinsam: Sie kommen selten ohne Zweikämpfe aus. In Südthüringen, wo sie fast schon fränkisch sprechen und lieber Skifahren als laufen, tritt der ehemalige Spitzenbeamte Hans-Georg Maaßen gegen den ehemaligen Spitzensportler Frank Ullrich an. Letzterer war mal einer der erfolgreichsten Biathleten überhaupt: neun Weltmeistertitel, vier Olympiamedaillen und vier Weltcup-Gesamtsiege für die DDR.

In Ullrichs Heimatort Trusetal gibt es nicht nur ein Gartenzwergmuseum, sondern auch einen Frank-Ullrich-Weg. Wenn er gewählt wird, will sich "Uller", wie ihn manche Landsleute nennen, dem Schulsport widmen, vielleicht im Sportausschuss des Bundestages. Sein Vorteil: Er wird weniger als Kandidat der SPD wahrgenommen, sondern als "einer von hier".

Hans-Georg Maaßen hingegen stammt aus Mönchengladbach, war als Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutzes eher kein Siegertyp und will das Mandat des CDU-Bundestagsabgeordneten Mark Hauptmann verteidigen, der wegen Maskendeals und zweifelhafter Beziehungen zu Aserbaidschan zurücktreten musste.

Seit Maaßen seine Kandidatur angekündigt hat, bekommt der "schönste Wahlkreis der Welt", wie er in seiner Twitter-Biografie schreibt, bundesweite Aufmerksamkeit. Auch weil der Jurist und Rechtsausleger Maaßen es wie kein Zweiter versteht, die eigene Partei mit zweifelhaften Äußerungen in Bedrängnis zu bringen.

Frank Ullrich werden durchaus Chancen eingeräumt. Ganz Sportsmann verliert dieser kein schlechtes Wort über seinen politischen Mitbewerber, der inzwischen ebenfalls einen Wohnsitz am Wald unterhält. Seinen Followern sandte Maaßen jüngst ein Selfie aus dem Einwohnermeldeamt. Die Verwaltung funktioniere in Suhl so viel besser als im "sozialistischen Berlin". Dass er dort im Falle eines Sieges wieder öfter hin muss, hat ihm hoffentlich jemand gesagt. Ulrike Nimz

Wahlkreis 153: Piechotta gegen Pellmann

Wahlkreis 153: Paula Piechotta (Grüne) gegen Sören Pellmann (Linke) (Foto: dpa/imago)

Der Leipziger Süden ist so etwas wie das Gallien Sachsens - ein roter Fleck auf der ansonsten schwarz-blauen Wahlkreiskarte. Bei der vergangenen Bundestagswahl gewann der Grund- und Förderschullehrer Sören Pellmann hier das Direktmandat für die Linke - knapp, mit 0,7 Prozentpunkten vor dem Kandidaten der CDU. In einem Bundesland, in dem die AfD 2017 die meisten Zweitstimmen holte, war das eine kleine Sensation.

Wo viele junge Menschen wohnen, teils alternative Lebensstile gepflegt werden, punktete die Linke vor allem mit dem Thema Miete und mit klarer Abgrenzung nach rechts, profitierte aber auch von der Aktion #CDUMandatabnehmen, die Anhängern von SPD und Grünen nahelegte, strategisch zu wählen, um einen Sieg des konservativen CDU-Parteichefs Thomas Feist zu verhindern.

In diesem Jahr könnte es anders ausgehen. Die Grünen stellen mit der Ärztin Paula Piechotta eine neue Kandidatin auf, die wenig Zweifel daran lässt, dass sie mehr will als eine Wahlempfehlung abzugeben. Erneute Unterstützung für Pellmann werde es von ihrer Seite nicht geben, schrieb sie jüngst auf der Plattform Abgeordnetenwatch und begründete dies damit, dass Pellmann Sahra Wagenknecht für einen Wahlkampftermin nach Leipzig geholt hatte und bei Abstimmungen im mehrheitlich rot-rot-grünen Stadtrat gelegentlich aus der Reihe tanze.

Piechotta, Spitzenkandidatin ihrer Partei, will Probleme im Gesundheitswesen angehen und den Osten im Gespräch halten. Was dabei verlässlich helfen könnte: das erste Bundestagsdirektmandat der Grünen in Sachsen. Ulrike Nimz

Wahlkreis 220: Janecek gegen Pilsinger

Wahlkreis 220: Dieter Janecek (Grüne) gegen Stephan Pilsinger (CSU) (Foto: Imago/F. Bungert)

Bei der Bundestagswahl ist München traditionell tiefschwarz. Ganz München? Nein. Es gibt einen Wahlkreis, in dem immer wieder die Sozialdemokraten triumphierten. Der Münchner Norden galt für die CSU bislang als das schwierigste Terrain in ganz Bayern. Der Swing State der Landeshauptstadt sozusagen, mal hielt dort die CSU das Direktmandat, mal die SPD.

In diesem Jahr zeichnet sich das spannendste Duell allerdings woanders ab, und in anderer Konstellation. München-West/Mitte heißt der Wahlkreis, der so geschnitten ist, dass konservative Viertel am Stadtrand und eher grüne Bezirke in der Innenstadt eine für die CSU explosive Mischung ergeben. Hier will Dieter Janecek (Grüne) seinem Kontrahenten Stephan Pilsinger (CSU) das Direktmandat abjagen.

Beide sitzen bereits im Bundestag. Janecek ist über die Landesliste eingezogen, er wird dem Realo-Flügel seiner Fraktion zugerechnet, ist Sprecher für Industriepolitik und digitale Wirtschaft. Pilsinger, ein Arzt und Experte für Gesundheitspolitik, fällt in Berlin weniger auf.

Er nehme das Duell locker, sagt er, räumt aber zugleich ein, es werde ein "offenes Rennen". Doch seit 1976 gewann im Münchner Westen immer die CSU. Damit das so bleibt, will Pilsinger so viel wie möglich mit Menschen in Kontakt kommen. Das zumindest hat er mit Janecek gemeinsam. Er mache seit Januar Veranstaltungen, sagt dieser, und sein Team klebe so viele Plakate "wie nie zuvor". Gewinnt Janecek, wäre er der erste Grüne, der aus München jemals als Direktkandidat in den Bundestag eingezogen ist. Anna Hoben

Wahlkreis 61: Baerbock gegen Scholz

Wahlkreis 61: Annalena Baerbock (Grüne) gegen Olaf Scholz (SPD) (Foto: dpa/getty)

Dies ist eine Premiere. Zum ersten Mal überhaupt bewerben sich zwei Kanzlerkandidaten in einem Kreis um ein Direktmandat für den Bundestag. Im Wahlkreis 61 "Potsdam, Potsdam-Mittelmark II, Teltow-Fläming II" kämpft Grünen-Chefin Annalena Baerbock gegen Olaf Scholz, den Bundesfinanzminister von der SPD.

Der frühere Hamburger Bürgermeister lebt seit drei Jahren mit seiner Frau Britta Ernst in Brandenburgs Landeshauptstadt, sie ist dort Bildungsministerin. Schon etwas länger wohnt Annalena Baerbock in Potsdam, sie war schon Landesvorsitzende der Grünen.

Es ist ein Wettbewerb, dessen Ausgang sich nicht leicht vorhersagen lässt, auch weil dies ein sehr dynamischer Wahlkreis ist. Potsdam erlebt seit Jahren einen Boom. Manche nennen es wegen der Veränderungen die westlichste Stadt des Ostens. Der enorme Zuzug gerade vieler junger Familien auch in die Speckgürtel-Gemeinden, die zum Wahlkreis gehören, hat den Kreis massiv verändert. So konnte bei den letzten Landtagswahlen erstmals in Brandenburg eine Grüne in Potsdam ein Direktmandat erringen.

Und es gibt prominente Konkurrenz, etwa Linda Teuteberg, die frühere FDP-Generalsekretärin. Für die CDU bewirbt sich gegen die aus dem Westen stammenden Kanzlerkandidaten die als konservativ bekannte Bundestagsabgeordnete Saskia Ludwig, auf ihren Plakaten steht: "Eine von hier". Ludwig unterlag 2017 knapp gegen Manja Schüle. Die war damals die einzige Sozialdemokratin, die einen Direktwahlkreis im Osten gewinnen konnte.

Schüle ist inzwischen Ministerin in Brandenburg. Auch Baerbock war als Direktkandidatin angetreten, sie kam auf 8,0 Prozent, wurde Fünfte hinter den Kandidaten der Linken und der AfD. Diesmal wird ein enges Rennen zwischen den Kanzlerkandidaten erwartet. Jens Schneider

Wahlkreis 15: Kassautzki gegen Günther

Wahlkreis 15: Anna Kassautzki (SPD) gegen Georg Günther (CDU) (Foto: imago/imago)

Bisher war immer sehr klar, wer diesen Wahlkreis im deutschen Nordosten gewinnt. Erst hieß er Wahlkreis 267, jetzt ist es der Wahlkreis 15 Vorpommern-Rügen Vorpommern-Greifswald I. Ein schönes und großes Revier in Mecklenburg-Vorpommerns Feriengebiet.

Genaugenommen ist es einfach der Merkel-Wahlkreis, denn die Seriensiegerin dort war seit 1990 Dr. Angela Merkel, CDU, seit 2005 Bundeskanzlerin. Achtmal hintereinander hat sie da oben ihr Direktmandat für den Bundestag erobert, zuletzt 2017 mit 44 Prozent der Stimmen. Nun hört sie auf, die gern fotografierte und auch mal geklaute Plakette an ihrem Wahlkreisbüro in Stralsund wird verschwinden.

Um Merkels Nachfolge bewirbt sich Georg Günther, 33, der in der CDU-Vertretung in Grimmen unter Merkel-Plakaten empfängt und seit ein paar Wochen bemüht ist, sich einen Namen zu machen, denn viele Wähler haben noch nie von ihm gehört. Eine Gegnerin ist Anna Kassautzki, SPD, 27, auch noch nicht so bekannt, weitere Rivalität kommt von Linken, Grünen, AfD.

Günther gegen Kassautzki und die anderen statt Merkel unbezwingbar? Die Staatswissenschaftlerin Kassautzki, Leiterin des Familien-Service der Uni Greifswald ist Juso-Kreisvorsitzende und Mitglied der Antifaschistischen Bildungsinitiative e.V. Der Diplom-Finanzwirt Günther, Amtsbetriebsprüfer im Außendienst, ist Landesvorsitzender der JU, sitzt im Gemeinderat von Süderholz und engagiert sich für das Barockschloss Griebenow. Sein Wahlkampfmotto: "Überraschend anders." Anders wird es sicher werden im Wahlkreis 15, dem Merkel-Wahlkreis. Peter Burghardt

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