Sigmar Gabriel hat einen neuen Arbeitgeber: Die Deutsche Bank. Das krisengeschüttelte Geldhaus holt den früheren SPD-Chef und Ex-Wirtschaftsminister in den Aufsichtsrat. "Mit einer nun klaren Strategie und ihrem starken Führungsteam hat die Deutsche Bank als eine der wichtigsten Finanzinstitutionen in Europa die Chance und die Verantwortung, die Zukunft der deutschen und europäischen Wirtschaft mit zu gestalten. Dazu möchte ich einen Beitrag leisten", erklärte Gabriel.
Der politische Weg Gabriels war über weite Strecken von Aufstieg bestimmt - wenn auch nicht bruchlos. Am 15. Dezember 1999 wird Gabriel als Nachfolger seines Förderers Gerhard Schröder als Ministerpräsident von Niedersachsen vereidigt. Gabriel ist zu diesem Zeitpunkt erst 40 Jahre alt - und damit der jüngste Landesvater Deutschlands.
Doch der Fall kommt so schnell wie der Aufstieg. Bei der Landtagswahl 2003 verliert die niedersächsische SPD 14 Prozentpunkte, Ministerpräsident wird der CDU-Politiker Christian Wulff. Gabriel, mehr als drei Jahre die große Nachwuchshoffnung seiner Partei, muss in die Opposition und verschwindet - zunächst - in der politischen Bedeutungslosigkeit.
Als er in Berlin auch noch gegen Schröders Agenda 2010 nörgelt, vergrault er die letzten Unterstützer. Sein einstiger Förderer Schröder wendet sich von ihm ab - und ernennt Gabriel zum "Beauftragten für Popkultur und Popdiskurs der SPD". Gabriel, hier im Bild mit Udo Lindenberg (3.v.r.), Peter Maffay (2.v.r.) und Klaus Meine von den Scorpions (1.v.r. ) wird als "Siggi Pop" verspottet. In Berlin macht man sich auch über seine Leibesfülle lustig. Gabriel kontert: "Lieber dick als doof."
Doch das Verhältnis von Schröder und Gabriel ist nicht dauerhaft gestört. Als der Altkanzler sich 2016 in die Debatte um die K-Frage einschaltet, lobt er vor der Hauptstadtpresse das "große politische Talent" Gabriels, das er gleich erkannt habe, als dieser 1990 Abgeordneter in Hannover wurde. Das Bild zeigt die beiden 2014.
Gabriel gibt nach seinem Tief nicht auf. 2005 stürzt er sich in den Wahlkampf um ein Mandat im Bundestag, hier diskutiert er gerade mit Bürgern in Salzgitter. Er gewinnt den Wahlkreis mit 52 Prozent der Erststimmen...
... und wird zudem Umweltminister der großen Koalition. Als solcher verfolgt er ähnliche Ziele wie sein Vorgänger Jürgen Trittin. Unter anderem macht er sich für den Atomausstieg und die Senkung der CO₂-Emissionen stark.
Am 13. November 2009 erklimmt Gabriel dann die Spitze der SPD. Er wird mit 94,2 Prozent gewählt und folgt damit auf Franz Müntefering (im Hintergrund). Doch seine Beliebtheit sinkt, unter anderem wegen des schlechten Wahlergebnisses bei der Bundestagswahl 2013. Dennoch wird Gabriel drei Jahre später als Vorsitzender der Sozialdemokraten bestätigt, allerdings nur noch mit 74,3 Prozent.
In der Bundespolitik wechselt Gabriel 2013 das Ressort und wird Minister für Wirtschaft und Energie. Mit mancher Entscheidung eckt Gabriel in der SPD an. Umstritten ist etwa seine Haltung bezüglich des transatlantischen Handelsabkommens TTIP, das er zunächst entschieden befürwortete und dann für gescheitert erklärte. Das Bild zeigt Gabriel 2014 auf einer Automesse in Peking.
2014 verkündet Gabriel öffentlich, sich trotz seiner politischen Ämter den Mittwochnachmittag freizuhalten, um Zeit mit seiner Tochter Marie zu verbringen (auf dem Foto sind Vater und Tocher im Jahr 2017 zusehen). Damit stößt er eine Debatte zur Elternzeit an.
Mit seinem eigenen Vater verbindet er nichts Gutes. Gabriel kommt 1959 in Goslar zur Welt. Seine Eltern trennen sich, als er drei Jahre alt ist. Gabriel muss bei seinem autoritären Vater wohnen, bis seine Mutter sieben Jahre später das Sorgerecht für ihn erkämpft. Mit 18 Jahren entdeckt Gabriel, dass der Vater NSDAP-Mitglied war und nach dem Krieg Nazi geblieben ist. Gabriel ist zu diesem Zeitpunkt schon Mitglied der Falken, einer SPD-Jugendorganisation. 20 Jahre spricht er nicht mit seinem Vater. Auf dem Foto ist Gabriel im Jahr 1999 mit seiner Mutter Antonie zu sehen - sie starb 2014.
Eine klare Haltung gegenüber Rechtsextremen zeigt Gabriel auch im August 2016 in Salzgitter. Bei einer Wahlkampfveranstaltung wird der damalige Vizekanzler und SPD-Chef von Demonstranten als "Volksverräter" bezeichnet. Auch auf Gabriels Vater nehmen sie Bezug, wie in einem Videomitschnitt zu hören war: "Mensch, dein Vater hat sein Land geliebt. Und was tust du? Du zerstörst es." Mit seiner Gestik macht Gabriel deutlich, was er von derartigen Anfeindungen hält. Im Jahr zuvor hatte er Rechtsextreme nach fremdenfeindlicher Randale in Heidenau als "Pack" bezeichnet.
Der scheidende EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (links) galt lange als Freund Gabriels. Angesichts seiner sinkenden Beliebtheit in- und außerhalb der Partei entschließt sich Gabriel im Januar 2017, zugunsten von Schulz auf den SPD-Vorsitz und die Spitzenkandidatur für die Bundestagswahl zu verzichten. Im Zuge der Personalrochade positioniert sich auch Gabriel neu: Der bisherige SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier wird Bundespräsident - und Gabriel rückt auf dessen Posten als Außenminister.
Die Arbeit Gabriels als Außenminister wird von vielen Beobachtern positiv bewertet. Als großer Erfolg galt vor allem, dass es ihm durch eine Wiederannäherung mit der Türkei gelang, im Februar die Freilassung des Journalisten Deniz Yücel zu bewirken. Unter anderem empfing Gabriel mehrfach den türkischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu in Deutschland (Foto).
Als im Februar 2018 Noch-SPD-Chef Schulz den Posten des Außenministers für sich beanspruchte, reagierte Gabriel öffentlich mit einem rüden Angriff. Nicht zuletzt damit, auch durch sein oft brüskes und unsolidarisches Verhalten, dürfte er innerhalb seiner Partei noch einmal Sympathien verspielt haben. Der Streit um die Führung des Auswärtigen Amts entzweite zwischenzeitlich auch Gabriel und Schulz. Ende 2018 versöhnten sie sich aber wieder. Letzterer sagt: "Man muss versuchen, die Eitelkeiten hinter sich zu lassen, die durch einen öffentlichen Streit entstehen. Sigmar und mir ist das gelungen. Die Krise ist überwunden."
Im März 2018 informieren Andrea Nahles und Olaf Scholz Gabriel darüber, dass er seinen Stuhl am Kabinettstisch von Angela Merkel räumen muss und der Bundesregierung künftig nicht mehr angehören wird. Ein halbes Jahr später verlässt er auch den Bundestag - am gleichen Tag, an dem auch Nahles, seine Nachfolgerin als SPD-Vorsitzende, ausscheidet. Am gegenseitigen politischen Ende waren sie beide wohl nicht ganz unbeteiligt.
Seit Juni 2019 ist Gabriel auch Vorsitzender des Vereins Atlantik-Brücke, der sich für "die Zusammenarbeit zwischen Deutschland, Europa und Amerika auf allen Ebenen" einsetzt. Zwischenzeitlich war er auch im Gespräch für den Posten als Cheflobbyist der Autoindustrie. Daraus wurde allerdings nichts. Bei seinem Wechsel zur Deutschen Bank muss Gabriel nicht mit rechtlichen Problemen rechnen: Das Bundesministergesetz sieht lediglich vor, dass Mitglieder der Bundesregierung "innerhalb der ersten 18 Monate nach ihrem Ausscheiden aus dem Amt eine Erwerbstätigkeit oder sonstige Beschäftigung außerhalb des öffentlichen Dienstes" anzeigen müssen.