Süddeutsche Zeitung

Wahlprogramm:Wie Volt den Einzug in den Bundestag schaffen will

Im EU-Parlament ist sie schon, jetzt will die junge Partei Volt erstmals auch in den Bundestag. Sie setzt dafür auf Europa - und auf selbstbewusste Forderungen.

Von Karoline Meta Beisel

"The Winner is Europa, egal, wer uns anführt", schreibt ein Mitglied von Volt am Sonntagmittag in einem Chat, wenige Momente nachdem die Partei in einer digitalen Abstimmung ihre Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl gekürt hat. Die 32-jährige Rebekka Müller aus Köln und der 54-jährige Hans-Günter Brünker sollen Volt im September in den Bundestag führen - zum ersten Mal in der Geschichte der erst 2017 gegründeten Partei.

"Wir haben ein Mega-Potenzial", sagt Müller - ganz schön viel Selbstbewusstsein dafür, dass Volt 2019 bei der Europawahl in Deutschland gerade mal 0,7 Prozent der Stimmen erzielte: halb so viel wie die Tierschutzpartei und weniger als ein Drittel dessen, was Satiriker Martin Sonneborn mit seiner Partei erreichte. Da es bei Europawahlen aber keine Sperrklausel gibt, hat Volt seitdem einen Sitz im EU-Parlament, den der Deutsche Damian Boeselager hält. Der Volt-Abgeordnete hat sich dort der Grünen-Fraktion angeschlossen. Im niederländischen Parlament kam der örtliche Ableger der Partei bei der Wahl im vergangenen März auf 2,4 Prozent und damit sogar auf drei Mandate, "was ich immer noch krass finde", wie Müller sagt.

Der Webseite zufolge hat Volt, die sich als erste "wirklich gesamteuropäische Partei" bezeichnet, inzwischen in allen EU-Staaten sogenannte Chapter, außerdem auch in Großbritannien und der Schweiz. In Deutschland hat die Partei derzeit etwa 2700 Mitglieder. Auf kommunaler Ebene konnte sie bereits einige Erfolge erringen. In Frankfurt am Main zum Beispiel ist die Partei derzeit an Koalitionsverhandlungen beteiligt.

Bei der Bundestagswahl dagegen dürfte Volt es schwer haben, freundlich gesagt. Wie die Fünf-Prozent-Hürde überwinden? So heißt es denn auch in einer der Fragen, die die Kandidaten am Sonntag beantworten mussten. Mit einem "richtig, richtig guten Wahlprogramm", war die Antwort. Wenig überraschend handelt das Programm, das am Montag vorgestellt werden soll und der Süddeutschen Zeitung vorliegt, sehr viel von Europa. In der Kurzfassung dieses Wahlprogramms taucht der Begriff auf jeder Seite im Schnitt viermal auf.

Volt strebt langfristig eine Bundesrepublik Europa an

Auf den ersten Seiten des Programms geht es dabei vor allem um institutionelle Fragen. In der heutigen EU "untergraben nationale Interessen die gemeinsamen Ziele aller Mitgliedstaaten und die Werte der EU. Die national etablierten Parteien stoßen hierbei an ihre Grenzen", heißt es darin. Langfristig strebt Volt eine föderale Europäische Republik an, mit mehr Rechten für das Parlament, einer EU-Kommission, deren Präsident oder Präsidentin vom Parlament gewählt wird, und einer "Verteidigungsarmee" unter parlamentarischer Kontrolle. Der Europäische Rat - also das Gremium der Staats- und Regierungschefs - "wird langfristig abgeschafft", fordert Volt sogar.

Mal unabhängig von der Frage, wie realistisch solche Wünsche sind - über die EU-Institutionen "können wir mit einigen Leute reden, aber damit erreichen wir nicht die breite Masse", sagt am Sonntag selbstkritisch einer der Parteitagsredner. Darum enthält das Programm auch zu vielen anderen Themen Vorschläge. Natürlich zu den aktuellen Debatten der Europapolitik, etwa zu Asyl- und Agrarfragen oder zur umstrittenen Finanztransaktionssteuer, für die Volt sich einsetzt.

Aber auch zur deutschen Politik erhebt die Partei Forderungen: So will Volt, dass Deutschland bis 2035 CO₂-neutral und bis 2040 klimaneutral wird. Dazu fordert die Partei einen Ausstieg aus der Kohleverstromung bis spätestens 2030. Außerdem möchte Volt das Gesundheitssystem stärken, die Digitalisierung vorantreiben und ein in Recht auf bezahlbares Wohnen im Grundgesetz festschreiben lassen. Für die Bildung fordert Volt einen "Neustart" nach finnischem Vorbild, mit deutlich größeren Investitionen. So sollen in Deutschland "alle Abschlussprüfungen in Kernfächern vom ersten Schulabschluss über den mittleren Schulabschluss bis hin zum Abitur vereinheitlicht werden", wie es in dem Programm heißt.

Warum aber überhaupt solche nationalen Forderungen erheben, wenn man sich doch als europäische Partei versteht? Auch darauf findet das Programm eine Antwort: Es seien die nationalen Regierungen, die die Zukunft Europas entschieden. Darum brauche es Volt auch in Deutschland.

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