Umfragen zur Bundestagswahl:Migration bewegt die Wähler – aber die Wirtschaft tut’s auch

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(Foto: Lina Moreno/SZ; Imago)

Wie im Bundestag gilt seit dieser Woche auch in der Bevölkerung Migrationspolitik als das wichtigste Thema.  Anders jedoch, als die Debatten glauben lassen, ist es keineswegs das einzige – es kommt sehr darauf an, wen man fragt.

Von Sabrina Ebitsch, Sören Müller-Hansen und Oliver Schnuck

Es waren die härtesten, hitzigsten Debatten, die der Bundestag seit Langem erlebt hat. Von Tabubrüchen war die Rede, von Staatsversagen, gar die nächste Zeitenwende wurde ausgerufen, diesmal eine migrationspolitische. Und die Diskussionen um Asyl und Migration schlagen sich spätestens seit dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg nicht nur im Parlament, sondern auch in der öffentlichen Wahrnehmung nieder.

Das Thema Migration und Flucht, das bereits nach der Amokfahrt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt wieder mehr in den Fokus rückte, geben nun in einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen erstmals seit Monaten wieder die meisten Befragten (41 Prozent) als eines der wichtigsten Probleme in Deutschland an. Es hat damit die von jeder dritten Person genannte Wirtschaftslage auf Rang eins abgelöst. Zugleich ist jedoch auch die Sorge um die AfD und rechte Ideologie im Vergleich zu den vorangegangenen Befragungen wieder leicht angestiegen, wenn auch das Thema – anders als vor einem Jahr, als Hunderttausende deswegen auf die Straße gingen – derzeit mit zehn Prozent nur noch halb so viele Befragte bewegt.

Auch die Themen Energie und Klima sowie Preise und Löhne beschäftigen die Menschen nicht mehr so stark wie dies noch vor zwei oder drei Jahren der Fall war. Nicht einmal jeder Sechste beziehungsweise nur etwa jeder Zehnte hält dies derzeit für das drängendste Problem im Land.

Die Prioritäten der Generationen unterscheiden sich

Damit sind drei Wochen vor der Wahl Migration und Flucht zum wichtigsten Wahlkampfthema geworden – zumindest über alle Bevölkerungsschichten hinweg. Zwischen den einzelnen Gruppen gibt es allerdings gravierende Unterschiede. So nennt knapp die Hälfte der befragten Personen über 60 Jahre die Migrationspolitik als wichtigstes Problem. Jüngere Menschen räumen der Wirtschaftslage dagegen weiter denselben Stellenwert ein. Während diese beiden Themen auch für Menschen zwischen 35 und 59 Jahren die mit Abstand wichtigsten Probleme darstellen, ist das bei den Jüngeren anders. Das Thema Migration ist also nicht zuletzt auch eine Generationenfrage.

Für Menschen bis 34 Jahre haben die Zukunft der Energieversorgung und die Klimakrise einen fast ebenso großen Stellenwert. Der Politikwissenschaftler Jonas Fegert vom FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe stellt fest: „In Deutschland bereiten die Themen Generationengerechtigkeit, Gesundheit und Klimaschutz den Menschen Sorgen, auch wenn sie im derzeitigen Wahlkampf gar keine große Rolle spielen.“ Fegert forscht seit Jahren zu gesellschaftlicher Polarisierung und politischen Stimmungen. „Über einige Jahre hinweg sind das Themen, die die Bevölkerung in Deutschland umtreiben, obwohl die Debatte gerade woanders liegt.“

Und noch ein weiteres Problem halten junge Wählende für genauso drängend: die Alternative für Deutschland (AfD) und den Umgang mit Rechten. War es in der Vorwoche nicht einmal jede zehnte, gibt nun bereits mehr als jede fünfte Person unter 35 Jahren dies als wichtigstes Problem an – das dürfte eine unmittelbare Reaktion auf die erhitzte Debatte nach dem Angriff in Aschaffenburg sein. Und auch zwischen den Geschlechtern zeigt sich ein deutlicher Unterschied.

Während Männer die AfD und Rechte nur vereinzelt als eines der wichtigsten Probleme begreifen, tut dies immerhin mehr als jede siebte Frau. Männer sorgen sich fast genauso um die Wirtschaftslage wie um die Migration. Bei den Frauen verteilen sich die Antworten hingegen nach der Migration gleichmäßiger über unterschiedliche Probleme.

Der Fokus kann sich auch schnell wieder ändern

Wenn die Parteien im Wahlkampf noch entscheidend punkten wollen, müssen sie die Probleme der Menschen ernst nehmen und Lösungen präsentieren. Dass sich das Problembewusstsein der Deutschen nicht nur anhand von Alter und Geschlecht unterscheidet, sondern vor allem entlang politischer Vorlieben, sollte nicht überraschen – wie stark die Perspektive auf die für das Land wichtigsten Themen davon abhängt, allerdings schon. Gerade bei Migration und Flucht gibt es eine enorme Bandbreite: Unter potenziellen Linken- und Grünen-Wählern sind nur elf Prozent der Meinung, dass es sich dabei um ein drängendes Problem handelt. Bei den AfD-Anhängern sind es drei von vier.

Umgekehrt blicken knapp ein Viertel der Grünen- beziehungsweise knapp ein Drittel der Linken-Anhänger mit Sorge auf die Rechte, während dies nicht nur bei Anhängern von AfD, sondern auch von BSW und FDP kaum jemand tut. Hier wie bei den übrigen Themen – mit Ausnahme der Grünen-Anhänger beim Klima – liegen die Befragten in ihrer Einschätzung aber näher beieinander. Politikwissenschaftler Fegert zufolge ist die Polarisierung in der Gesellschaft je nach Thema sehr unterschiedlich – gerade bei der Migration sei sie besonders stark ausgeprägt. „Die wirtschaftlichen Themen, die Sorge um den eigenen Arbeitsplatz und Inflation sind in der Wahrnehmung weniger gespalten.“

Fegerts Forschung zeigt noch etwas anderes. Die Polarisierung hat sich verstärkt, und nicht nur sie: „Die Sorgen haben in den vergangenen Jahren auf verschiedene Themen bezogen zugenommen. Die aktuelle Stimmung in der Bevölkerung ist nicht besonders gut.“ Er führt das letztlich auf einen Vertrauensverlust in die Politik, vor allem in die Bundesregierung zurück. Nach der Wahl am 23. Februar wird die neue Regierung dem entgegenwirken müssen. Es könnte gut sein, dass der Ausgang der Wahl von den Sorgen um Migration und die wirtschaftliche Lage bestimmt wird. Die vergangenen Wochen haben aber auch gezeigt, wie schnell sich der Fokus auch wieder verschieben kann.

Wollen Sie wissen, wie Ihre eigenen Positionen mit denen der Parteien übereinstimmen? Machen Sie hier den wissenschaftlichen Test der Universitäten Potsdam, Greifswald, Mannheim und der TU Darmstadt unter party-check.org.

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