Bundestagswahl:Der Fluch der schlechten Umfragen

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Viele Wähler geben ihre Stimmen taktisch ab. Umfragen können darauf Einfluss haben. (Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa)

Eine Studie zeigt: Liegt eine Partei kurz vor der Wahl unter der Fünfprozenthürde, sinken ihre Erfolgschancen dramatisch.

Von Bastian Brinkmann, Berlin

Im Wahlkampf gibt es nur ein Ziel: möglichst viele Stimmen zu bekommen. Lästige Dinge wie Pausen, Essen oder Erkältungen werden ausgelassen oder mit rezeptfreien Mitteln aus der Apotheke weggedrückt. Nur für eine Sache lassen die Wahlkämpfer alles stehen und liegen: eine neue Umfrage. Gewinnt die eigene Partei auch nur minimal, wird gefeiert – unser Kurs ist richtig, weiter so! Verliert die eigene Partei ein wenig, wird abgewiegelt – dieses Institut misst uns immer schlechter als wir sind, Mund abwischen, weitermachen. Dabei können kleine Schwankungen auch nur statistischer Zufall sein.

Die Obsession mit Umfragen ist allerdings für Parteien, die mit der Fünfprozenthürde kämpfen, höchst berechtigt. Denn auch kleinste demoskopische Unterschiede haben bei diesen Parteien einen Einfluss darauf, wie die Bürger abstimmen. Das zeigt eine neue Studie von Forschern der Universitäten Potsdam und Wien. Die Politikwissenschaftler haben Hunderte Umfragen und Wahlergebnisse aus 19 Ländern ausgewertet, von Island bis Neuseeland. Im Durchschnitt gilt demnach: Der Einfluss der letzten Umfrage auf das Wahlverhalten ist erheblich. Liegt eine Partei direkt vor der Wahl knapp über der Sperrklausel, schafft sie es in drei von vier Fällen auch ins Parlament. Liegt sie stattdessen knapp unter dieser Hürde, schafft nur noch eine von vier Parteien den Einzug.

Im Bundestagswahlkampf gibt es drei Parteien, die derzeit im Bereich der Fünfprozenthürde liegen, die bei der Bundestagswahl gilt: die FDP, das BSW und die Linkspartei. Die Linke hofft aber auch auf drei Direktmandate – die würden der Partei den Einzug in den Bundestag auch mit weniger als fünf Prozenten sichern.

Bei den Liberalen fürchten gerade viele, dass der Fluch der schlechten Umfragewerte sie treffen könnte. Bleiben die Umfragen so, könnten in der Wahlkabine Menschen von der FDP zur CDU flüchten – immerhin verspricht auch der Unionskanzlerkandidat Friedrich Merz liberale Wirtschaftsreformen. Und anders als eine Vier-Prozent-Partei sitzt die Union sicher im künftigen Bundestag. Wäre es taktisch dann nicht besser, die FDP im Stich zu lassen und die sichere Bank zu wählen, die CDU? Für solches Wahlverhalten kennt die Politikwissenschaft das brutale Fachwort der „Fallbeil-Hypothese“: Wenn die Menschen denken, dass eine Partei abstürzt, geht es demnach besonders weit nach unten.

Was den kleinen Parteien hilft: Wenn Wähler die Unsicherheiten in den Umfragen kennen

Die neue Studie zu den Überlebenschancen rund um die Fünfprozenthürde bestätigt nun, dass das Fallbeil eine Partei hart treffen kann. Die Forscher haben aber auch herausgefunden: Ein bisschen Statistikwissen kann den Parteien helfen, die mit der Sperrklausel kämpfen. Umfragen können nämlich durch reinen Zufall eine Partei mit vier Prozent taxieren, obwohl sie eigentlich bei fünf Prozent steht, und umgekehrt. Das ist die sogenannte statistische Schwankungsbreite. Sind sich Bürger dieser Unsicherheit in den Umfragen bewusst, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit wieder, dass sie Parteien knapp unterhalb der Fünfprozenthürde wählen.

Dass Wahlkämpfer sich gerne einreden, dass eine Umfrage mit etwas weniger als fünf Prozent gar nichts bedeuten muss, könnte somit wirklich helfen: wenn es ihnen gelingt, das auch den Bürgern einzureden. Die Wahlkämpfer dürfen also noch knapp zwei Wochen versuchen, Hunger und Erkältungen zu ignorieren – und um jede Stimme werben.

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