SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz will mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron "einen neuen politischen Aufbruch in Europa" wagen. Gemeinsam sollten Deutschland und Frankreich die EU mit "einem Zukunftsimpuls" beleben, die Euro-Zone mit einem eigenen Investitionshaushalt stärken sowie das reguläre EU-Budget zu einem Solidaritätspakt umbauen, erklärte der Spitzenkandidat am Donnerstag vor etwa hundert Studenten des Institut d'études politiques ("Sciences Po"): "Als Bundeskanzler will ich mit Frankreich daran arbeiten, dass Europa mehr leistet", sagte Schulz. Am Abend empfing Macron den Herausforderer von Kanzlerin Merkel zum Gespräch im Élyséepalast.
Schulz sprach nach dem knapp eineinhalbstündigen Treffen von "einer immensen Übereinstimmung" mit Macron. Schulz griff bei seinem Auftritt in Paris gezielt einige Vorschläge auf, die Macron für eine " Neugründung Europas" geäußert hatte. So stellte sich der SPD-Anwärter klar hinter Macrons Ideen, die Euro-Zone mit einem zusätzlichen Budget und einem "europäischen Finanzminister" zu vertiefen. Er warnte davor, Europa "kaputt zu sparen".
Investitionen:In Deutschland gibt es einen gewaltigen Investitionsstau
Marode Schulen, Straßen und Brücken - SPD-Kanzlerkandidat Schulz hat einen wunden Punkt getroffen. In der Bundesrepublik fehlt es an Investitionen von mehr als 100 Milliarden Euro.
Auch Merkel hatte vorige Woche beim deutsch-französischen Ministerrat eine Reform der Euro-Zone befürwortet. Kanzleramtsberater ließen jedoch durchblicken, man wolle keinen Ausbau der Währungsunion zu einer "Transfer-Union". Die Kanzlerin hatte hinzugefügt, konkrete Verhandlungen könnten nach der Bundestagswahl beginnen.
Wenn er gewinnt, sei er bereit, mehr für Europa zu tun
Im Detail wahrte auch Schulz Distanz zu Macrons Vorstellungen. Er sprach sich für einen "Investitionshaushalt für die Euro-Zone" aus, um die gemeinsame Währung zu stabilisieren. Macron hatte sich hingegen als Wirtschaftsminister für einen Fonds ausgesprochen, der im Falle von Finanzkrisen auch notleidenden Euro-Staaten mit Milliarden aushelfen solle.
In Abgrenzung gegenüber der Kanzlerin forderte Schulz "einen klaren Richtungswechsel" in Europa: "Ein einfaches 'weiter so', ein bloßes Durchlavieren reicht nicht mehr aus." Europa habe in den vergangenen Jahren "einen dramatischen Verfall der Solidarität unter den Völkern" erlebt. Daran sei auch Berlin "nicht unschuldig", weil es Partnern in der Krise "zu selten die Hand gereicht" habe. Deutschland, so Schulz, müsse "mehr Solidarität zeigen" in Europa und dazu auch seine Zahlungen in den EU-Haushalt erhöhen.
Als Nettozahler der EU müssten Frankreich wie Deutschland nach dem Austritt Großbritanniens mehr leisten. "Aber Solidarität ist keine Einbahnstraße", Nettoempfänger wie Polen und Ungarn hätten etwa in der Flüchtlingskrise ihre Solidarität verweigert. Im Falle seines Wahlsiegs werde Deutschland zwar "bereit sein, mehr für Europa zu tun, auch mehr in den Haushalt einzuzahlen."
Schulz will Europa aus der Krise führen
Zugleich drohte Schulz indirekt Warschau und Budapest mit Finanzsanktionen: Regierungen, die zum Beispiel keine Flüchtlinge aufnähmen, verhielten sich "unsolidarisch" und könnten "nicht mit unserer vollen Solidarität rechnen". Ähnlich hatte Macron im SZ-Interview im Juni formuliert, Europa sei "kein Supermarkt", sondern eine Schicksals- und Wertegemeinschaft.
Schulz empfahl sich in Paris als überzeugter Europäer. Anders als üblich habe er nicht als nationaler Politiker Karriere gemacht: "Ich bin der Erste, der sein politisches Leben in Brüssel verbracht hat, um auf dem Höhepunkt seiner Laufbahn als EU-Parlamentspräsident in die nationale Politik zu gehen" und die Kanzlerin herauszufordern. Ein "neues Vertrauen" zwischen einem neuen Präsidenten in Paris und einem neuen Kanzler in Berlin könne Europa aus der Krise führen.
Schulz distanzierte sich von der Vision eines föderalen EU-Bundesstaats. Auch ein erneuertes Europa werde "nicht die Vereinigten Staaten von Amerika auf europäischem Boden" sein: "Diese Formel macht zu vielen Leuten Angst." Man könne "aus einem Franzosen keinen Kalifornier, oder aus einem Deutschen keinen Texaner machen". Als Alternative empfahl er eine "politische Union der Vereinigten Demokratien von Europa".